"Menschen sehen sich nach etwas Fröhlichem, Frühlingshaften"

Celina Muza im Gespräch mit Dieter Kassel |
In Polen ist eine Musikart ganz besonders beliebt, die "Poezja Spiewana",also "gesungene Poesie". Die polnische Sängerin, Schauspielerin und Übersetzerin Celina Muza erklärt, was das besondere daran ist und warum der Text so viel wichtiger ist als die Musik.
Dieter Kassel: In mehreren osteuropäischen Ländern, vor allem aber in Polen, ist eine Musikart sehr beliebt, die man auf polnisch "Poezja Spiewana" nennt, auf deutsch heißt das, wörtlich übersetzt, einfach "gesungene Poesie". Und die hört man natürlich nicht nur im Frühling. Aber gerade in diesem Frühling wird sie auch in Deutschland mehrfach zu hören sein, und unter anderem deshalb wollen wir Ihnen diese Musik jetzt vorstellen, natürlich auch ein paar Ausschnitte hören. Und wir wollen sie uns erklären lassen auch, von Celina Muza, einer Sängerin, Schauspielerin und Übersetzerin, die selber, hat sie mir schon erzählt, schon seit ihrer Kindheit auch eine große Anhängerin dieser gesungenen Poesie ist. Aber zunächst mal schönen guten Tag, Frau Muza!

Celina Muza: Guten Tag, dzien dobry!

Kassel: Um das zu erklären: Ich hab das vor der Vorbereitung auf unser Gespräch nicht gekannt, weil wir dachten, na ja, vertonte Gedichte, das gab es immer schon, überall auf der Welt. Das ist es manchmal auch, aber das ist es ja nicht nur in Polen.

Muza: Das ist es nicht nur, und vor allem ist es sehr weit verbreitet. Also in Deutschland ist das eine Exklusivität in dem Sinne, also – erinnern wir uns zum Beispiel an das "Rilke-Projekt", das war plötzlich etwas ganz Besonderes. In Polen ist das tagtäglich, und wirklich jede, jede große Stadt hat ein Festival, das sich der gesungenen Poesie widmet. Ganz viele Kreisstädte mittlerweile haben auch solche Festivals. Und trotz des Internets und trotz des Handys und trotz allen Errungenschaften, nach wie vor nehmen ganz viele, viele junge Menschen teil, schreiben ihre eigenen Gedichte, vertonen sie und werden geachtet. Also, es ist schon bewundernswert, finde ich.

Kassel: Das heißt, es gibt ganz viele Laien, die es machen, aber es gibt natürlich auch so ein paar Leute, die durch diese Art von Musik bekannt geworden sind. Wir werden jetzt ein Beispiel gleich hören. Das ist ein Mann namens Konrad Pawicki, und der, nehme ich mal an, ist jetzt keiner von denen, der ab und zu auf dem Dorf singt, sondern den kennt man schon mehr, oder?

Muza: Ja, das stimmt. Konrad Pawicki, wenn ich …

Kassel: Erste Falle, in die ich getappt bin …

Muza: Konrad Pawicki ist ein Schauspieler und auch Radiomoderator, also Ihr Kollege, aber er schreibt Gedichte seit Kindheit. Und es hat sich einfach so ergeben, dass manche von diesen Gedichten nach Musik drängten. Also, das war einfach ein Prozess. Und so entstanden Programme, die er seit einigen Jahren auch in der Öffentlichkeit spielt und singt.

Kassel: Wir werden einen Ausschnitt aus einem seiner Lieder jetzt hören. Deshalb auch ein Ausschnitt, weil das natürlich nicht funktioniert vom Genuss her so gut, wenn man den Text nicht versteht. Deshalb würde ich sagen, wir hören es uns an und dann müssen Sie erklären, wovon er eigentlich singt.

((Musikeinspielung))

Kassel: Ein Ausschnitt aus einem Stück gesungener Poesie von Konrad Pawicki, ich bin ja lernfähig, da lacht Celina Muza, sie ist bei uns im Studio. Ich nehme schon was zurück, was ich gesagt hab, ich finde nicht, dass das nicht funktioniert, wenn man den Text nicht versteht. Ich finde, es funktioniert trotzdem, weil es schöne Musik ist, und es ist eine schön klingende Sprache.

Muza: Genau, es funktioniert, weil vor allem dieses Lied ein fantastischer Komponist geschrieben hat und arrangiert, Pjotr Klimek. Ich wollte etwas sagen, worüber er gesungen hat. Er hat seine Bewunderung für eine Rose in der Höhe geäußert. Und er schreibt, "wenn ich in das Popo der Blütenblätter meinen Körper drücke, werde ich ganz rot vor Scham, und glühend begebe ich mich auf die Reise durch die Rose." Ich finde das wunderschön. Gerade im Frühling, aber nicht nur im Frühling. Also diese Bewunderung für die Blumen grundsätzlich ist allgegenwärtig in der polnischen Poesie.

Kassel: Damit ist auch klar, dass nicht immer alles stimmt, was man im Internet liest. Weil es gibt einen kurzen Wikipedia-Eintrag über die gesungene Poesie, wo behauptet wird, sinngemäß, die Musik ist überhaupt nicht wichtig, die dient nur so ein bisschen der Begleitung, es geht um den Text. Das gilt ja zumindest für das, was wir gerade gehört haben, eigentlich gar nicht.

Muza: Na ja, man muss nicht alles glauben, was im Internet steht.

Kassel: Vielleicht ist der polnische Eintrag besser. Den habe ich nicht verstanden.

Muza: Ach, ich gebe vielleicht aus der Geschichte der gesungenen Poesie ein Beispiel. Also, ich habe erzählt von den Festivals, die man veranstaltet mit gesungener Poesie. Einer davon ist der berühmte Studentensong-Festival in Krakau, der wird veranstaltet seit 1962, und damals hat den zweiten Platz eine Studentin eben, die gar nichts mit Theater oder Kunst zu tun hatte, Ewa Demarczyk gewonnen. Sie ist die Grande Dame des polnischen Chansons, der gesungenen Poesie, überhaupt der Szene in sich. Also jeder kennt Ewa Demarczyk. Natürlich ist der Text in der gesungenen Poesie wichtiger als die Musik, aber die Ehre des Künstlers ist es doch, dass beide gleichwertig gut sind.

Kassel: Es gibt ja nun auch in Polen, Sie haben ja schon erwähnt, iTunes, Internet, YouTube – haben Sie eine Erklärung dafür, dass aber doch ganz offenbar auch junge Menschen in Polen, und zwar nicht eine kleine Minderheit, sondern recht viele, sich immer noch für diese Musik interessieren?

Muza: Nein. Die Erklärung habe ich nicht. Aber vielleicht liegt das ein bisschen an der polnischen Melancholie oder slawischen Melancholie grundsätzlich. Die Gedichte in Polen sind eben sehr oft dunkel, herbstlich, melancholisch eben, und eigentlich, dieser Titel "Frühlingsverse" für das Projekt ist absolut ein Kontrapunkt zu dieser Melancholie. Es passt nicht. Und dennoch: Ich stelle fest, dass nicht nur die Menschen meiner Generation, sondern auch die jungen Menschen sich nach etwas Fröhlicherem, etwas Frühlinghaftem einfach sehnen.

Kassel: Sie haben das Festival, das Projekt "Frühlingsverse" erwähnt, da werden wir jetzt gleich drüber sprechen, weil das ist nun die Möglichkeit, wie man diese bei uns ja doch noch recht unbekannte Musik und überhaupt diese Kunstform in Deutschland gerade jetzt im Frühling kennenlernen kann. Vielleicht aber vorher trotzdem jetzt noch mal ein Musikbeispiel. Sie haben ja zwei mitgebracht, einen haben wir gerade gehört und drüber gesprochen, was hören wir jetzt noch?

Muza: Jetzt hören wir das Lied über die Rückkehr, auch wieder von Pjotr Klimek.

((Musikeinspielung))

Kassel: Deutschlandradio Kultur, das war erneut ein Beispiel für die "Poezja Spiewana"…

Kassel: … die uns gerade Celina Muza erklärt, die zu uns in Studio gekommen ist. Ein bisschen – das klang wieder sehr schön –, aber ich fand, ein bisschen klang das jetzt nach dieser typisch polnisch-osteuropäischen Melancholie.

Muza: War es auch. Das ist ein typisches Beispiel dafür. Wir singen sehr oft über Neubeginn, über Rückkehr, über "Wir schaffen es. Egal was passiert, werden wir unsere Wege finden", sehr klassisch. Also ich habe extra dieses Lied ausgewählt, weil das, ja, das motiviert, das hat ein bisschen auch mit politischem Lied zu tun, mit Theaterlied zu tun natürlich. Wahrscheinlich sind die polnischen Komponisten und Arrangeure ein bisschen belastet. Ich gebe ja zu, aber ich liebe es natürlich als Polin, ach, ich könnte stundenlang solchen Liedern zuhören.

Kassel: Na, ich fand’s schon schön, obwohl ich’s nicht verstehe, und Sie haben ja noch den Vorteil, Sie verstehen’s. Und da sind wir jetzt eigentlich, bei diesem Projekt und diesen verschiedenen Veranstaltungen unter dem Motto "Frühlingsverse" in Deutschland. Bevor wir im Einzelnen drüber reden: Als das in Polen geplant wurde, war das nicht ein bisschen gewagt, mit so einer Musik in ein Land zu gehen? Natürlich gibt es viele Menschen hier, die Polnisch sprechen, weil sie entsprechende Wurzeln haben, aber wenn man … es gab ja schon paar Konzerte, Sie können ja schon sagen, ob’s funktioniert hat – kommen da denn auch Deutsche und sagen, ich hör mir das an, auch wenn ich’s nicht verstehe?

Muza: Sie werden staunen. Also die Konzerte finden statt im Grünen Salon der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, und ich selbst sehe mir immer die Liste der Zuschauer immer vor der Vorstellung an und stelle fest, dass Minimum 30 Prozent der Zuschauer Deutsche sind. Das heißt, meine Aufgabe ist es auch, diese Texte einigermaßen dem Publikum vorzustellen. Wir fühlen uns dazu verpflichtet. Es geht nicht, dass man eben diese Texte einfach so singt, sondern vor jedem Lied wird einiges darüber erzählt, beziehungsweise ich mache mir die Mühe, die richtigen Übersetzungen zu machen. Ja, und zum Beispiel nach dem Konzert von Konrad Pawicki, den wir gerade gehört haben, kamen die Leute zu mir und sagten: Ach, wie fantastisch, endlich mal, ich habe nicht sehr viel verstanden, aber das macht nichts.

Kassel: Vielleicht ist es auch eine Motivation, Polnisch zu lernen, was wirklich nicht leicht ist, aber das heißt ja nicht, dass man’s nicht versuchen kann.

Muza: Och, och, och … untertreiben Sie die deutsche Sprache nicht. Also das Wort Eichhörnchen ist schon eine Herausforderung.

Kassel: Ja, was glauben Sie, was für eine Herausforderung für mich "Spiewana" ist, das heißt nur gesungen, also ich meine, das heißt noch nicht mal Eichhörnchen. Was heißt Eichhörnchen auf Polnisch?

Muza: Wiewiórka.

Kassel: Zwei Dinge sollten wir am Schluss erwähnen: Zum einen natürlich, die Frühlingskonzerte laufen, es hat schon Konzerte gegeben. Aber es gibt noch eine Menge Veranstaltungen, worüber wir Sie hier im Deutschlandradio informieren. Wir haben ja unsere "Kulturtipps", wo wir ein paar erwähnen werden. Es wäre aber ungerecht, nicht zu erwähnen, dass Sie ja nicht nur über Musik sprechen, sondern ja auch selber natürlich ganz viel Musik machen und gemacht haben, Frau Muza. Und deshalb sei auch erwähnt, dass es eine, selbstverständlich auch zweisprachige Internetseite von Ihnen gibt, muza.de. Und da kann man dann auch das, über all das wir heute nicht reden konnten, nachlesen.

Celina Muza, Danke fürs Kommen. Und ich wünsche allen, die sich die Mühe machen, nach Berlin zu kommen zu einer der Veranstaltungen, ganz viel Spaß, wenn Sie diese Musik entdecken. Danke.

Muza: Dziękuję bardzo.

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