Memoiren von Michelle Obama

"Sie ist eine Influencerin"

Michelle Obama während eines Fernsehauftritts in der NBC Today Show am 11. Oktober 2018 winkt Fans zu.
Michelle Obama während eines Fernsehauftritts in der NBC Today Show am 11. Oktober 2018. © imago / ZUMA Press
Martin Thunert im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 13.11.2018
Nein, das Buch sei keine Bewerbung für eine mögliche Präsidentschaft, sagt der Politikwissenschaftler Martin Thunert über die Memoiren von Michelle Obama. Diese erscheinen heute unter dem Titel "Becoming" und sind vor allem sehr persönlich.
Stephan Karkowsky: Das Männermagazin "Playboy" hat neulich eine Umfrage in Auftrag gegeben, wen Eltern ihren Söhnen als Vorbild empfehlen würden. Auf Platz eins, vor Bill Gates und Jesus, landete Barack Obama. Eigentlich unfair, denn nicht wenige halten Obamas Ehefrau Michele längst für die Beliebtere, zumal sie noch unbefleckt ist von dem Stress des Politikalltags. Heute erscheinen in den USA Michelle Obamas Memoiren unter dem Titel "Becoming", und man kann sie auch schon auf Deutsch kaufen. Ob man dieses Buch als Bewerbung lesen sollte für ihre Präsidentschaftskandidatur gegen Trump, das frage ich den Politikwissenschaftler Doktor Martin Thunert vom Heidelberg Center for American Studies. Herr Thunert, Michelle hat das ja mehr als einmal dementiert. Lebt diese Idee also nur von Hope, der Hoffnung ihrer Fans?
Martin Thunert: ich denke, sie lebt tatsächlich primär von der Hoffnung ihrer Fans. Sie hat das mehrmals ausgeschlossen, und das Buch ist, glaube ich, kein Bewerberbuch. Es ist ein sehr persönliches Buch, das ist eine "Wie ich wurde, was ich bin"-Biografie, so auch der Titel, "Becoming". Ich denke, dass sie auch mehrmals auch in dem Buch schreibt, dass sie das politische Geschäft eigentlich anwidert in den USA, dass sie das sich und ihrer Familie nicht antun möge. Und sie hat mehrmals gesagt, sie wäre für eine Politik zu haben, die idealistisch ist, die moralisch ist. "When they go low, we go high", also wenn sie unter die Gürtellinie schlagen, kämpfen wir drüber. Und viele sind sich nicht sicher, ob sie dafür die richtige Kandidatin wäre, wenn es doch nachher beim Kampf auch gegen Trump unter die Gürtellinie ginge. Also ich denke, sie macht es nicht, und es ist kein Bewerberbuch. Schon das Buchcover, glaube ich, ist nicht das einer Präsidentschaftsbewerberin.

"Sie besetzt einen vorpolitischen Raum"

Karkowsky: Sondern? Was sieht man darauf?
Thunert: Da ist sie eher eben wie eine kulturelle Ikone, glaube ich, gepostet auf dem Bild. Und sie besetzt einen vorpolitischen Raum. Sie ist eine, modern gesagt, Influencerin. Sie will Vorbild sein für junge Frauen, vor allen Dingen Frauen, die farbig sind, die Minderheiten angehören, aber auch Frauen ihrer Generation. Wie sie mit Stress, wie sie mit der Ehe, mit Beruf und Pflege der Eltern und so weiter klarkommen. Ich denke, sie sieht ihren Einfluss eher kulturell, kultursoziologisch, und nicht so sehr als Berufspolitikerin. Deswegen würde es mich sehr überraschen, wenn sie ihre Meinung ändert. Wobei ich glaube, sie wird mehrmals dazu aufgefordert werden. Aber ich denke, sie bleibt dabei, sie macht es nicht. Sonst hätte sie vielleicht nach dem Ende des Weißen Hauses auch für ein Amt kandidiert, so wie Hillary Clinton damals, vor 19 Jahren.
Karkowsky: Wir können ja mal umgekehrt fragen. Wäre Amerika, also die USA des Donald Trump, wäre dieses Land heute für eine schwarze Frau an der Spitze bereit?
Thunert: Es war 2008 für einen schwarzen Präsidenten, einen Mann, bereit, und ich denke, es wäre auch für eine Frau bereit. Hillary Clinton ist nur sehr knapp gescheitert. Sie hat sogar mehr Stimmen gehabt als Donald Trump 2016, das dürfen wir nicht vergessen. Und ich denke, sie wären im Grundsatz auch für eine schwarze Frau bereit. Aber man muss sich eben in diese Schlammschlacht auch einlassen, die die Wahlkampfpolitik in den USA ist, und das schreckt einige ab. Wobei es wahrscheinlich bei den Demokraten, das werden wir nächstes Jahre sehen, eine schwarze Frau, die Senatorin Kamala Harris aus Kalifornien, höchstwahrscheinlich ihren Hut in den Ring werfen, und vielleicht sogar noch ein paar andere weiße Frauen, Senatorinnen aus New York, aus Minnesota. Also, es wird zumindest bei den Demokraten weibliche Bewerberinnen in den Vorwahlen geben. Und eines Tages dürfte auch Nikki Haley, die jetzt ausgehende UNO-Botschafterin Trumps, möglicherweise in dieser Partei kandidieren, wenn auch nicht vielleicht 2020, sondern später.
Karkowsky: Die meisten Journalisten durften das Buch nicht vorab lesen. Unsere Rezensentin liest heute den ganzen Tag, damit wir morgen früh dann eine Rezension hier haben. Aber es gab schon ein paar Zitate daraus zu lesen. Michelle schreibt unter anderem: "Ich war noch nie ein Fan von Politik, und meine Erfahrung der letzten zehn Jahre hat wenig dazu beigetragen, das zu ändern." Ich glaube ihr das nicht. Wie geht es Ihnen?
Thunert: Ich glaube ihr das schon, denn, ich hatte es ja eben schon gesagt, sie kennt das US-Geschäft, sie hat das hautnah gesehen, und sie hat vor allen Dingen auch 2012 gesehen, wie sich damals Donald Trump an die Spitze der sogenannten Birther-Bewegung gestellt hat, die die Staatsbürgerschaft Barack Obamas, also seine Geburt in den USA, angezweifelt hat. Und das ist auch, was sie Trump in dem Buch, soweit ich Auszüge gelesen habe, sehr übel nimmt. Es geht weniger um seine Politik als Präsident, die gefällt ihr auch nicht, aber diese Dinge, dass es sehr schnell persönlich wird.
Es gibt auch eine Theorie, die besagt, Donald Trump kann vielleicht nur von einem Mann seinesgleichen, also auch einem älteren weißen Mann geschlagen werden. Wenn wir uns anschauen, wer bei den Demokraten im Moment diese noch sehr unklaren Umfragen anführt, ist es Joe Biden, der ehemalige Vizepräsident, und Bernie Sanders, der knapp gescheiterte Kandidat. Beides Männer, die am Ende ihres siebten Lebensjahrzehnts oder ihres achten Lebensjahrzehnts stehen.

"Sie ist einfach noch über die Partei hinaus beliebt"

Karkowsky: Also wenn Michelle Obama sich selbst eher als unpolitisch beschreibt, keine politische Bilanz ihrer Zeit ziehen will im Weißen Haus, und ja wohl auch kein so richtiger Obamas-Intimbericht das werden kann, dann wird sie ein Buch über ihr Leben, ihre Gedanken, ein bisschen über Donald Trump, nach all dem, was man hört – vor allem aber ist es die Geschichte einer jungen schwarzen Frau aus Chicago, die es bis ins Weiße Haus geschafft hat. Ist das der Stoff, den die amerikanischen Leser wollen? Stehen die deswegen Schlange vor den Buchläden?
Thunert: Ich denke, schon. Sie ist einfach noch über die Partei hinaus beliebt. Sie ist, wie gesagt, als Rollenmodell, auch als Modell für gesunde Ernährung, für Sport, für eine gute Lebensführung, auch für eine moderne Familienpolitik, dafür ist sie da. Sie ist keine Berufspolitikerin in dem Sinne, dass sie in den einzelnen Politikfeldern sich engagiert hat. Da hat sie eine dezidiert andere Rolle gespielt auch als Hillary Clinton als First Lady, die sich schon in Politikfeldern wie zum Beispiel in der Gesundheitspolitik schon in ihrer Zeit als First Lady engagiert hat. Das hat Michelle nicht gemacht. Sie wirkt eher in einem Raum zwischen Politik und Kultur, ganz wie etwa auch die Moderatorin Oprah Winfrey, die auch heute bei der Buchvorstellung, wie Sie es schon sagten, dabei sein wird, und der man ähnliche Ambitionen nachsagt. Die hat vielleicht die Ambition. Ich glaube, wenn von den beiden Frauen jemand kandidiert, dann eher Frau Winfrey als Frau Obama.
Buchcover von Michelles Obamas "Becoming – Meine Geschichte".
Michelle Obama: Becoming – Meine Geschichte© Goldmann
Karkowsky: Nun sind alle schlafenden Hunde in den USA längst wach, deswegen kann ich ohne schlechtes Gewissen auch fragen, wie gefährlich ist ein solches Buch eigentlich für Michelle Obama im Jahr eins nach Trump? Glauben Sie, dass die Trump-Anhänger sich dadurch so provoziert fühlen, dass sie ähnlich vehement gegen sie vorgehen werden wie gegen Hillary Clinton? Da gibt es ja immer noch die Sprechchöre "Sperrt sie ein! – Lock her up!".
Thunert: Nein. Ich glaube, Frau Obama ist skandalfrei, und sie ist wie gesagt – ich glaube nicht, dass das Buch als ein Bewerbungsbuch einer Politikerin gelesen wird. Ob sich Trump darüber lächerlich machen wird, sicherlich, über die Angriffe auf ihn wird er einen Tweet absetzen, er wird sich da nicht zurückhalten können. Aber ich denke nicht, dass man mit Frau Obama so umgeht wie mit Hillary Clinton, denn sie kandidiert nicht, und wenn ich recht behalte, wird sie auch nicht kandidieren. Aber wie gesagt, ich würde darauf nicht wetten. Menschen können ihre Auffassung ändern, es kann ein starker Druck erzeugt werden, dass sie noch mal in sich gehen wird. Aber von ihrer Konzeption her, glaube ich, ist das kein Bewerberinnenbuch für das höchste politische Amt der USA.
Karkowsky: Das sagt der Politikwissenschaftler Doktor Martin Thunert vom Heidelberg Center for American Studies in Heidelberg zum neuen Buch von Michelle Obama, "Becoming", das heute weltweit auch hier bei uns auf Deutsch erscheint. Herr Thunert, Ihnen herzlichen Dank!
Thunert: Bitte schön, gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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