Menschenrechtler als Beruf
In Russland kann man seit kurzem Menschenrechte als Magisterstudiengang belegen. Unterstützt wird das Pilotprojekt nicht nur von den Vereinten Nationen, sondern auch von der russischen Regierung.
Liane von Billerbeck: Zwei Ereignisse an einem Tag: Am 15. Juli wird die Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa in Tschetschenien entführt und später erschossen in Inguschetien aufgefunden. An genau diesem 15. Juli unterzeichnen drei russische Universitäten einen Vertrag, um Studiengänge für Menschenrechte einzurichten. Grausige Parallelität der Ereignisse. Seit einer Woche gibt es diese Studiengänge als Pilotprojekt, eine Initiative und in Kooperation mit den Vereinten Nationen. Und deren Moskauer Büro für Menschenrechte leitet Dirk Hebecker, der jetzt aus der russischen Hauptstadt zugeschaltet ist. Herr Hebecker, ich grüße Sie!
Dirk Hebecker: Guten Tag!
von Billerbeck: Dass Russland Menschenrechtler braucht, das steht außer Frage, dass sie überaus gefährlich leben, ebenfalls. Seit einer Woche kann man nun an russischen Universitäten das Fach Menschenrechte studieren. Wer ist so todesmutig und tut das?
Hebecker: Also ich glaube nicht, dass die Studenten vordergründig daran denken. Natürlich haben sie diese ganz erschütternde Parallele ganz richtig aufgezeigt, aber ich glaube, das ist ein Richtungswechsel, den wir ja hier schon seit einigen Jahren erleben, was die Menschenrechte anbetrifft. Und leider passieren natürlich noch solche Geschichten wie Morde an Menschenrechtlern. Aber das bestimmt schon lange eigentlich nicht mehr das Bild, wenn man die Ereignisse hier genauer analysiert. Natürlich ist es immer tragisch, wenn so was passiert, und im Nordkaukasus ist es eben um diese Sache noch sehr schlecht bestellt, aber das ist nicht das Einzige, was die Lage der Menschenrechte in Russland heute prägt.
von Billerbeck: Das heißt, die Lage der Menschenrechte in Russland ist viel besser, als wir das hier wahrnehmen?
Hebecker: Was man wahrnimmt, ist natürlich vor allem erst mal immer das Negative und das Spektakuläre, aber es ist wirklich nicht das Einzige, was hier passiert. Es hat sich in den Jahren seit der Wende sagen wir mal ja doch sehr viel zum Positiven verändert – in der Gesetzeslage, in der Rechtssprechung. Wenn heutzutage junge Menschen sich entscheiden, Menschenrechte als Beruf auszuwählen, dann ist das sicherlich eine ganz bewusste berufliche Entscheidung junger Menschen, die die Verbesserung der Menschenrechte wahrgenommen haben und die denken, das kann man zum Beruf machen.
von Billerbeck: Was wird denn nun gelehrt in diesem Fach?
Hebecker: Das ist ein Magisterstudiengang, der sich für vier Semester mit Menschenrechten ganz intensiv befassen wird. Einmal die internationalen Mechanismen des Schutzes der Menschenrechte, die europäischen Mechanismen und Institutionen, die sich mit Menschenrechten befassen, wie zum Beispiel der Europäische Menschenrechtsgerichtshof, aber auch die nationale Gesetzgebung, die Übereinstimmung von internationalem Recht und nationaler Gesetzgebung, was die Menschenrechte anbetrifft.
von Billerbeck: Ich hab gelesen, dass die russische Regierung dieses Studienprojekt sponsert. Wie war denn nun die Zusammenarbeit mit den Regierungen Putin beziehungsweise Medwedew?
Hebecker: Das Programm ist ja Bestandteil eines Rahmenabkommens, das meine Organisation, der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, 2007 hier abgeschlossen hat. Es ist zwar richtig, dass die russische Regierung selbst dafür Gelder zur Verfügung stellt, aber die Universitäten kofinanzieren aus ihren bestehenden Budgets dieses Programm mit. Es gibt auch Gelder von unserer Organisation, die hier mit zur Verfügung gestellt werden. Was die russische Regierung kofinanziert, sind eben Austausch von Professoren zwischen den russischen Unis und den europäischen Unis und auch Austauschprogramme für Studenten.
von Billerbeck: Nun ist ja die russische Regierung aber nicht gerade dafür bekannt, dass es eine Versammlung lupenreiner Demokraten ist. Macht man da nicht so ein bisschen auch den Bock zum Gärtner, oder ist das eine Politik der UN-Kommissarin à la Wandel durch Annäherung?
Hebecker: Das ist natürlich sicherlich irgendwo richtig. Es sind ja in Russland einfach verschiedene Strömungen zu beobachten, und dass nicht jeder ein lupenreiner Demokrat ist, das ist klar, aber man muss ja irgendwo anfangen. Und allein die Entscheidung der Regierung, unsere Organisation hier wirksam werden zu lassen, ist ja doch ein Hoffnungsschimmer. Inzwischen ist aus dem Hoffnungsschimmer eine ganze Reihe von Aktivitäten geworden, und wir sind eigentlich zuversichtlich, dass mit den Experten und mit der Expertise, die wir hier zur Verfügung stellen, nicht einfach irgendwelche Feigenblätter hier präsentiert werden, sondern dass sich auch wirklich an der Substanz was ändert.
von Billerbeck: Eine der drei Universitäten, an denen man das Fach Menschenrechte studieren kann, das ist die Kaderschmiede des Außenministeriums. Was bedeutet das? Man kümmert sich um die Einhaltung der Menschenrechte, aber anderswo, außerhalb Russlands?
Hebecker: Ja, die Kaderschmiede des Außenministeriums …
von Billerbeck: Das war jetzt zugespitzt formuliert.
Hebecker: … das war auf jeden Fall mal hundertprozentig so, heutzutage muss man das, glaube ich, etwas differenzierter sehen. Es gibt also auch kompetente Absolventen von anderen Unis, die ihren Weg ins Außenministerium hier in Russland finden. Aber Sie haben schon recht. Ich glaube, das Institut macht deshalb mit, weil es erstens die Expertise anbieten kann – es gibt also dort wirklich Professoren, die das Gebiet beherrschen und deshalb also einfach auch mitmachen wollen in der Lehre, in der Forschung und Lehre, was Menschenrechte anbetrifft. Und dann gibt es natürlich ein Bestreben, dieses Gebiet weiter zu professionalisieren, gar nicht mal unbedingt mit dem Zweck, dass alle Absolventen dieses Kurses, die dort an dem Institut eingeschrieben sind, dann auch zum Außenministerium gehen. Das Institut bereitet also junge Menschen ja nicht nur auf den diplomatischen Dienst vor, sondern auch für alle möglichen anderen Richtungen.
von Billerbeck: Menschenrechte studieren in Russland – mehr als graue Theorie? Dirk Hebecker ist mein Gesprächspartner, er leitet das UN-Menschenrechtsbüro in Moskau. Nun ist das Studium der Menschenrechte ja das eine, die Praxis das andere. Wo sollen, wo können, wo werden denn nun die frisch ausgebildeten Menschenrechtler arbeiten?
Hebecker: Das ist ein Pilotprojekt hier. Wir haben also in der Vorbereitungsphase einen Experten beauftragt, potenzielle Arbeitgeber zu befragen, was das Profil der zukünftigen Absolventen anbetrifft. Haben also Arbeitgeber wie staatliche und nicht staatliche Organisationen befragt, welche Absolventen sie von einem solchen Kurs erwarten. Und da gab es ein ganzes Spektrum an Eigenschaften und Kenntnissen, die die potenziellen Arbeitgeber erwarten, sehen wollen. Und man hat auch durch diese Studie gespürt, es gibt also durchaus Interesse, sowohl bei staatlichen als auch nicht staatlichen Einrichtungen und Organisationen, solche Absolventen dann aufzunehmen.
von Billerbeck: Ich stell mir das mal vor, da macht dann ein Student beispielsweise ein Volontariat oder ein Praktikum bei "Memorial", einer Nichtregierungsorganisation, und wie reagiert denn dann die russische Regierung darauf?
Hebecker: Die Nichtregierungsorganisationen wie "Memorial" – es gibt davon unheimlich viele, in allen Regionen gibt es regionale Organisationen, es gibt auf der zentralen Ebene hier, wie man sagt, also für die gesamte russische Föderation größere Organisationen. "Memorial" ist eine größten und angesehensten. Ich glaube nicht, dass die russische Regierung ein Problem mit der Existenz dieser Organisation hat. Sie haben natürlich einige bürokratische Hürden, die hier bestehen, aber das …
von Billerbeck: Das klingt unglaublich harmlos, was Sie sagen, auf mich, tut mir leid. Also wir kennen ja die ganzen Auseinandersetzungen, wir erinnern uns auch daran, dass also immer versucht wurde, Nichtregierungsorganisationen vonseiten der russischen Regierung zu unterstellen, sie seien aus dem Ausland finanziert und deren Arbeit mindestens, vorsichtig ausgedrückt, zu erschweren. Das klingt jetzt alles so harmlos, und als ob in Russland eigentlich es nur ein paar Einzelfälle ermordeter Bürgerrechtler und Menschenrechtsaktivisten gegeben hat.
Hebecker: Ich will das auf keinen Fall verharmlosen, und Sie haben auch ganz recht: Es klingt vieles theoretisch etwas schöner, als es dann sich durch solche Ereignisse wie Morde an Estemirowa oder Politkowskaja darstellt in der Realität. Ich hab ja schon gesagt, es wirken hier verschiedene Tendenzen gegeneinander. Der Präsident hat einen kleinen Präsidenten-Menschenrechtsrat, dem gehören all diese Vertreter an, auch "Memorial", und er hat ein sehr gutes, sicherlich nicht ganz ungespanntes oder nicht vollständig entspanntes Verhältnis mit diesen Organisationen, aber der Dialog besteht. Es gibt auch Konfrontationen in diesem Dialog, aber es gibt auch Tendenzen der Zusammenarbeit. Es gibt unheimlich viele Initiativen, in denen Nichtregierungsorganisationen Ministerien und deren Tätigkeit überwachen, zum Beispiel auch mitwirken an der Überwachung von Gefängnissen und so weiter, und das muss man hier vor Ort schon anerkennen. Das soll nicht negieren, dass es auch Probleme gibt.
von Billerbeck: Sie haben zwei Namen genannt – Anna Politkowskaja und Natalja Estemirowa. Es sind auch Sarema Sadulajewa und Alek Dschabrailow ermordet worden in diesem Sommer, also nur einige Namen von Menschenrechtlern, die ihr Engagement ja mit dem Leben bezahlt haben. Wird das Risiko, dem sich Studenten möglicherweise aussetzen, wenn sie dieses Fach wählen, denn thematisiert?
Hebecker: Ja, das Thema wird auf jeden Fall angesprochen, und ich glaube auch, dass die Studenten potenzielle Nachfolger solcher Persönlichkeiten wie Anna Politkowskaja und Natalja Estemirowa und viele andere sich ganz bewusst vor Augen führen, dass sie möglicherweise auch in solche Situationen geraten werden. Aber ich glaube, viele Menschen sind trotz dieser Ereignisse entschlossen, an der Verbesserung der Menschenrechtssituation auf den verschiedenen Ebenen mitzuwirken.
von Billerbeck: Menschenrechte studieren in Russland, das kann man seit einer Woche an drei russischen Universitäten in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen. Dirk Hebecker von deren Moskauer Büro für Menschenrechte war mein Gesprächspartner. Ich danke Ihnen!
Hebecker: Vielen Dank!
Dirk Hebecker: Guten Tag!
von Billerbeck: Dass Russland Menschenrechtler braucht, das steht außer Frage, dass sie überaus gefährlich leben, ebenfalls. Seit einer Woche kann man nun an russischen Universitäten das Fach Menschenrechte studieren. Wer ist so todesmutig und tut das?
Hebecker: Also ich glaube nicht, dass die Studenten vordergründig daran denken. Natürlich haben sie diese ganz erschütternde Parallele ganz richtig aufgezeigt, aber ich glaube, das ist ein Richtungswechsel, den wir ja hier schon seit einigen Jahren erleben, was die Menschenrechte anbetrifft. Und leider passieren natürlich noch solche Geschichten wie Morde an Menschenrechtlern. Aber das bestimmt schon lange eigentlich nicht mehr das Bild, wenn man die Ereignisse hier genauer analysiert. Natürlich ist es immer tragisch, wenn so was passiert, und im Nordkaukasus ist es eben um diese Sache noch sehr schlecht bestellt, aber das ist nicht das Einzige, was die Lage der Menschenrechte in Russland heute prägt.
von Billerbeck: Das heißt, die Lage der Menschenrechte in Russland ist viel besser, als wir das hier wahrnehmen?
Hebecker: Was man wahrnimmt, ist natürlich vor allem erst mal immer das Negative und das Spektakuläre, aber es ist wirklich nicht das Einzige, was hier passiert. Es hat sich in den Jahren seit der Wende sagen wir mal ja doch sehr viel zum Positiven verändert – in der Gesetzeslage, in der Rechtssprechung. Wenn heutzutage junge Menschen sich entscheiden, Menschenrechte als Beruf auszuwählen, dann ist das sicherlich eine ganz bewusste berufliche Entscheidung junger Menschen, die die Verbesserung der Menschenrechte wahrgenommen haben und die denken, das kann man zum Beruf machen.
von Billerbeck: Was wird denn nun gelehrt in diesem Fach?
Hebecker: Das ist ein Magisterstudiengang, der sich für vier Semester mit Menschenrechten ganz intensiv befassen wird. Einmal die internationalen Mechanismen des Schutzes der Menschenrechte, die europäischen Mechanismen und Institutionen, die sich mit Menschenrechten befassen, wie zum Beispiel der Europäische Menschenrechtsgerichtshof, aber auch die nationale Gesetzgebung, die Übereinstimmung von internationalem Recht und nationaler Gesetzgebung, was die Menschenrechte anbetrifft.
von Billerbeck: Ich hab gelesen, dass die russische Regierung dieses Studienprojekt sponsert. Wie war denn nun die Zusammenarbeit mit den Regierungen Putin beziehungsweise Medwedew?
Hebecker: Das Programm ist ja Bestandteil eines Rahmenabkommens, das meine Organisation, der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, 2007 hier abgeschlossen hat. Es ist zwar richtig, dass die russische Regierung selbst dafür Gelder zur Verfügung stellt, aber die Universitäten kofinanzieren aus ihren bestehenden Budgets dieses Programm mit. Es gibt auch Gelder von unserer Organisation, die hier mit zur Verfügung gestellt werden. Was die russische Regierung kofinanziert, sind eben Austausch von Professoren zwischen den russischen Unis und den europäischen Unis und auch Austauschprogramme für Studenten.
von Billerbeck: Nun ist ja die russische Regierung aber nicht gerade dafür bekannt, dass es eine Versammlung lupenreiner Demokraten ist. Macht man da nicht so ein bisschen auch den Bock zum Gärtner, oder ist das eine Politik der UN-Kommissarin à la Wandel durch Annäherung?
Hebecker: Das ist natürlich sicherlich irgendwo richtig. Es sind ja in Russland einfach verschiedene Strömungen zu beobachten, und dass nicht jeder ein lupenreiner Demokrat ist, das ist klar, aber man muss ja irgendwo anfangen. Und allein die Entscheidung der Regierung, unsere Organisation hier wirksam werden zu lassen, ist ja doch ein Hoffnungsschimmer. Inzwischen ist aus dem Hoffnungsschimmer eine ganze Reihe von Aktivitäten geworden, und wir sind eigentlich zuversichtlich, dass mit den Experten und mit der Expertise, die wir hier zur Verfügung stellen, nicht einfach irgendwelche Feigenblätter hier präsentiert werden, sondern dass sich auch wirklich an der Substanz was ändert.
von Billerbeck: Eine der drei Universitäten, an denen man das Fach Menschenrechte studieren kann, das ist die Kaderschmiede des Außenministeriums. Was bedeutet das? Man kümmert sich um die Einhaltung der Menschenrechte, aber anderswo, außerhalb Russlands?
Hebecker: Ja, die Kaderschmiede des Außenministeriums …
von Billerbeck: Das war jetzt zugespitzt formuliert.
Hebecker: … das war auf jeden Fall mal hundertprozentig so, heutzutage muss man das, glaube ich, etwas differenzierter sehen. Es gibt also auch kompetente Absolventen von anderen Unis, die ihren Weg ins Außenministerium hier in Russland finden. Aber Sie haben schon recht. Ich glaube, das Institut macht deshalb mit, weil es erstens die Expertise anbieten kann – es gibt also dort wirklich Professoren, die das Gebiet beherrschen und deshalb also einfach auch mitmachen wollen in der Lehre, in der Forschung und Lehre, was Menschenrechte anbetrifft. Und dann gibt es natürlich ein Bestreben, dieses Gebiet weiter zu professionalisieren, gar nicht mal unbedingt mit dem Zweck, dass alle Absolventen dieses Kurses, die dort an dem Institut eingeschrieben sind, dann auch zum Außenministerium gehen. Das Institut bereitet also junge Menschen ja nicht nur auf den diplomatischen Dienst vor, sondern auch für alle möglichen anderen Richtungen.
von Billerbeck: Menschenrechte studieren in Russland – mehr als graue Theorie? Dirk Hebecker ist mein Gesprächspartner, er leitet das UN-Menschenrechtsbüro in Moskau. Nun ist das Studium der Menschenrechte ja das eine, die Praxis das andere. Wo sollen, wo können, wo werden denn nun die frisch ausgebildeten Menschenrechtler arbeiten?
Hebecker: Das ist ein Pilotprojekt hier. Wir haben also in der Vorbereitungsphase einen Experten beauftragt, potenzielle Arbeitgeber zu befragen, was das Profil der zukünftigen Absolventen anbetrifft. Haben also Arbeitgeber wie staatliche und nicht staatliche Organisationen befragt, welche Absolventen sie von einem solchen Kurs erwarten. Und da gab es ein ganzes Spektrum an Eigenschaften und Kenntnissen, die die potenziellen Arbeitgeber erwarten, sehen wollen. Und man hat auch durch diese Studie gespürt, es gibt also durchaus Interesse, sowohl bei staatlichen als auch nicht staatlichen Einrichtungen und Organisationen, solche Absolventen dann aufzunehmen.
von Billerbeck: Ich stell mir das mal vor, da macht dann ein Student beispielsweise ein Volontariat oder ein Praktikum bei "Memorial", einer Nichtregierungsorganisation, und wie reagiert denn dann die russische Regierung darauf?
Hebecker: Die Nichtregierungsorganisationen wie "Memorial" – es gibt davon unheimlich viele, in allen Regionen gibt es regionale Organisationen, es gibt auf der zentralen Ebene hier, wie man sagt, also für die gesamte russische Föderation größere Organisationen. "Memorial" ist eine größten und angesehensten. Ich glaube nicht, dass die russische Regierung ein Problem mit der Existenz dieser Organisation hat. Sie haben natürlich einige bürokratische Hürden, die hier bestehen, aber das …
von Billerbeck: Das klingt unglaublich harmlos, was Sie sagen, auf mich, tut mir leid. Also wir kennen ja die ganzen Auseinandersetzungen, wir erinnern uns auch daran, dass also immer versucht wurde, Nichtregierungsorganisationen vonseiten der russischen Regierung zu unterstellen, sie seien aus dem Ausland finanziert und deren Arbeit mindestens, vorsichtig ausgedrückt, zu erschweren. Das klingt jetzt alles so harmlos, und als ob in Russland eigentlich es nur ein paar Einzelfälle ermordeter Bürgerrechtler und Menschenrechtsaktivisten gegeben hat.
Hebecker: Ich will das auf keinen Fall verharmlosen, und Sie haben auch ganz recht: Es klingt vieles theoretisch etwas schöner, als es dann sich durch solche Ereignisse wie Morde an Estemirowa oder Politkowskaja darstellt in der Realität. Ich hab ja schon gesagt, es wirken hier verschiedene Tendenzen gegeneinander. Der Präsident hat einen kleinen Präsidenten-Menschenrechtsrat, dem gehören all diese Vertreter an, auch "Memorial", und er hat ein sehr gutes, sicherlich nicht ganz ungespanntes oder nicht vollständig entspanntes Verhältnis mit diesen Organisationen, aber der Dialog besteht. Es gibt auch Konfrontationen in diesem Dialog, aber es gibt auch Tendenzen der Zusammenarbeit. Es gibt unheimlich viele Initiativen, in denen Nichtregierungsorganisationen Ministerien und deren Tätigkeit überwachen, zum Beispiel auch mitwirken an der Überwachung von Gefängnissen und so weiter, und das muss man hier vor Ort schon anerkennen. Das soll nicht negieren, dass es auch Probleme gibt.
von Billerbeck: Sie haben zwei Namen genannt – Anna Politkowskaja und Natalja Estemirowa. Es sind auch Sarema Sadulajewa und Alek Dschabrailow ermordet worden in diesem Sommer, also nur einige Namen von Menschenrechtlern, die ihr Engagement ja mit dem Leben bezahlt haben. Wird das Risiko, dem sich Studenten möglicherweise aussetzen, wenn sie dieses Fach wählen, denn thematisiert?
Hebecker: Ja, das Thema wird auf jeden Fall angesprochen, und ich glaube auch, dass die Studenten potenzielle Nachfolger solcher Persönlichkeiten wie Anna Politkowskaja und Natalja Estemirowa und viele andere sich ganz bewusst vor Augen führen, dass sie möglicherweise auch in solche Situationen geraten werden. Aber ich glaube, viele Menschen sind trotz dieser Ereignisse entschlossen, an der Verbesserung der Menschenrechtssituation auf den verschiedenen Ebenen mitzuwirken.
von Billerbeck: Menschenrechte studieren in Russland, das kann man seit einer Woche an drei russischen Universitäten in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen. Dirk Hebecker von deren Moskauer Büro für Menschenrechte war mein Gesprächspartner. Ich danke Ihnen!
Hebecker: Vielen Dank!