Menschen, Macht und Ideale

Rezensiert von Paul Stänner |
Dass Menschen sich verändern, wenn sie Macht ausüben, ist bekannt. Mitunter wandeln sich aber auch unter dem Einfluss eines Amtes ihre Ideale. Der amerikanische Publizist Paul Berman befasst sich in seinem Buch "Idealisten an der Macht" vornehmlich mit dem Grünen-Politiker Joschka Fischer. Er verfolgt dessen Werdegang vom PLO-Anhänger bis zum deutschen Außenminister, der Soldaten auf den Balkan entsendet.
Fischer: "Ich war militant, ich war in Prügeleien mit Polizeibeamten verwickelt ... ich habe die Steine einfach in die Luft geworfen."

Joschka Fischer vor dem Bundestagsuntersuchungsausschuss. Im Januar 2001 veröffentlichte der STERN Fotos von einem Steine werfenden Joschka Fischer aus dem Jahr 1973. Diese Kampagne war die Initialzündung für Paul Berman, zunächst einen Artikel, dann ein ganzes Buch zu schreiben über die Generation Fischer, über die 68er, wie man sie bei uns nennt, über die Neue Linke, wie sie in Amerika und Großbritannien heißt. "Idealisten an der Macht" lautet der Titel und die Unterzeile "Die Passion des Joschka Fischer" zeigt schon an, dass Berman diese Geschichte exemplarisch an Fischers Werdegang entlang erzählt. Dabei dient ihm die parallele Geschichte der französischen Linken, exemplarisch durchgezogen am Beispiel des Arztes Bernhard Kouchner, als Vergleich, um zu zeigen, wie aus derselben Wurzel sehr unterschiedliche Pflanzen wachsen können.

Paul Berman ist ein Publizist, der für die Elite der amerikanischen Zeitungen und Magazine schreibt. Er hat sich hervorgetan mit einem Buch über "Terror und Liberalismus", und in gewisser Weise ist das Buch über Fischer und die 68er eine Fortsetzung dieses Ansatzes. Berman beschreibt die Herkunft der Neuen Linken aus einer engagierten Haltung gegen die Nationalsozialisten und ihren Wandel im Lauf der Jahre. Im Falle Joschka Fischers zum Beispiel den Weg vom Linksradikalen, der 1969 in Algier an einer PLO-Tagung teilnimmt, auf der rituell der Untergang Israels beschworen wird, zum Außenminister, der 2001 in Tel Aviv spontan an den Tatort eines Bombenanschlags eilt. Berman schreibt:

"Und es war Fischer, der es – deutlicher als jeder seiner Außenministerkollegen, als jeder religiöse Führer oder weltweit bekannte Prominente – auf sich nahm, Arafat persönlich entgegenzutreten; es war Fischer, der (…) Arafat erregt kritisierte und ihn sogar nötigte, eine Art Waffenstillstand auszurufen. Der einstige militante Befürworter der PLO-Politik war jetzt ein militanter Gegner des palästinensischen Terrors."

Dem vorausgegangen war der politisch-moralische Umschlag: Ausgerechnet Fischer machte es möglich, dass deutsche Truppen in einen Kampfeinsatz ins Ausland, in den Kosovo, geführt wurden. Nie wieder Krieg! bedeutete eben auch: Nie wieder Auschwitz!

"Fischer musste sich mit Sicherheit vergegenwärtigen: Wenn ich für Gewaltanwendung gegen den Nazismus in seiner gegenwärtigen Erscheinungsform bin, der als serbischer Rassismus daher kommt, wird man mir dann nicht Charakterlosigkeit vorwerfen? So kam es dann auch. Der Außenminister billigte die Intervention. Deutschland, das einst dem Nazismus nicht widerstanden hatte, widerstand ihm jetzt. Zaghaft nur, so mag man hier einwenden. Und dennoch: Deutsche Soldaten verließen das deutsche Staatsgebiet mit dem Ziel, anderswo Leben zu retten. Etwas Neues unter der Sonne!"

Bermans Maxime ist etwas, was er als die letzte und höchste politische Idee der Neuen Linken sieht und mit seinem Buch propagieren möchte: ein liberaler Interventionismus, wobei "liberal" im Amerikanischen etwas linker klingt als im Deutschen. Sein Maßstab für politischen Idealismus ist die Frage: Bin ich bereit, für meine Ideale - also Freiheit, Demokratie, Menschenrechte - in den Krieg zu ziehen oder nicht? Joschka Fischer, früher Idealist und nun dann deutscher Außenminister im dreiteiligen Anzug, hat hier letztendlich versagt: Im Fall Kosovo hat er alles richtig gemacht, im Fall Irak hat er seine Ideale verraten. Berman ist weit davon entfernt, die Bush-Administration zu loben, aber er unterstützt ihre Invasion in den Irak. Das hätte die Linke - folgt man Berman - auch tun sollen. Aber die Linke vor allem in Deutschland verhielt sich ablehnend, während beispielsweise Fischers politischer Weggefährte aus Frankreich, der Menschenrechtsaktivist und Gründer von "Ärzte ohne Grenzen", Bernhard Kouchner, den Einmarsch befürwortete und im besetzten Irak gearbeitet hat. Kouchner hat sich seinen Idealismus bewahrt, Fischer nicht.

Bermans Buch wird sicherlich lange Zeit wichtig bleiben, weil der Autor eine interessante Geschichte dieser ihm nahestehenden politischen Richtung geschrieben hat – und zwar spannend und mit typisch amerikanischer Nonchalance. Bill Clinton soll das Buch in einer Nacht durchgelesen haben, das versteht man. Aber Bermans Schlussfolgerung aus der Geschichte, seine Forderung nach einem moralischen Interventionismus, erscheint dann doch zu naiv gedacht.

Paul Berman: Idealisten an der Macht
Die Passion des Joschka Fischer

Aus dem Amerikanischen von Helmut Dierlamm und Werner Roller
Siedler Verlag Berlin 2006
288 Seiten, 19,95 Euro
Der ehemalige Studentenführer Daniel Cohn-Bendit gratuliert dem designierten hessischen Umwelt- und Energieminister Joschka Fischer nach dessen Bestätigung durch die Landesversammlung der Grünen am 27. Oktober 1985.
Der ehemalige Studentenführer Daniel Cohn-Bendit gratuliert dem designierten hessischen Umwelt- und Energieminister Joschka Fischer nach dessen Bestätigung durch die Landesversammlung der Grünen am 27. Oktober 1985.© AP Archiv