Melde gehorsamst: Daten verkauft

Von Julius Stucke |
Das im Bundestag beschlossene Meldegesetz sorgt für große Aufregung. Nun muss nicht der Bürger der Datenweitergabe zustimmen, sondern er muss ihr widersprechen. Diese Widerspruchsregelung ist das Papier nicht wert, auf dem sie steht, meint Julius Stucke.
Ich liebe es! Wirklich – keine Ironie. Ich liebe es, wenn mich in unregelmäßigen Abständen freundliche Herren und Damen anrufen, um mit mir über Angebote und Vergleiche zur privaten Krankenversicherung zu reden, die ich nicht brauche. Ich habe dann regelmäßig großen Spaß, verwickle den Anrufenden in ein völlig sinnfreies Gespräch, stelle krude Gegenfragen, bis er oder sie irgendwann entnervt aufgibt.

Zugegeben: Ich wundere mich manchmal, wer mittlerweile alles meine Nummer bekommen hat, aber ich ärgere mich nicht. Ich habe kein Recht dazu, bin selber schuld, weil ich meine Daten irgendwann unvorsichtig dem Falschen gegeben habe.

Facebook hingegen habe ich meine Daten nicht gegeben – so vorsichtig bin ich dann doch. Und damit sind wir beim entscheidenden Punkt: Ich hatte eine Wahl, in beiden Fällen.

Das ist beim Ende Juni beschlossenen Meldegesetz nicht der Fall. Das Einwohnermeldeamt darf demnach meine Daten an Dritte weitergeben. Ich kann zwar widersprechen, allerdings nicht, wenn die Daten „zur Bestätigung oder Berichtigung bereits vorhandener Daten verwendet werden“. Das aber wird fast immer der Fall sein. „Wohnt Herr Soundso noch in dieser Straße – nur zum Abgleich versteht sich?“ " Nein, er wohnt jetzt hier und da.“ „Danke!“

Diese Widerspruchsregelung ist das Papier nicht wert auf dem sie steht. Ursprünglich war es so geplant: für eine Weitergabe der Daten hätte eine Zustimmung des Bürgers eingeholt werden müssen. Gut so.

Wir hätten dann eine Wahl gehabt. Hans-Peter Uhl von der CSU – nicht ganz unbeteiligt an der Änderung – glaubt, es sei den Meldeämtern nicht zuzumuten, bei jeder einzelnen Anfrage die Zustimmung einzuholen und es seien ja meist Anfragen von Bürgern, nicht von Firmen. Etwa um ehemalige Mitschüler für eine Abiturfeier ausfindig zu machen. Mit Verlaub, Herr Uhl, das ist kein Argument, das ist vorgezogener Karneval. Warum spricht denn das Gesetz dann ausdrücklich von Zwecken „der Werbung und des Adresshandels?“

Auch, wenn es hier um verhältnismäßig harmlose Daten geht. Adresse, Name, Doktortitel. Und auch, wenn viele von uns jeden Tag freiwillig oder wider besseren Wissens noch viel mehr preisgeben: in sozialen Netzwerken, auf der Jagd nach Paybackpunkten oder aufgrund notorischer Gewinnspielsucht. Der Staat sollte sich an diesem Treiben nicht beteiligen, nicht unsere Daten verkaufen, sondern uns schützen. Datenschutz – dabei geht es nicht um den Schutz von Daten, sondern den, von uns Bürgern.

Es ist also nur folgerichtig und unterstützenswert, wenn nun quer durch alle Parteien gefordert wird, dieses Gesetz zurückzunehmen. Wenn sich sogar die Regierung wünscht, dass ihr eigenes Gesetz im Bundesrat gestoppt wird. Ist das Thema damit beendet? War alles Medienhysterie? Ein Sommerlückenfüller abgehakt und im Grunde wird alles gut?

Nein! Denn erstens bleiben die Frage „Warum wurde der Gesetzestext einen Tag vor der Abstimmung geändert?“ und der Verdacht „Hier haben Lobbyisten einigen Volksvertretern den Stift gehalten.“ Das gilt es zu klären, zusätzlich zur notwendigen Änderung des Gesetzes.

Und zweitens hinterlässt der Weg dieses Gesetzes Spuren. Anstelle bürokratischer Mühlen, die langsam mahlen, anstelle von manchmal ermüdender Gründlichkeit wurde hier, zackzack, gehandelt. Eine kurzfristige Änderung des Gesetzestextes- und die Abstimmung von einem Häuflein Abgeordneter, die sich nicht das Italien-Deutschland-EM-Halbfinale angeschaut haben. Zweite Beratung, dritte Beratung, Schlussabstimmung – alles in unter einer Minute. Das ist rekordverdächtig, aber es ist nicht vertrauensbildend. Und wenn die Opposition betont, sie sei ja dagegen gewesen, warum hat sie nicht in ausreichender Zahl dagegen gestimmt? Oder auch das hätte angesichts der wenigen anwesenden Abgeordneten gereicht: Den Bundestag an jenem Abend für beschlussunfähig erklären lassen.

Der Weg, den dieses Gesetz genommen hat zerstört das eh schon geschundene Vertrauen in die Politik. Und es führt leider auch manche ermahnende Datenschutzbemühung gegenüber großen Unternehmen – Facebook, Google, etc. – ad absurdum. Von denen könnt ihr so nicht mehr erhobenen Hauptes Datenschutz fordern.

Ihr, liebe Volksvertreter, habt uns in diesem Fall nicht vertreten, sondern verkauft. Da fällt es schwer, euch zuzutrauen, dass ihr in den wirklich großen Fragen – Europa und der Euro – in unserem Interesse entscheidet.
Und: Ja, ihr hattet die Wahl!

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