Memoiren eines der "letzten Galizianer“

Der polnische Publizist Adam Zielinski, der 1929 in einer galizischen Kleinstadt bei Lemberg geboren wurde, hält in einem neuen Buch seiner auf zehn Bände angelegten Werkausgabe einen Lebensrückblick. Es beinhaltet Betrachtungen der geteilten Welt im Kalten Krieg. Und man kann darin Prominenten wie Bruno Kreisky oder Stanisław Lem begegnen.
Als Chruschtschows Tauwetter im Herbst 1956 Polen erreicht und den Nationalkommunisten Władysław Gomułka an die Macht bringt, nutzen zahlreiche Intellektuelle die neuen Freiheiten, um einen Ausreiseantrag zu stellen. Unter ihnen ist auch ein junger Journalist des staatlichen Rundfunks in Krakau namens Adam Zielinski.

Im Herbst 1957 emigriert Zielinski nach Wien, macht dort Karriere in einem österreichischen Konzern und erwirbt später beträchtlichen Wohlstand als Export- und Importkaufmann im Handel mit Ostasien. Nur Kaufmann ist er allerdings nie. Geschäfte bilden für Zielinski nur die notwendige materielle Grundlage für ein möglichst freies Dasein zwischen Literatur, Publizistik und politischem Engagement.

Auch dem klassischen Bild des Emigranten entspricht Zielinski nicht, bleibt er doch wie kaum ein anderer mit der spezifischen Mentalität des alten multiethnischen Österreich verwoben. Nicht zuletzt von diesen besonderen Prägungen handeln Zielinskis Erinnerungen, die jetzt unter dem Titel "Hör nie auf zu lernen!" erschienen sind - als Teil einer auf zehn Bände angelegten Werkausgabe des Wieser Verlags.

Zielinskis überaus eigentümliche, zum Teil sogar skurril anmutende Geschäftstätigkeit, die in den frühen sechziger Jahren mit dem Einkauf von Teppichen in der Volksrepublik China ihren Ausgang nimmt, dient in diesen Erinnerungen als Kulisse für weit gespannte Betrachtungen der geteilten Welt im Kalten Krieg. Der Autor widmet sich dem Nachkriegs-Wien mit seinem ignoranten Verhältnis zu den Verstrickungen in die Nazi-Herrschaft ebenso wie den Schrecken der chinesischen Kulturrevolution, die er aus nächster Nähe beobachtet, oder aber dem jugoslawischen Bürgerkrieg, zu dessen unmittelbarem Zeugen er wird.

Zielinskis Gedanken zu Totalitarismus, Ideologie und Freiheitssehnsüchten des 20. Jahrhunderts verschmelzen mit den Porträts der Protagonisten, die er persönlich kannte. So gerät dann der serbische Erzähler Aleksandar Tišma in Verbindung mit den österreichischen Bundeskanzlern Julius Raab und Bruno Kreisky, der bosnische Kommunistenführer Branko Mikulić tritt ebenso als Freund des Autors in Erscheinung wie der polnische Schriftsteller Stanisław Lem. Das ergibt – trotz punktueller Überstrapazierung des Faktors Prominenz und gelegentlicher Abschweifungen in den Stil eines Rechenschaftsberichts – ein spannendes Panorama der Zeit.

Adam Zielinski wurde 1929 in der galizischen Kleinstadt Stryj bei Lemberg, in einer polnischen Bürgerfamilie mit jüdischen Vorfahren, geboren. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte Stryj zu Österreich gehört, 1918 kam es zur neuen polnischen Republik. Den Einmarsch der Nazis erlebte Zielinski mit 12 Jahren. Beide Eltern wurden ermordet, der Sohn überlebte in einem Versteck in Lemberg und kam bei Kriegsende nach Krakau. Nicht ohne Grund nennt man Adam Zielinski, den das multiethnische Leben seiner Geburtsstadt nachhaltig prägte, auch den "letzten Galizianer".

Rezensiert von Martin Sander

Adam Zielinski: Hör nie auf zu lernen. Erinnerungen,
Wieser Verlag, ca. 300 S., 21.00 €