Menschen als Medieninstallationen
Er lässt Strafgefangene Klaviere zerhacken und sieht darin eine Referenz an einen Stummfilm mit Laurel & Hardy. Er zieht Kinobesucher nachts in einen Park und macht sie zu Statisten in einem Film, der aufhört, sobald die Zuschauer gehen. Der Künstler Clemens von Wedemeyer offenbart in seinen Werken die Mittel und Formen der Filmkunst.
Zwei junge Männer schlagen auf ein Klavier ein. Mit großen Hämmern holen sie immer wieder aus. Schlagen zu.
Sie hacken Klavier wie Holz. Wortlos. Konzentriert. Die Szene ist Teil einer Videoarbeit von Clemens von Wedemeyer.
Clemens von Wedemeyer: "Es war im Sommer. Wir waren eingeladen, im Gefängnis eine Arbeit zu machen. Wir haben dort mit Leuten, die im Gefängnis sind, zusammengearbeitet - und die spielen eben. Ich habe dort vorgeschlagen, ein Remake zu drehen von einem Stummfilmklassiker - und wir haben dort im Grunde eine Woche lang gearbeitet und haben den Film gedreht."
Clemens von Wedemeyer sitzt vor einer ruinösen Fabrikloftwand im Atelier in Berlin-Kreuzberg. Knetet leicht nervös das Gestell einer Nickelbrille vor sich auf dem Tisch. Er ist Anfang 30. Schmales Gesicht, ernster Blick. Hose. Pulli. Turnschuhe. Keinerlei Spuren kreativer Tätigkeit. Ein Videokünstler kommt ohne Malerkittel aus. Was er dem Direktor des Gefängnisses in jenem Sommer vorschlug, war ein Remake des Stummfilms "Big Business".
Es ist ein Film mit Stan Laurel und Oliver Hardy. Die beiden versuchen, einem Mann einen Weihnachtsbaum zu verkaufen. Mitten im Sommer. Natürlich will der nicht. Die drei geraten aneinander. Stan und Ollie nehmen sich sein Haus vor, er ihr Auto.
Clemens von Wedemeyer: " ... und am Ende ist eben das Klavier dran, das stand da noch. Und da ist es auch schon so bei Stan und Ollie, dass das Symbole des Bürgerlichen sind. Das Haus mit Vorgarten. Und das Auto, das neu angeschaffte. Im Grunde scheitert dieser Versuch, etwas zu verkaufen und es scheitert überhaupt der Anfang, sich so eine Existenz aufzubauen."
Clemens von Wedemeyer verlegt dieses Scheitern direkt ins Gefängnis. Und nicht in irgendeins: Die sächsische Justizvollzugsanstalt Waldheim ist eine der größten Europas, in der im Dritten Reich und dann in der DDR politische Gefangene inhaftiert waren. Hier, wo Insassen heute damit beschäftigt werden, kleine Gartenhäuschen zusammenzuzimmern, schlagen sie nun vor seiner Kamera ein solches zu Kleinholz.
" ... Das waren jetzt ja auch nicht die Gefangenen, die das kaputt gemacht haben! Sondern es war die Anlage des Films, die das vorsah!"
Das ist ihm wichtig: Dass da eine Handlung entstanden ist, die nur durch die Anwesenheit eines Filmteams möglich war - die Film ist.
"Ein Meter? Ein Meter!"
Der Film "Occupation", übersetzt "Beschäftigung", aber auch "Besetzung". Clemens von Wedemeyers Team dreht ein Filmteam. Man sieht Regisseur und Aufnahmeleiterin, die versuchen, eine Menschenmasse zu bewegen.
"Die Ausgangsidee dazu war, dass man die Kinozuschauer aus einem Kino herausnimmt - also etwa 200 Personen - und sie auf eine Wiese stellt, in der Nacht - und um sie herum befindet sich eben nicht mehr der Film, der in einem Kino normalerweise stattfindet und Macht auf Augen und Ohren ausübt, sondern ein Filmteam, das direkt Macht auf die zu Statisten mutierten Kinozuschauer ausübt.
Und am Ende laufen die Darsteller eben weg und der Film ist vorbei und mit ihm ist auch dieses Produktionsteam vorbei - und das war eben eine einfache Auseinandersetzung mit den Mitteln der Dramaturgie und den Mitteln des Kinos."
Unschärfen, Lichter, die irritieren, statt zu orientieren. Schnitte, die aufreißen, statt Geschichten zu erzählen. Die Filme buchstabieren ein Alphabet filmischer Mittel, die zeigen, dass die Welt nicht so einfach ist, wie die meisten Bilder sie zeigen. Wäre Clemens von Wedemeyer Architekt, ein Haus von ihm sähe wohl aus wie das Vexierbild eines M.C. Escher: labyrinthisch, das Innerste nach Außen gekehrt.
"Ich habe nicht an der Filmhochschule studiert, sondern an der Kunsthochschule - und da ging es dann eher um das, was um den Film herum ist. Nicht nur, was dargestellt ist, sondern warum etwas dargestellt ist."
Das war an der renommierten Kunsthochschule in Leipzig. Wo er in seiner Klasse der einzige war, der mit Video arbeitete. Schon mit 15 hat er angefangen zu fotografieren. Er ist in Göttingen in einer "ganz normalen bürgerlichen Familie" aufgewachsen - wie er sagt. Ein Bruder ist Künstler. Ein anderer Architekt. Aber solche biographischen Daten findet er komplett uninteressant.
"Eltern, Freunde, Geschwister - sind wichtig. Aber für die Arbeit - da bin ich nicht so sicher. Es geht um Konflikte, um Diskussion, um Zusammenarbeit - und das ist eben, glaube ich, wichtiger als so etwas wie Herkunft!"
Mittlerweile hat er eine Einzelausstellung gehabt im berühmten PS1, dem Zentrum für zeitgenössische Kunst des Museum of Modern Art in New York und im Kölnischen Kunstverein, hat Preise bekommen, Stipendien. Trotzdem wirkt er bescheiden - zum Beispiel in seiner Skepsis gegenüber dem, was seine Kunst bewirken kann.
"Eigentlich gar nichts groß! Sie kann Licht ins Auge werfen und dann hat man was gesehen. Und dann geht man raus aus dem Kino und guckt sich um, was sonst noch so in der Straße passiert. Es geht eher darum, überhaupt die Differenz zu verstehen zwischen dem, was drinnen passiert und draußen. Das reicht eigentlich schon."
Hinweis:
Wer sich einen eigenen Eindruck von den Arbeiten des Videokünstlers Clemens von Wedemeyer verschaffen möchte, der kann dies aktuell noch bis zum 30. September in Münster tun, auf dem Werk-Parcours der Skulptur Projekte.
Sie hacken Klavier wie Holz. Wortlos. Konzentriert. Die Szene ist Teil einer Videoarbeit von Clemens von Wedemeyer.
Clemens von Wedemeyer: "Es war im Sommer. Wir waren eingeladen, im Gefängnis eine Arbeit zu machen. Wir haben dort mit Leuten, die im Gefängnis sind, zusammengearbeitet - und die spielen eben. Ich habe dort vorgeschlagen, ein Remake zu drehen von einem Stummfilmklassiker - und wir haben dort im Grunde eine Woche lang gearbeitet und haben den Film gedreht."
Clemens von Wedemeyer sitzt vor einer ruinösen Fabrikloftwand im Atelier in Berlin-Kreuzberg. Knetet leicht nervös das Gestell einer Nickelbrille vor sich auf dem Tisch. Er ist Anfang 30. Schmales Gesicht, ernster Blick. Hose. Pulli. Turnschuhe. Keinerlei Spuren kreativer Tätigkeit. Ein Videokünstler kommt ohne Malerkittel aus. Was er dem Direktor des Gefängnisses in jenem Sommer vorschlug, war ein Remake des Stummfilms "Big Business".
Es ist ein Film mit Stan Laurel und Oliver Hardy. Die beiden versuchen, einem Mann einen Weihnachtsbaum zu verkaufen. Mitten im Sommer. Natürlich will der nicht. Die drei geraten aneinander. Stan und Ollie nehmen sich sein Haus vor, er ihr Auto.
Clemens von Wedemeyer: " ... und am Ende ist eben das Klavier dran, das stand da noch. Und da ist es auch schon so bei Stan und Ollie, dass das Symbole des Bürgerlichen sind. Das Haus mit Vorgarten. Und das Auto, das neu angeschaffte. Im Grunde scheitert dieser Versuch, etwas zu verkaufen und es scheitert überhaupt der Anfang, sich so eine Existenz aufzubauen."
Clemens von Wedemeyer verlegt dieses Scheitern direkt ins Gefängnis. Und nicht in irgendeins: Die sächsische Justizvollzugsanstalt Waldheim ist eine der größten Europas, in der im Dritten Reich und dann in der DDR politische Gefangene inhaftiert waren. Hier, wo Insassen heute damit beschäftigt werden, kleine Gartenhäuschen zusammenzuzimmern, schlagen sie nun vor seiner Kamera ein solches zu Kleinholz.
" ... Das waren jetzt ja auch nicht die Gefangenen, die das kaputt gemacht haben! Sondern es war die Anlage des Films, die das vorsah!"
Das ist ihm wichtig: Dass da eine Handlung entstanden ist, die nur durch die Anwesenheit eines Filmteams möglich war - die Film ist.
"Ein Meter? Ein Meter!"
Der Film "Occupation", übersetzt "Beschäftigung", aber auch "Besetzung". Clemens von Wedemeyers Team dreht ein Filmteam. Man sieht Regisseur und Aufnahmeleiterin, die versuchen, eine Menschenmasse zu bewegen.
"Die Ausgangsidee dazu war, dass man die Kinozuschauer aus einem Kino herausnimmt - also etwa 200 Personen - und sie auf eine Wiese stellt, in der Nacht - und um sie herum befindet sich eben nicht mehr der Film, der in einem Kino normalerweise stattfindet und Macht auf Augen und Ohren ausübt, sondern ein Filmteam, das direkt Macht auf die zu Statisten mutierten Kinozuschauer ausübt.
Und am Ende laufen die Darsteller eben weg und der Film ist vorbei und mit ihm ist auch dieses Produktionsteam vorbei - und das war eben eine einfache Auseinandersetzung mit den Mitteln der Dramaturgie und den Mitteln des Kinos."
Unschärfen, Lichter, die irritieren, statt zu orientieren. Schnitte, die aufreißen, statt Geschichten zu erzählen. Die Filme buchstabieren ein Alphabet filmischer Mittel, die zeigen, dass die Welt nicht so einfach ist, wie die meisten Bilder sie zeigen. Wäre Clemens von Wedemeyer Architekt, ein Haus von ihm sähe wohl aus wie das Vexierbild eines M.C. Escher: labyrinthisch, das Innerste nach Außen gekehrt.
"Ich habe nicht an der Filmhochschule studiert, sondern an der Kunsthochschule - und da ging es dann eher um das, was um den Film herum ist. Nicht nur, was dargestellt ist, sondern warum etwas dargestellt ist."
Das war an der renommierten Kunsthochschule in Leipzig. Wo er in seiner Klasse der einzige war, der mit Video arbeitete. Schon mit 15 hat er angefangen zu fotografieren. Er ist in Göttingen in einer "ganz normalen bürgerlichen Familie" aufgewachsen - wie er sagt. Ein Bruder ist Künstler. Ein anderer Architekt. Aber solche biographischen Daten findet er komplett uninteressant.
"Eltern, Freunde, Geschwister - sind wichtig. Aber für die Arbeit - da bin ich nicht so sicher. Es geht um Konflikte, um Diskussion, um Zusammenarbeit - und das ist eben, glaube ich, wichtiger als so etwas wie Herkunft!"
Mittlerweile hat er eine Einzelausstellung gehabt im berühmten PS1, dem Zentrum für zeitgenössische Kunst des Museum of Modern Art in New York und im Kölnischen Kunstverein, hat Preise bekommen, Stipendien. Trotzdem wirkt er bescheiden - zum Beispiel in seiner Skepsis gegenüber dem, was seine Kunst bewirken kann.
"Eigentlich gar nichts groß! Sie kann Licht ins Auge werfen und dann hat man was gesehen. Und dann geht man raus aus dem Kino und guckt sich um, was sonst noch so in der Straße passiert. Es geht eher darum, überhaupt die Differenz zu verstehen zwischen dem, was drinnen passiert und draußen. Das reicht eigentlich schon."
Hinweis:
Wer sich einen eigenen Eindruck von den Arbeiten des Videokünstlers Clemens von Wedemeyer verschaffen möchte, der kann dies aktuell noch bis zum 30. September in Münster tun, auf dem Werk-Parcours der Skulptur Projekte.