Meisterwerke euphemistischer Diplomatie
24.01.2011
"Mit herzlichen Grüßen" enden die meisterhaft verfassten Entlassungsbriefe des Icherzählers in gleichnamiger Satire auf die italienische Arbeitswelt. Der Autor Andrea Bajani hat in seinem Debütroman mit lakonischem Humor eigene Erfahrungen verarbeitet.
Der Ort, an dem der Roman "Mit herzlichen Grüßen" des italienischen Autors Andrea Bajani spielt, heißt ganz einfach "die Firma". Der Leser erfährt weder, um was für eine Firma es sich handelt, noch in welcher Stadt sie sich befindet. Sie ist, ähnlich wie "Das Schloss" in Franz Kafkas gleichnamigem Roman, ein parabelhafter und abstrakter Ort.
Andrea Bajanis Debütroman, der vor fünf Jahren in Italien erschien und sich dort sofort zu einem Überraschungsbestseller entwickelte, spielt in der zeitgenössischen Wirtschafts- und Arbeitswelt. Er gehört dem Genre der satirischen Burleske an, hat aber mit dem Romanklassiker Kafkas eines gemeinsam: die Undurchsichtigkeit des Systems, die Unheimlichkeit seiner Machtinstanzen und der absurden Vorgänge in ihm.
Der Angestellte einer Firma, zugleich der Icherzähler des Romans, wird eines Tages von seinem Chef mit einer sehr speziellen und sehr delikaten Aufgabe betraut. Er soll die Kündigungsschreiben des ganzen Hauses verfassen. Der Kollege, der für die Briefe bislang zuständig war, wurde seinerseits entlassen.
Der neu ernannte Verfasser der Kündigungsschreiben, die in die Romanerzählung integriert sind, erweist sich als wahrer Künstler. Seine mehrere Seiten langen Briefe sind Meisterwerke euphemistischer Diplomatie, poetische Nacherzählungen der Firmengeschichte, kleine Traktate über Sinn und Zweck des Lebens, des Arbeitens bzw. des Nicht-Mehr-Arbeitens, und sie sind immer individuell gestaltet.
Der Entlassungsbriefschreiber setzt sich in seinen Briefen persönlich mit den entlassenen Angestellten auseinander, die sich geschmeichelt fühlen dürfen, bis sie zu den letzten, standardisierten Zeilen der Briefe gelangen. In ihnen steht, wo und wann sie ihre Papiere abholen können, darunter die Wendung "Mit herzlichen Grüßen", die dem Buch auch als Titel dient.
Seinen lakonischen Humor verdankt der höchst vergnüglich zu lesende Roman mehreren Quellen. Zum einen parodiert er das literarische Genre des Briefromans, zum anderen jene moderne Firmenphilosophie, die mit sogenannten weichen Methoden, mit Coaching, Psychotraining und Beratung die Arbeitsressourcen von Mitarbeitern zu steigern sucht.
Diese Philosophie aber, so darf man Bajanis Roman verstehen, dient lediglich dazu, die erbarmungslose Brutalität des Arbeitsmarktes zu verschleiern. So schön seine Kündigungsbriefe auch sind: Der Mann, der sie verfasst, hat in der Firma den Spitznamen "der Killer".
Andrea Bajani, der 1975 in Rom geboren wurde, in Turin lebt und inzwischen nur noch als Autor arbeitet, kennt den italienischen Arbeitsmarkt aus persönlicher Erfahrung. Wie viele Italiener hatte er lange Zeit mehrere Jobs gleichzeitig, arbeitete bis zu zwölf Stunden am Tag und wechselte innerhalb von zehn Jahren siebenmal die Arbeitsstelle. Sein Roman "Mit herzlichen Grüßen" ist ein amüsanter literarischer Mischling aus Günther Wallraff und Franz Kafka mit einer Portion commedia del´arte.
Besprochen von Ursula März
Andrea Bajani: Mit herzlichen Grüßen
Aus dem Italienischen von Pieke Biermann
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2010
138 Seiten, 12,90 Euro
Andrea Bajanis Debütroman, der vor fünf Jahren in Italien erschien und sich dort sofort zu einem Überraschungsbestseller entwickelte, spielt in der zeitgenössischen Wirtschafts- und Arbeitswelt. Er gehört dem Genre der satirischen Burleske an, hat aber mit dem Romanklassiker Kafkas eines gemeinsam: die Undurchsichtigkeit des Systems, die Unheimlichkeit seiner Machtinstanzen und der absurden Vorgänge in ihm.
Der Angestellte einer Firma, zugleich der Icherzähler des Romans, wird eines Tages von seinem Chef mit einer sehr speziellen und sehr delikaten Aufgabe betraut. Er soll die Kündigungsschreiben des ganzen Hauses verfassen. Der Kollege, der für die Briefe bislang zuständig war, wurde seinerseits entlassen.
Der neu ernannte Verfasser der Kündigungsschreiben, die in die Romanerzählung integriert sind, erweist sich als wahrer Künstler. Seine mehrere Seiten langen Briefe sind Meisterwerke euphemistischer Diplomatie, poetische Nacherzählungen der Firmengeschichte, kleine Traktate über Sinn und Zweck des Lebens, des Arbeitens bzw. des Nicht-Mehr-Arbeitens, und sie sind immer individuell gestaltet.
Der Entlassungsbriefschreiber setzt sich in seinen Briefen persönlich mit den entlassenen Angestellten auseinander, die sich geschmeichelt fühlen dürfen, bis sie zu den letzten, standardisierten Zeilen der Briefe gelangen. In ihnen steht, wo und wann sie ihre Papiere abholen können, darunter die Wendung "Mit herzlichen Grüßen", die dem Buch auch als Titel dient.
Seinen lakonischen Humor verdankt der höchst vergnüglich zu lesende Roman mehreren Quellen. Zum einen parodiert er das literarische Genre des Briefromans, zum anderen jene moderne Firmenphilosophie, die mit sogenannten weichen Methoden, mit Coaching, Psychotraining und Beratung die Arbeitsressourcen von Mitarbeitern zu steigern sucht.
Diese Philosophie aber, so darf man Bajanis Roman verstehen, dient lediglich dazu, die erbarmungslose Brutalität des Arbeitsmarktes zu verschleiern. So schön seine Kündigungsbriefe auch sind: Der Mann, der sie verfasst, hat in der Firma den Spitznamen "der Killer".
Andrea Bajani, der 1975 in Rom geboren wurde, in Turin lebt und inzwischen nur noch als Autor arbeitet, kennt den italienischen Arbeitsmarkt aus persönlicher Erfahrung. Wie viele Italiener hatte er lange Zeit mehrere Jobs gleichzeitig, arbeitete bis zu zwölf Stunden am Tag und wechselte innerhalb von zehn Jahren siebenmal die Arbeitsstelle. Sein Roman "Mit herzlichen Grüßen" ist ein amüsanter literarischer Mischling aus Günther Wallraff und Franz Kafka mit einer Portion commedia del´arte.
Besprochen von Ursula März
Andrea Bajani: Mit herzlichen Grüßen
Aus dem Italienischen von Pieke Biermann
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2010
138 Seiten, 12,90 Euro