Meisterin der Selbstinszenierung

Von Günter Kaindlstorfer |
Mit Lebensbeschreibungen über Leni Riefenstahl oder Johannes Heesters hat sich Jürgen Trimborn auf kritische Künstlerbiografien spezialisiert. Auch in seinem Buch "Hildegard Knef - Das Glück kennt nur Minuten" bekommt das gängige Bild der Schauspielerin und Sängerin ein paar Kratzer.
Hildegard Knef in ihrer Lieblingsrolle: als umjubelte Diva, die sich mit Berliner Humor und schnoddriger Schnauze immer wieder rausstrampelte aus den Krisen und Katastrophen ihres Lebens. Als toughe Powerfrau sah sich die 1925 Geborene am liebsten, als selbstbewusste Allroundkünstlerin zwischen Filmset und Plattenstudio, die kompromisslos ihren Weg geht, allen Rückschlägen zum Trotz.

Ein Knef-Bild, das in der neuen Biographie von Jürgen Trimborn erhebliche Kratzer abkriegt.

Jürgen Trimborn: "Man kann wirklich sagen: Es gab zwei Knefs. Da war zum einen die eine, die nach außen hin auftritt, die starke, die tapfere Knef. Und dann gab's die andere, die im Privatbereich sehr, sehr verunsichert war. Diese Knef flüchtete sich beispielsweise in die Astrologie. Sie konnte ja keine Lebensentscheidung treffen, ohne ihren Astrologen und die Sterne zu befragen."

Jürgen Trimborn hat sich in den letzten Jahren auf kritische Künstlerbiographien spezialisiert. Seine Leni-Riefenstahl-Biographie, erschienen 2002, ist zu Recht als Ereignis gefeiert worden, ebenso sein Buch über Johannes Heesters ein Jahr später. Auch diesmal, im Fall Knefs bemüht sich der aus Köln stammende Filmwissenschaftler um Fairness und Objektivität.

Jürgen Trimborn: "Ich mag natürlich vieles an Hildegard Knef. Ich finde viele ihrer Lieder wahnsinnig toll. Es gibt einige sehr schöne, sehr nachdenkliche, sehr melancholische Lieder, die mag ich sicherlich. Es gibt auch einige Filme, in denen ich sie großartig finde, vor allem die drei großen Nachkriegsfilme. Da ist sie ganz wunderbar. Und auch als Schriftstellerin mag ich sie teilweise, allerdings nur im "Geschenkten Gaul"."

Hildegard Knef: "Ich, Hildegard Frieda Albertina, habe meiner Mutter wenig Freude gemacht. Da waren ewig neue, endlose, zahllose, familienzermürbende Krankheiten, Tropfen- und Tablettenströme. Hilde ist dauernd krank, hieß es. Da waren geschwollene Augen und Gerstenkörner, da waren die Gummibeine der Kinderlähmung, gebrochene Schlüsselbeine und Rheumaattacken, die sie und mich schlaflos machten."

Empathisch schildert Jürgen Trimborn in seiner Biographie die einsame Kindheit Hildegard Knefs im Berlin der 20er und 30er Jahre. Der Vater stirbt, als das Mädchen sechs Monate alt ist, die Mutter kann dem Kind die Liebe nicht geben, die es so dringend benötigt. Eine Konsequenz dieser frühen Prägungen: Hildegard Knef wird später unter schweren Selbstwertproblemen leiden – und mit diversen Süchten kämpfen haben.

Jürgen Trimborn: "Hildegard Knef war seit Ende der 40er Jahre stark medikamentenabhängig. Sie hat maßlos Medikamente genommen und sich keine Gedanken darüber gemacht, was macht das mit mir, mit meinem Körper, meiner Psyche. Nach ihrer Krebsoperation kam dann Methadon dazu, später auch Morphium, von dem sie extrem abhängig war. Man darf nicht vergessen: Dabei war sie immer auch von Nikotin, von Alkohol abhängig. Also, Hildegard Knef war sicher ein Suchttyp. Immer wieder musste sie schwere Entzüge durchmachen."

Knef singt: "Da ist eine Zeit"

Hildegard Knef hat ein Leben der Extreme geführt, schreibt Jürgen Trimborn in seiner Biographie, ein Leben ohne Zwischentöne. Auffallend dabei: Die Zielstrebigkeit, mit der die junge Frau noch in der Nazizeit den Grundstein für eine viel versprechende UFA-Karriere legte. Trimborns Recherche-Ergebnissen zufolge darf man durchaus behaupten, dass Hildegard Knef ihre Beziehungen zu Männern... nun ja, strategisch angelegt hat.

Jürgen Trimborn: "Erstaunlich ist, dass Hildegard Knef als junge Frau viele Beziehungen zu wesentlich älteren Männern hatte - und zu Männern, die ihrer Karriere nützlich waren. Da gab es Ewald von Demandowsky, einen führenden Nazi, den Chef der Tobis, dann kam Kurt Hirsch, der führende Film- und Theateroffizier der US-amerikanischen Besatzungsmacht, dann folgte Willi Forst, der mit ihr "Die Sünderin" drehte. Die Oberflächlichkeit dieser Beziehungen änderte sich erst 1968, als sie David Cameron kennen lernte, die große Liebe ihres Lebens. Das war für sie eine ganz, ganz obsessive Beziehung, die sie allerdings auch systematisch torpediert hat: mit Anfällen rasender Eifersucht, mit Anschuldigungen, mit dem Verlangen, dass dieser Mann 24 Stunden am Tag für sie da sein musste, bei allen Interviews, bei allen Dreharbeiten. David Cameron stand überhaupt kein eigenes Leben zu. Wenn er einmal was anderes machen wollte, beruflich, in diesen 16 Jahren, führte das zu schlimmsten Krisen, zu grässlichen Eifersuchtsdramen, bei denen Geschirr flog, bis hin zu Selbstmorddrohungen. Wenn David Cameron sagte: Ich halte das nicht aus, ich kriege keine Luft mehr, ich muss aus dieser Beziehung raus, dann sagte Knef: Wenn du gehst, bin ich eine Sekunde später tot."

Knef singt: "Lass mich bei dir sein, so nah bei dir sein, bis dein Atem meiner wird..."

Hildegard Knef war einer der ersten Stars, zumindest in Deutschland, die ihr Privatleben gnadenlos öffentlich machten. Sie hielt das Publikum stets auf dem Laufenden über ihre Affären und jeweils aktuellen Partner. Jürgen Trimborn vermutet hinter der konsequenten Vermarktung des Knefschen Privatlebens den verzweifelten Wunsch der Diva nach öffentlicher Aufmerksamkeit. Dabei weist Trimborn nach, dass Knef es, etwa in ihren Memoiren, mit der Wahrheit nicht allzu genau genommen hat.

Knef singt: "Ich bin den weiten Weg gegangen.... nur weise, nein, weise wurde ich nicht."

Hildegard Knef hat sich gern als wackere Antifaschistin gegeben – auch dieses Bild muss man Jürgen Trimborn zufolge korrigieren:

"Ich denke, dass Hildegard Knef sich mit dem "Geschenkten Gaul" so ein bisschen einen antifaschistischen Anstrich geben wollte, zumal sie ja auch Freundschaften mit Politikern der sozialliberalen Koalition gepflegt hat, mit Willy Brandt und Helmut Schmidt, mit Carlo Schmid und Gustav Heinemann - aber ich würde doch sagen: Das war eine Pose. In der Zeit, als sie bei der UFA unterkommen wollte, war ihr Politik vollkommen egal. Es war ihr auch völlig egal, dass sie mit einem glühenden Nationalsozialisten liiert war: Für sie zählte einfach, dass Ewald von Demandowsky ihr bei ihrer Karriere behilflich sein konnte."

Als Hildegard Knef am 1. Februar 2002 starb, war sie längst in den Olymp der deutschen Nachkriegskultur erhoben. Der "Spiegel" würdigte sie als "Deutschlands letzte Diva", Fritz J. Raddatz, ehemaliger Feuilletonchef der "Zeit", erklärte sie zum "Symbol der Republik, und sogar Christoph Schlingensief pries die Knef als "Nachkriegsgesamtkunstwerk". Jürgen Trimborns Biographie fügt dem offiziösen Knef-Bild, das nun gewissermaßen als kanonisiert gelten darf, einige dringend nötige Korrekturen hinzu.

Knef singt: "Es hat alles einen Anfang und hört alles einmal auf. Und das, was dazwischen liegt, das ist der Lebenslauf..."


Jürgen Trimborn: "Hildegard Knef - Das Glück kennt nur Minuten", DVA, München, 512 Seiten, EUR 19,90.