Meister Eckhart spricht "Sehnsucht des heutigen Menschen nach Stille" an

Anselm Grün im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 01.04.2010
Meister Eckhart habe als Mystiker das Anliegen vertreten, dass Gott auch erfahren werden könne, "dass wir nicht nur an Gott" oder "die Sätze der Kirche glauben müssen", sagt der Bestsellerautor und Pater Anselm Grün. "Die Menschen sehnen sich heute danach, etwas von Gott zu erfahren, und Gott zu erfahren heißt immer auch, sich selber auf neue Weise zu erfahren."
Liane von Billerbeck: Vor wahrscheinlich 750 Jahren, ganz genau weiß man das gar nicht, wurde Meister Eckhart geboren, eine der prägenden Gestalten des Christentums. In der katholischen Kirche gilt der Mystiker manchen als Philosoph und viele Gläubige schätzen ihn wegen seiner klaren Sprache, wodurch es damals wie heute auch dem einfachen Volk möglich war, die Predigten des Dominikanerpaters zu verstehen. Warum uns Meister Eckhart bis heute so nah ist, das wollen wir jetzt mit Pater Anselm besprechen, einem der Popstars unter den Lebenshilfe-Autoren. Hauptberuflich ist Pater Anselm quasi der Wirtschaftschef der Benediktinerabtei Münsterschwarzach und nebenbei hat er inzwischen an die 300 Bücher veröffentlicht, die in 32 Sprachen übersetzt wurden und eine Gesamtauflage von über 16 Millionen haben, darunter noch frisch "Das große Buch vom wahren Glück". Pater Anselm, ich grüße Sie!

Anselm Grün: Ja, grüß Gott!

von Billerbeck: Warum ist uns Meister Eckhart noch immer so nah?

Grün: Meister Eckhart spricht einfach aus Erfahrung und er spricht so die Sehnsucht des heutigen Menschen nach Stille, nach Gotteserfahrung an, und obwohl er ein guter Dogmatiker ist, ist seine Sprache doch jenseits der Dogmatik, ist eine sehr offene Sprache, und er führt uns in den Raum der Stille. Er spricht davon, dass in jedem Menschen ein Raum der Stille ist und das ist das Wertvollste, was der Mensch in sich hat.

von Billerbeck: Das heißt, was er geschrieben hat, ist irgendwie universell und wirkt über ein Dreivierteljahrtausend bis in die Gegenwart?

Grün: Ja, er ist auch sehr anerkannt auch von Menschen, die etwa in östlichen Religionen suchen, im Buddhismus, die lesen auch gerne seine Schriften. Aber auch die Christen lesen gerne seine Schriften, er hat seine Predigten ja vor allem vor Schwestern gehalten und sehr lebensnahe. Er hat gesagt, Gott ist überall da, ob im Stall oder in der Kirche, und es kommt darauf an, dass der Mensch eben ganz im Augenblick lebt und ganz vor Gott lebt.

von Billerbeck: Das passt ja für alle Religionen, müsste man fast sagen, im Augenblick leben.

Grün: Ja, vieles, was Meister Eckhart schreibt, wird auch von anderen Religionen, vor allem vom Buddhismus genau so gesehen und anerkannt. Deswegen ist er über die Grenzen der Religion hinaus sehr begehrt heute.

von Billerbeck: Pater Anselm, wie haben Sie eigentlich Meister Eckhart für sich entdeckt?

Grün: Gut, ich habe seine Predigten gelesen und das hat mich sehr fasziniert, einfach seine Sprache, etwa wenn er über die Armut schreibt, Armut im Geiste: Da sagt er, arm ist der, der nichts hat, der nichts will und der nichts weiß. Das sind ja ganz mutige Auslegungen, die er hat. Er sagt, es geht nicht darum, Gott zu haben, sondern Gott Gott sein zu lassen auch in seinem eigenen Herzen.

von Billerbeck: Könnte man sagen, Meister Eckhart ist eine Ihrer Leitfiguren?

Grün: Natürlich ist, wenn man alle Bücher von ihm liest, ist es nicht so ganz einfach. Manche lesen halt nur ein paar einfache Predigten von ihm und meinen, das wäre schon der ganze Meister Eckehart. Wenn man sein ganzes Werk liest, dann merkt man, dass er ein sehr guter Theologe war.

von Billerbeck: Was wissen wir eigentlich von der historischen Figur Meister Eckhart? Viele Daten aus seinem Leben, die sind ja gar nicht gesichert, oder ist diese historische Figur aus Erzählungen entstanden, Eckhart also letztlich eine Art Erfindung, die man erzählend so oder so auslegen kann?

Grün: Nein, nein, also er war schon eine historische Figur. Er hat ja seinen Orden geleitet, er war Provinzial und war Professor in Köln, das sind Stationen, die man sehr genau nachvollziehen kann. In Erfurt war er Prior in dem Dominikanerkonvent, dann in Köln Professor. Was etwas dubios ist, ist dann sein Ende. Er ist ja dann zum Konzil gegangen, er sollte ja, so einige Sätze wurden ja verurteilt, dann wollte er sich rechfertigen und vermutlich ist er auf dieser Fahrt dann gestorben.

von Billerbeck: Darüber möchte ich mit Ihnen ganz gerne reden, denn was Meister Eckhart geschrieben hat, das gefiel ja nicht allen damals. Das, was Sie eben erwähnt haben, das passierte ja auch nach seinem Tod, da wurden 17 seiner Sätze durch Papst Johannes XXII. als häretisch und elf Sätze der Häresie, also der Abweichung verdächtigt. Jahrhundertelang galten diese Sätze also als ketzerisch, um es mal so platt zu sagen. Jetzt bin ich durch den Hinweis von Professor Thomas Bremer auf einen Artikel der "Theologischen Revue" gestoßen und darin stand, dass die Dominikanerbrüder 2002 die Glaubenskongregation, damals noch unter Kardinal Ratzinger, also dem heutigen Papst, gebeten haben, Meister Eckhart zu rehabilitieren. Und auf diese Bitte, da hat die Glaubenskongregation zwar nicht direkt geantwortet, aber in einem anderen Schreiben mitgeteilt, dass eine Rehabilitierung gar nicht vonnöten sei, weil Meister Eckhart niemals mit Namen verurteilt worden sei, also schlichter formuliert, Meister Eckhart wäre der Ketzerei nicht verdächtigt worden, sondern eben nur diese Sätze. Ist Meister Eckhart also so eine Art zweiter Fall Galileo Galilei?

Grün: Nein, nicht also, man hat damals einige Sätze verurteilt und dann hat er sie ja klargestellt, wie er sie eigentlich verstehen will, also er ist kein Häretiker, sondern er ist innerhalb der Kirche. Aber damals gab es ja einige unglückliche Auslegungen seiner Sätze und deswegen hat er, also er hat sich immer auf dem Boden der Kirche verstanden als Theologe, der ganz und gar im Einklang ist mit der katholischen Lehre. Und ich denke, diese Monierung der Sätze war keine wirkliche Verurteilung, sondern nur eine Verurteilung einer bestimmten Auslegung, aber nicht die Verurteilung von Meister Eckehart selber.

von Billerbeck: Meister Eckehart, der mittelalterliche Mystiker, ist das Thema im Gespräch mit Pater Anselm aus der Benediktinerabtei Münsterschwarzach. Das Spirituelle in der Kirche, das ja auch an Meister Eckharts Werken geschätzt wird, darüber haben auch Sie zig Bücher geschrieben, die auch Nichtchristen verschlingen. Was meinen Sie, Pater Anselm, ist das ein Weg unter vielen in der Kirche?

Grün: Gut, Mystik gibt es in allen Religionen und gerade die christliche Mystik ist eine sehr menschenfreundliche Mystik. Allerdings hat die christliche Mystik verschiedene Ausprägungen, es gibt die griechische Einheitsmystik, es gibt ja die deutsche Mystik, Meister Eckhart in Taula und dann die französische Madame Guyon oder die spanische Teresa von Avila. All diese Mystiker haben das gleiche Anliegen, dass Gott eben auch erfahren werden kann, dass wir nicht nur an Gott glauben müssen oder an die Sätze der Kirche glauben müssen, sondern dass es um Erfahrung geht, und die Menschen sehnen sich heute danach, etwas von Gott zu erfahren, und Gott zu erfahren heißt immer auch, sich selber auf neue Weise zu erfahren.

von Billerbeck: Sie schreiben ja nicht bloß Bücher und leben nicht nur in Ihrer Abtei, Sie halten auch Vorträge und leiten Seminare und da kommen Manager wie Landfrauen. Wie erleben Sie diese Sehnsucht vieler Menschen nach Spiritualität und nach Gotterfahrung? Hat das wirklich was mit Christentum zu tun oder geht es da "bloß", in Anführungsstrichen, um Innenschau?

Grün: Es geht sicher um Innenschau, aber es geht schon auch um ... Die Christen versuchen eben den Raum der Stille in sich zu entdecken und den deuten sie christlich, dass Christus in uns wohnt, dass das Reich Gottes in uns wohnt, und dort, wo das Reich Gottes in uns wohnt, sind wir eben frei von der Macht der Menschen, da sind wir heil und ganz, dort kommen wir mit dem ursprünglichen Bild in Berührung. Also Gotteserfahrung ist ja immer eine heilsame Erfahrung auch für uns selber. Es geht um Gott, aber es geht immer auch um uns selber, und diese Beziehung, das interessiert die Menschen heute: Dass sie eben nicht reine Innenschau, psychologische Innenschau haben wollen, aber auch nicht reiner Glaube, der nur was akzeptiert, was andere sagen, sondern sie wollen etwas erfahren, etwas Heilsames erfahren. Wenn ich Gott erfahre, erfahre ich mich als den, der in Gott ist, der befreit ist, der in Gott zu seinem eigentlichen Wesen kommt.

von Billerbeck: Es gibt ja auch Kritiker, die Ihnen vorwerfen, zu sehr zu psychologisieren. Was antworten Sie denen?

Grün: Gut, die frühen Mönche haben ihre Erfahrung mit Gott immer in der psychologischen Sprache ausgedrückt, natürlich nicht in der wissenschaftlichen, aber wer Gott erfährt und wer sich selbst erfährt, der ist immer auch auf dem Gebiet der Psychologie. Und zu meinen, man könnte die Psychologie heute überspringen, das ist oft Ausdruck von Angst, vor seiner eigenen Wahrheit, aber Gottesbegegnung und Selbstbegegnung gehören vom Ansatz der Religion immer zusammen.

von Billerbeck: Ist der Weg in die Innerlichkeit, wie ihn ja auch Meister Eckhart beschrieben hat, auch eine Flucht aus den irdischen Problemen, oder ist das eine Art Geländer?

Grün: Es kann natürlich zur Flucht werden. Es gibt Menschen, die mit ihrem Leben nicht zurechtkommen und deswegen in die Innerlichkeit fliehen, und die Gefahr ist dann, dass sie sich dann über andere erheben, sich als was Besonderes vorkommen. Deswegen sind alle Mystiker, waren immer auch realistische Menschen. Meister Eckehart hat eben auch seinen Orden geleitet, war mitten im Geschäft drin und in weltlichen Dingen auch beschäftigt. Also die Realitätskontrolle ist ganz wichtig. Wenn Spiritualität und Mystik nur zur Flucht wird, dann führt sich nicht weiter und dann ist sie auch weder für den einzelnen Menschen hilfreich noch für die Gesellschaft. Und deswegen ist auch wichtig, dass es eben nicht um eine reine Wellness-Spiritualität geht, wo wir nur um uns selber kreisen und Gott für uns vereinnahmen wollen, sondern dass unser Leben auch fruchtbar wird für die Menschen.

von Billerbeck: Die Realität holt ja die katholische Kirche derzeit ganz heftig ein. Sie, Pater Anselm, sind in Münsterschwarzach auch Ansprechpartner für Priester in Not. Sind die Nöte derzeit spürbar größer, seit auch die katholische Kirche von einem Missbrauchsskandal erschüttert wird?

Grün: Sicher, momentan fühlen sicher sich ganz viele so angegriffen und man hat das Gefühl, jeder Gedanke und jeder kleine Übergriff wird sofort auf der gleichen Ebene geahndet, also insofern ist eine große Verunsicherung einfach bei vielen Priestern und ich hoffe, dass ... Diese ganze Aufdeckung der Missbräuche (Anm. d. Redaktion: Schwer verständlich im Hörprotokoll) hat nur dann einen Sinn, wenn wir nicht irgendwelche Sündenböcke schlachten, und das ist momentan offensichtlich so der Fall, sondern wenn wir das als Spiegel für uns selber nehmen. Denn jeder ist gefährdet und in jedem ist die Tendenz, dass wir unsere Grenzen nicht genügend einhalten, sondern Grenzen überschreiten.

von Billerbeck: Pater Anselm war mein Gesprächspartner aus der Benediktinerabtei Münsterschwarzach und wir sprachen über Meister Eckhart, vor 750 Jahren geboren. Pater Anselm, ganz herzlichen Dank!

Grün: Gut, bitte, Ihnen noch gesegnetes Osterfest!

von Billerbeck: Das wünsche ich Ihnen auch, herzlichen Dank!

Grün: Ja, danke!

von Billerbeck: Tschüss!