Meisterwerk oder Schrott?
Vielen Ausstellungs- und Museumsbesuchern sind die geltenden Kriterien für "gute Kunst" völlig schleierhaft. Hanno Rauterberg verspricht, Licht ins Dunkel zu bringen mit seinem Band "Und das ist Kunst?! Eine Qualitätsprüfung".
Eine Künstlerin engagiert eine Werbeagentur, um sich selbst als junge erfolgreiche Künstlerin vermarkten zu lassen. Und viele Betrachter stehen ratlos davor und fragen sich: Ist das nun Kunst? Entsteht Kunst erst durch Vermarktung? Und: Ist das nun gute Kunst – oder schlechte? Warum ist es gut – warum schlecht?
An diese Betrachter richtet sich Hanno Rauterberg mit seinem Buch "Und das ist Kunst?!" Er will Mut machen zum eigenen Kunsturteil und plädiert für die Emanzipation der Kunstbetrachter von der professionellen Kunstkritik. Mit dieser geht der Kunstkritiker der Wochenzeitung "Die Zeit" hart ins Gericht: Bis zum Hals steckten die meisten Kollegen im Sumpf der Interessen des Kunstmarktes, mit niemandem wollten sie es sich verderben, für die Künstlerin und ihre Werbeagentur am liebsten gleichzeitig den Aufsatz im Katalog und den Bericht in der Zeitung schreiben. Unabhängige Kritik? Fehlanzeige! Ergebnis, so Rauterberg: 90 Prozent der auf Messen und Ausstellungen, selbst in Museen gezeigten Gegenwartskunst sei schlicht "Schrott".
Soweit – so deutlich. Doch was setzt Rauterberg dagegen? Zunächst einmal will er aufräumen mit "den zehn populärsten Irrtümern der Gegenwartskunst" – die Zahl ist absichtsvoll gewählt, hier sollen zehn geheiligte Gebote der modernen Kunst vom Sockel gestoßen werden: Nein, gute Kunst müsse nicht irritieren, sie müsse sich nicht verweigern, nicht wahrhaftig sein, nicht kritisch, nicht frei von Virtuosität – und, nein, auch nicht alles könne gute Kunst sein. Das ist so überspitzt formuliert wie es eine gute Polemik sein sollte. Nur weil ein Werk irritiert, nur weil es sich kritisch mit sozialer Ungerechtigkeit auseinandersetzt, ist es noch keine große Kunst. Aber hatte das vorher jemand behauptet?
Den zehn Geboten der Verweigerung setzt Rauterberg seinen eigenen Kanon entgegen – und der setzt nicht auf Abwehr, sondern auf Öffnung: Gute Kunst müsse "das Kunstgefühl des Betrachters rühren", sie sei nichts ohne Emotion und Einfühlung. Dem Betrachter solle das gute Werk "unvertraute Gefühle" bescheren – ihn nicht lediglich mit purer Gewalt schockieren oder mit reiner Schönheit betören. Nichts soll das Werk ihm aufzwingen, viel eröffnen. Verständlich soll es für ihn sein. Begeistern soll es ihn so, dass er es wieder sehen möchte. Seine Investition in Kunstbetrachtung und Beurteilung soll sogar "in einem produktiven Verhältnis zum Ertrag" stehen.
Was Rauterberg hier skizziert, ist nicht weniger als eine kopernikanische Wende im Kosmos der Kunst: Legionen von Zahlenreihen und Kalendarien aus dem unterkühlten Reich der Konzeptkunst landen im Abseits. Galerieräume voll rätselhafter Materialschlachten aus Industrieschrott und Alltagskrempel werden an die Peripherie verfrachtet. Autistisch um sich selbst kreisende Kunstbetriebs-Reflexionen werden schlicht als langweilig geoutet. Und im Zentrum erscheint stattdessen: Der Betrachter. Seine Gefühle. Erfahrungen. Erkenntnisse. Und plötzlich ist klar: Die Vermarktungskünstlerin mit ihrer Werbeagentur kann hier nicht punkten, denn viel zu schlicht verdoppelt ihr Konzept eine Realität, die den Alltag des Betrachters eh schon bis zum Erbrechen bestimmt. Viel zu wenig hat sie ihm zu bieten.
Wer hier im Namen der Freiheit der Kunst Einspruch erheben will, sollte Rauterbergs kluges Buch erst gründlich studieren. Dass der Betrachter Vorleistungen zu erbringen hat, sagt der Autor deutlich. Es geht nicht ohne das vergleichende Sehen, das Heinrich Wölfflin in die Kunstgeschichte eingeführt hat, nicht ohne fleißige Museums- und Ausstellungsbesuche. Mit dieser Arbeit darf und muss aber auch ein neues Selbstbewusstsein einhergehen – so Rauterberg. Und man kann sich tatsächlich gut ausmalen, wie viel reizvoller eine Gegenwartskunst sein könnte, die sich nicht mehr mit einem ratlosen, sondern mit diesem selbstbewussten Betrachter konfrontiert sähe. Unter all den "Gebrauchsanweisungen für Gegenwartskunst", die uns dieser "Kunstsommer" beschert hat, sticht Rauterbergs Buch auf jeden Fall als echter Denkanstoß hervor.
Rezensiert von Alexandra Mangel
Hanno Rauterberg: Und das ist Kunst?! Eine Qualitätsprüfung
S. Fischer Verlag
256 Seiten, 16,90 Euro
An diese Betrachter richtet sich Hanno Rauterberg mit seinem Buch "Und das ist Kunst?!" Er will Mut machen zum eigenen Kunsturteil und plädiert für die Emanzipation der Kunstbetrachter von der professionellen Kunstkritik. Mit dieser geht der Kunstkritiker der Wochenzeitung "Die Zeit" hart ins Gericht: Bis zum Hals steckten die meisten Kollegen im Sumpf der Interessen des Kunstmarktes, mit niemandem wollten sie es sich verderben, für die Künstlerin und ihre Werbeagentur am liebsten gleichzeitig den Aufsatz im Katalog und den Bericht in der Zeitung schreiben. Unabhängige Kritik? Fehlanzeige! Ergebnis, so Rauterberg: 90 Prozent der auf Messen und Ausstellungen, selbst in Museen gezeigten Gegenwartskunst sei schlicht "Schrott".
Soweit – so deutlich. Doch was setzt Rauterberg dagegen? Zunächst einmal will er aufräumen mit "den zehn populärsten Irrtümern der Gegenwartskunst" – die Zahl ist absichtsvoll gewählt, hier sollen zehn geheiligte Gebote der modernen Kunst vom Sockel gestoßen werden: Nein, gute Kunst müsse nicht irritieren, sie müsse sich nicht verweigern, nicht wahrhaftig sein, nicht kritisch, nicht frei von Virtuosität – und, nein, auch nicht alles könne gute Kunst sein. Das ist so überspitzt formuliert wie es eine gute Polemik sein sollte. Nur weil ein Werk irritiert, nur weil es sich kritisch mit sozialer Ungerechtigkeit auseinandersetzt, ist es noch keine große Kunst. Aber hatte das vorher jemand behauptet?
Den zehn Geboten der Verweigerung setzt Rauterberg seinen eigenen Kanon entgegen – und der setzt nicht auf Abwehr, sondern auf Öffnung: Gute Kunst müsse "das Kunstgefühl des Betrachters rühren", sie sei nichts ohne Emotion und Einfühlung. Dem Betrachter solle das gute Werk "unvertraute Gefühle" bescheren – ihn nicht lediglich mit purer Gewalt schockieren oder mit reiner Schönheit betören. Nichts soll das Werk ihm aufzwingen, viel eröffnen. Verständlich soll es für ihn sein. Begeistern soll es ihn so, dass er es wieder sehen möchte. Seine Investition in Kunstbetrachtung und Beurteilung soll sogar "in einem produktiven Verhältnis zum Ertrag" stehen.
Was Rauterberg hier skizziert, ist nicht weniger als eine kopernikanische Wende im Kosmos der Kunst: Legionen von Zahlenreihen und Kalendarien aus dem unterkühlten Reich der Konzeptkunst landen im Abseits. Galerieräume voll rätselhafter Materialschlachten aus Industrieschrott und Alltagskrempel werden an die Peripherie verfrachtet. Autistisch um sich selbst kreisende Kunstbetriebs-Reflexionen werden schlicht als langweilig geoutet. Und im Zentrum erscheint stattdessen: Der Betrachter. Seine Gefühle. Erfahrungen. Erkenntnisse. Und plötzlich ist klar: Die Vermarktungskünstlerin mit ihrer Werbeagentur kann hier nicht punkten, denn viel zu schlicht verdoppelt ihr Konzept eine Realität, die den Alltag des Betrachters eh schon bis zum Erbrechen bestimmt. Viel zu wenig hat sie ihm zu bieten.
Wer hier im Namen der Freiheit der Kunst Einspruch erheben will, sollte Rauterbergs kluges Buch erst gründlich studieren. Dass der Betrachter Vorleistungen zu erbringen hat, sagt der Autor deutlich. Es geht nicht ohne das vergleichende Sehen, das Heinrich Wölfflin in die Kunstgeschichte eingeführt hat, nicht ohne fleißige Museums- und Ausstellungsbesuche. Mit dieser Arbeit darf und muss aber auch ein neues Selbstbewusstsein einhergehen – so Rauterberg. Und man kann sich tatsächlich gut ausmalen, wie viel reizvoller eine Gegenwartskunst sein könnte, die sich nicht mehr mit einem ratlosen, sondern mit diesem selbstbewussten Betrachter konfrontiert sähe. Unter all den "Gebrauchsanweisungen für Gegenwartskunst", die uns dieser "Kunstsommer" beschert hat, sticht Rauterbergs Buch auf jeden Fall als echter Denkanstoß hervor.
Rezensiert von Alexandra Mangel
Hanno Rauterberg: Und das ist Kunst?! Eine Qualitätsprüfung
S. Fischer Verlag
256 Seiten, 16,90 Euro