Menschenrechtsanwalt Emil Kurbedinow auf der Krim

Mit Facebook gegen Putin

04:59 Minuten
Der Menschenrechtsanwalt Emil Kurbedinov
"Wir drehen uns ständig um, wir versuchen, alle künftigen Schritte im voraus zu durchdenken": der Menschenrechtsanwalt Emil Kurbedinow. © imago / Syrotkina Anastasiya
Von Thomas Franke · 15.07.2020
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Jeder, der die Ukraine unterstützt oder die russische Annexion kritisiert, ist auf der Krim in Gefahr, sagt Human Rights Watch. Der Menschenrechtsanwalt Emil Kurbedinow sucht sein Heil deswegen in größtmöglicher Offenheit und Transparenz.
Emil Kurbedinow steht, im blauen kurzärmligen Hemd, die Ledertasche über der Schulter, in Simferopol, der Hauptstadt der Halbinsel Krim, und spricht in seine Handykamera. Hinter ihm ist ein mehrere Meter hoher Sicherheitszaun zu sehen, dahinter das Gebäude des Innenministeriums.
"Zwei Frauen wurden entführt, in Bachtschissaraj und Dschankoj. Schon seit zwei Stunden versuchen wir herauszukriegen, was mit ihnen passiert. Sie wurden auf dieses Gelände gebracht. Uns Anwälten verweigern sie den Zutritt."
Er zeigt eine Menschenansammlung neben ihm. Es sind überwiegend Krimtataren, die aus Sorge um die beiden Frauen gekommen sind. Polizisten befragen die Zivilisten, fordern sie auf, weiterzugehen. Die Zivilisten wiederum filmen die Uniformierten.
"Warum hier friedlichen Bürgern Vorwürfe gemacht werden, und nicht den Entführern der zwei Frauen, ist für mich persönlich völlig unverständlich."

Videos auf der Facebook-Seite

Das Video ist kurz darauf auf Kurbedinows Facebook-Seite zu sehen. Der Anwalt schafft sich seine eigene Öffentlichkeit. Auch in Zeiten von Corona. Mehr als 5.000 Menschen erreicht er mit solchen Filmen, darunter auch viele Journalisten.
"Russland hat seit 2014 alle unabhängigen Medien von hier entfernt und den Zugang internationaler Beobachter unmöglich gemacht. Deshalb haben wir die Organisation Krymskaja Solidarnost gegründet."
"Krim-Solidarität" ist ein Zusammenschluss von Anwälten, Menschenrechtsverteidigern und sogenannten Bürgerjournalisten auf der Krim.
"Wir beobachten Gerichtsverhandlungen. Wenn es Razzien gibt, dann filmen wir sie, und nach jeder Verhandlung nehmen wir ein Video auf und veröffentlichen es auf Facebook. Wir versuchen alles, um zu dokumentieren, was hier passiert."
Kurbedinow erzählt das aus seinem Wohnzimmer, über eine erstaunlich stabile Internetverbindung. Er versinkt fast in seinem Plüschsofa. Ein langer Arbeitstag liegt hinter ihm, er wirkt erschöpft.

Repressalien gegen die Krimtataren

Die meisten Repressalien auf der Krim richten sich gegen Krimtataren, die angestammte Bevölkerung der Halbinsel. Kurbedinow, 39 Jahre alt, ist selbst Krimtatar und vertritt viele von ihnen.
Darunter den Menschenrechtsaktivisten Serwer Mustafajew, einen der Gründer von Krim-Solidarität, für den sich auch Amnesty International einsetzt. Mustafajew drohen 25 Jahre Haft wegen angeblicher terroristischer Umtriebe. Insgesamt säßen derzeit rund hundert Personen wegen Terrorvorwürfen im Gefängnis, erzählt Kurbedinow.
"Gegen einige wird noch ermittelt, andere haben schon lange Haftstrafen bekommen. Die Anklagen sind absolut politisch motiviert."
Das Gesundheitssystem auf der Krim ist der Pandemie nicht gewachsen. Die Ansteckungsgefahr in den Gefängnissen ist extrem hoch.
Kurbedinow musste 2018 selbst mehrere Tage ins Gefängnis – wegen eines Facebook-Posts aus dem Jahr 2013. Das war vor der Annexion. 2013 galt auf der Krim selbst aus russischer Sicht noch ukrainisches Recht. Dennoch wurde Kurbedinow von einem russischen Gericht verurteilt. Er lässt sich davon nicht einschüchtern.
"Als wir 2014 in diese Situation kamen, habe ich persönlich für mich ein grundlegendes Prinzip festgelegt: Völlige Offenheit und Transparenz bei allem, was ich tue. Ich sage immer, wohin ich gefahren bin, wen ich getroffen habe – sofern diejenigen, die ich getroffen habe, nicht dagegen sind."

"Es gibt hier Folter, es gibt Entführungen"

"Wir klammern nichts aus, auch wenn das gefährlich ist. Das ist unser Grundprinzip. Das leitet uns sechs Jahre, und wir sagen so offen wie möglich, was hier passiert, vor Gericht, in den Geheimdiensten passiert, die uns verfolgen."
"Es gibt hier Folter, es gibt Entführungen. Es gibt Kinder, die während der Razzien traumatisiert wurden. Hier passiert sehr viel Unrecht. Wir versuchen, das alles zu dokumentieren. Aber wir können es nicht erfassen, wenn die Menschen Angst haben, darüber zu reden."
Der Druck seitens der Behörden hat dazu geführt, dass viele Regierungskritiker, unabhängige Journalisten, die Krim verlassen haben. Andere haben sich ins Private zurückgezogen.
"Ich verurteile Menschen, die schweigen, nicht. Viele von ihnen helfen uns Menschenrechtsverteidigern heimlich. Finanziell, mit Lebensmitteln oder anderem. Aber ich verurteile diejenigen, die aus Angst vor irgendetwas als Zeugen vor Gericht andere Menschen mit Falschaussagen belasten, indem sie sie fälschlicherweise als Terroristen bezeichnen. Das kann ich nicht akzeptieren."
Kurbedinow ist über die Krim hinaus bekannt. Ob ihn das langfristig schützt, ist unklar:
"Wir versichern uns ständig, wir drehen uns ständig um, wir versuchen ständig, alle künftigen Schritte im Voraus zu durchdenken. In so einem Rhythmus leben wir schon das sechste Jahr. Der Druck lässt nicht nach."
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