"Meister und Margarita" in Leipzig

Zauber, Magie und Mummenschanz

09:19 Minuten
2 Frauen und 3 Männer in opulenten Ballkleidern stehen auf einer Bühne, ein Mann im Smoking vor ihnen hebt beide Arme in die Höhe.
So sieht es aus: Claudia Bauers Meister und Margarita am Schauspiel Leipzig © Rolf Arnold
Von Michael Laages · 07.03.2020
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In der Sowjetunion war das Buch jahrzehntelang verboten: Michail Bulgakows "Meister und Margarita" malte den Teufel sprichwörtlich an die Wand. Regisseurin Claudia Bauer bringt den Roman in Leipzig auf die Bühne – samt dessen explosivem Kern.
Auf den Erfolg ist derzeit Verlass bei der Theaterfrau Claudia Bauer. Als Haus-Regisseurin am Schauspiel Leipzig ist sie für die kommende Ausgabe vom "Theatertreffen" wieder eingeladen nach Berlin; mit "Süßer Vogel Jugend" von Tennessee Williams. Sie gehört aber auch zum weiteren Regie-Team an der renovierten Berliner Volksbühne, wo sie sich an Heiner Müller abgearbeitet hat.
Jetzt hat sie sich daheim in Leipzig einen der spektakulärsten Romane des vergangenen Jahrhunderts vorgenommen: "Meister und Margarita" von Michail Bulgakow, beim Tod des Autors 1940, einsam und vergessen, von Gattin Jelena fertig gestellt – aber erst im "Tauwetter" der Chruschtschow-Zeit Mitte der 60er-Jahre in der Sowjetunion veröffentlicht. Ein Kult-Buch, dessen Texte ältere Russinnen und Russen noch heute auswendig kennen.
Immer wieder gab es herausragende deutsche Theater-Fassungen: von Frank Castorf in Berlin, von Andrej Woron in Bremen, und auch Claudia Bauers Begegnung mit Bulgakow gehört in die Reihe der großen Ereignisse.

Der Teufel persönlich übernimmt die Regie

Zu diesem fundamental fantastischen Roman, in dem das Unwahrscheinlichste vom Unwahrscheinlichen über die Welt herein bricht, passt die Idee für einen Prolog sehr gut – auf Theatersesseln wie denen, auf denen auch wir sitzen, nimmt auf der Bühne das Ensemble Platz und führt kuriose Dialoge über die uralte Theaterfrage, was wahr ist auf der Bühne und was nicht.
So einfach ist das, und so kompliziert. Erst recht, wenn auf Andreas Auerbachs Bühne (die voller gewitzter Effekte vor allem den realen Theater-Raum vom Schauspiel Leipzig auf die Bühne spiegelt), der Teufel persönlich die Regie zu übernehmen beginnt. Der fremde Professor Voland, Fachkraft in schwarzer Magie und auf Tournee in der Stadt, kann Menschen zum Beispiel den Tod voraussagen – und war auch schon dabei, als Pontius Pilatus im alten Jerusalem den aufrührerischen Philosophen und Schwärmer Jeschua, also Jesus, zum Tod am Kreuz verurteilte.
Bauer lässt "Sympathy for the Devil" zitieren, den Song der "Rolling Stones". Diese Zeile kommt auf Englisch vor: kannten Mick Jagger und Keith Richards Bulgakows Roman?

Kein Glauben mehr, nirgends

Zu Beelzebub Voland gehört ein schräges Gefolge, darunter ein menschengroßer Kater mit ganz miesen Manieren. Für den hat Kostümbildnerin Vanessa Rust dem Schauspieler Roman Kanonik schwarze Strumpfhosen bis zum Nabel angezogen, mit einem riesig-schwarzen Schwanz hinten dran.
Sie alle bringen den Großstadt-Alltag stark durcheinander, indem sie den "neuen Menschen", den himmelsstürmerischen Weltbeglückern nicht nur in Sowjetland, die eigenen Verführbarkeiten vor Augen halten, den eigenen Mangel an Charakter, Moral und Vision. Wenn der Teufel spricht, klingt das ziemlich von heute: Kein Glauben mehr, nirgends.
Dem gegenüber steht das einzige Wesen, das glauben kann: Die im Roman als eher graue Maus geschilderte Margarita, die rückhaltlos hingegeben einem Schriftsteller folgt, der einen völlig unzeitgemäßen Roman geschrieben hat. Eben über die letzten Begegnungen zwischen Jesus fast am Kreuz und Roms Jerusalemer Statthalter Pontius Pilatus.
"Meister" nennt sie den mutlosen Autor dieses Buches; und sie hindert ihn mit allen Mitteln daran, sich und das Buch und sie aufzugeben.

Der Schrei nach Freiheit ist der Kern der Fabel

Das ist der Kern aller drei im Roman auf verrückteste Weise verstrickten und verzahnten Fabeln. Immerzu und überall ist da der Schrei nach Freiheit: des Wortes, des Schreibens, des Fühlens, des Denkens. Dass diese Freiheit nur vom Teufel zu haben ist, bleibt bis heute die spektakuläre Provokation des Romans.
Claudia Bauer macht im Umgang mit dem Stoff alles richtig – setzt auf Spektakel und Effekt und bricht dann beides am tiefen Ernst des Stoffes, verdichtet die Fabeln auf etwas mehr als zwei Stunden (Frank Castorf hatte noch episch breit erzählt über dreimal so viel Zeit!), treibt alles mit geschickten Zeit-Sprüngen voran und lässt darüber hinaus dem mitreißenden Leipziger Ensemble in rasant wechselnden Rollen viel Raum für eigene Zutaten.
Die Spiel-Ebenen sind klug voneinander getrennt und zugleich gemischt – um Jesus und Pontius Pilatus geht’s in Video-Sequenzen auf fleißig hinauf- und hinabschwebenden Gaze-Vorhängen; wenn Meister und Verehrerin zu Wort kommen, fängt die Kamera sie in der Tiefe der Bühne ein.
Derweil gehört Satan die diabolisch große Show – und erst, wenn die Phantastik in puren Horror kippt, bei Teufels Mitternachtsfest mit all den Anstifterinnen und Anstifter von Elend, Tod und Schrecken in der Welt, mutiert auch der Teufel zum armen alten Wrack.

Vor der Premiere gab's eine Uraufführung

So viel Zauber, so viel Magie und Mummenschanz: Claudia Bauers Team ist in Leipzig dem unverändert explosiven Kern des Romans sehr nahe gekommen.
Voran ist dieser Premiere eine Uraufführung gegangen: "Eriopis – Medeas überlebende Tochter erzählt alles". Die junge finnische Autorin E.L. Karhu nimmt die einzige historische Quelle beim Wort, die der klassisch-antiken Medea auch eine Tochter zuschreibt; und im heimischen Finnland, ganz hoch im Norden, wo sich Familien vom Tourismus mit Schlittenhunden ernähren können, mischt Karhu die Leidensgeschichten von Mutter und Tochter mit Blick auf den in fahler, fader Prominenz verdämmernden Vater.
Das ist ein ziemlich kryptischer, kaum zugänglicher Text, eigentlich auch eher eine Art Monolog – aber Anna-Sophie Mahler knackt das Rätsel musikalisch: mit Opernstimme und Schauspielerin, mit Pianist Michael Wilhelmi, mit Anleihen bei Richard Strauss und "Salome". Viele Fragen, kaum eine Antwort – in Leipzig ist "Eriopis" wohl vor allem eine Gegenstimme zur "Medea"-Inszenierung, die Ende März folgt.
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