Menschen wollen betrogen werden

30.10.2009
Ein Maler stirbt plötzlich und unerwartet - im Sitzen vor seiner Staffelei. Sein Sohn erkennt, dass er den Vater gar nicht wirklich kannte, und macht sich auf die Spurensuche.
In den Asservatenkammern deutscher Landeskriminalämter lagern Hunderte von Kunstfälschungen. Doch obwohl die Umsätze in die Milliarden gehen, existiert hierzulande kein Straftatbestand Kunstfälschung. Um Wahrheit und Lüge sowie die Fälschung von Kunst und Leben geht es auch in Carl-Johan Vallgrens Roman.

Am Beginn steht der Tod des 83jährigen Viktor Kunzelmann, der auf dem Gebiet der Konservierung von Gemälden als Experte galt und seit 1945 im schwedischen Falkenberg lebte. Seit vier Jahrzehnten war er als Kunstberater für die skandinavischen Museen sowie als Sammler tätig.

Kunzelmann saß vor seiner Staffelei als er starb. Für Irritation sorgt, dass er nicht nur an einer Vergiftung gestorben ist. Auf der Staffelei befand sich ein Original des Schweden Nils Trulson-Lindberg, der zur bekannten Varberger Schule gehört. Ob Kunzelmann das Bild gerade mit neuer Farbe versehen oder eine Kopie anfertigen wollte, ist unklar. Allerdings will zum Image des angesehenen Kunstkenners der Verdacht der Fälschung nicht passen.

Viktors Sohn Joakim beginnt sich für die Todesumstände sowie die Begabungen des Vaters zu interessieren und muss einsehen, dass er ihn nicht gekannt hat. Auf der Beerdigung erfährt Joakim von einem Freund Viktors, einem gewissen Georg Haman, dass sein Vater nicht nur homosexuell war, sondern auch ein exzellenter Fälscher von Handschriften, Banknoten, Pässen und vor allem Kunst. Unter dem Pseudonym "Gebrüder Bronnen" betrieben beide während des Krieges einen Philatelie - und Autogramm-Handel in Berlin und traten sogar in die NSDAP ein, um sich, vor allem seit der Verschärfung des Paragraf 175, besser zu schützen. Kurz vor Kriegsende wurden sie dennoch verhaftet und deportiert.

Vallgren erzählt auf zwei Zeit- und Generationsebenen, die bereits im Titel als Spiegelung der Namen angedeutet werden. Ein Motto des Romans könnte lauten, dass die Menschen zu allen Zeiten betrogen werden wollen. Aus unterschiedlichen Gründen entziehen sie sich dem Sein und vertrauen lieber dem Schein. Während für Viktor Kunzelmann Wahrheit oder Lüge über Leben und Tod entschieden, spielt die Frage, echt oder falsch im digitalen Zeitalter kaum noch eine Rolle.

Vallgren macht deutlich, dass in jedem Pinselstrich, den Viktor Kunzelmann als Original oder Fälschung hinterlassen hat, ein Bruchteil seiner Lebensgeschichte steckt. Während Kunstfälschungen inzwischen digital anhand der Strichmuster analysiert werden können, setzt die Literatur gerade auf das Spannungsfeld von Fiktion und Wirklichkeit.

Vallgren erzählt ungeduldig und ohne Tabus. In schneller Schnittfolge führt er den Leser auf unzählige Nebenstränge, die nur scheinbar vom Thema wegführen. Er arbeitet mit expressiven, mitunter wuchtigen und sprachgewaltigen Bildern, denen man sich nur schwer entziehen kann.

Besprochen von Carola Wiemers

Carl-Johan Vallgren: Kunzelmann & Kunzelmann
Aus dem Schwedischen von Angelika Gundlach
Insel Verlag 2009
611 Seiten, 24,80 Euro