Meister des grotesken Humors
Der Dichter und Schriftsteller Peter Rühmkorf ist tot. Er starb nach Angaben des Rowohlt Verlages am Sonntag in seinem Haus in Hamburg. Rühmkorf wurde 78 Jahre alt. In seiner rund 50-jährigen Schaffenszeit wurde er mit zahlreichen Preisen geehrt, darunter der Georg-Büchner-Preis. Erst am Montag hatte die Stadt Kassel mitgeteilt, dass er den Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor 2009 erhält. Der Preis wird nun posthum verliehen.
Peter Rühmkorf – 1929 als Sohn einer Pastorentochter und eines durchreisenden Puppenspielers in Dortmund geboren – hat sich gegen den allzu geschmäcklerischen Hochkulturanspruch gern als Gaukler und Spaßmacher verstanden. Immer wieder hat er von seinen lyrischen „Balanciernummern“ gesprochen. Das Schwere leicht aussehen lassen – darauf verstehen sich Trapezkünstler und ein Schriftsteller, der von einem dahingeplaudert wirkenden Gedicht bisweilen Hunderte Vor-Fassungen schrieb.
Rühmkorf wollte seine Artistik nie im leeren Zirkuszelt betreiben; wollte nicht bloß das „Hallo der Gelehrten“. Es gehört zu seinen Grundüberzeugungen, dass Lyrik bei allem formalen Anspruch eine populäre Kunst sein soll, die sich gleichermaßen vom Feinsinn und vom Vulgären nährt, vom hohen Ton und von der Alltagssprache – Kalauern, Schlagzeilen, Werbesprüchen. Den Reim, lange ein Tabu in der modernen Lyrik, hat er als Grundstock des dichtenden „Volksvermögens“ begriffen und rehabilitiert.
Aber auch die Sorge, dass der Poesie „die letzten Kunden enteilen“ könnten, trieb Rühmkorf im wahrsten Sinn des Wortes um – und so hat der Wahlhamburger viel dafür getan, seine Verse ins Volk zu tragen, als reisender Vortragskünstler am lyrischen Trapez, als moderner Märchenerzähler auf Tournee, als sälefüllender Pionier in Sachen „Jazz und Lyrik“ – immer auf die mitteilende Magie des Dichterwortes vertrauend.
„Ein Schriftsteller muss magisch sprechen können – das sage ich (um ein Brecht-Zitat zu variieren), der ich ein Aufklärer bin, von meinem Kopf her. Ich weiß, dass der Mensch auf magische Ansprache reagiert, und das können Sie vom Volks- und Kindervers an bis zum Reim, bis Werbereim, feststellen, dass der Mensch auf magische Signale reagiert – zusammenzuckt, ob er will oder nicht.“
Schon die Titel von Rühmkorfs Büchern beweisen diese Kunst der magischen Formulierung: „Die Jahre die ihr kennt“, „Außer der Liebe nichts“ oder „Einmalig wie wir alle“. Neben Altvorderen wie dem Minnesänger Walther von der Vogelweide sind zwei Größen der Moderne die Vorbilder des traditionsbewussten, immer zu Anknüpfung und Parodie aufgelegten Dichters: Benn und Brecht.
In späteren Jahren tendierte er deutlicher zu Benn. Dessen lässiger, ganz auf Abgesang und Zivilisationsmüdigkeit gestimmter Sound empfiehlt sich einfach mehr für ironisch knisternde Altherrenpoesie. Die melancholischen Bestandsaufnahmen bleiben jedoch unlarmoyant: das Bittere wird auf die leichte, scherzende Zunge genommen.
Gerne inszenierte sich Rühmkorf als sinnenfreudig-verschmitzter Freund der Aufklärung und als Widersacher aller Dunkelmännerei. Ohne ideologisch zu verkrusten, hat er als Linker politisch Position bezogen.
Geprägt durch die Kriegs- und Nachkriegszeit, die bald auf neue globale Konflikte und atomare Planspiele zusteuerte, war sein Vertrauen in gesellschaftliche Zukunftshorizonte allerdings gebrochen. So war Rühmkorf immer beides zugleich: Unheilsprophet und schelmischer Bruder Lustig, Apokalyptiker und Hedonist. „Schizografie“ oder Schreiben mit „gespaltener Feder“ wurde sein Dichten in Gegensätzen genannt. „Ich butter meinen Toast von beiden Seiten“, meinte Rühmkorf selbst programmatisch. Der Widerspruch im doppelten Sinn – als Aufbegehren und als Gegensatzspannung – ist die Antriebskraft seiner Lyrik:
„Die ganze Gesellschaft scheint mir gespannt, elektrisiert von inneren Widersprüchen, von denen sie nicht weiß. Unausgegorene Widersprüche – daran leidet eigentlich die gesamte Menschheit, und der Dichter ist dafür da, diese Widersprüche überhaupt sichtbar zu machen und dann eine Möglichkeit sichtbar zu machen, mit diesen Widersprüchen – nicht sie zu tilgen! – sondern mit diesen Widersprüchen zu leben.“
Herbstgedanken und Vanitasmotive gibt es seit je in Rühmkorfs Gedichten, oft mit komisch gebrochenem Pathos: die an sich selbst erlebte Vergänglichkeit als produktiver Stimulus. Vor allem im grandiosen Tagebuch „Tabu 1“ erweist sich der körperlich Angeschlagene aus seiner Distanz zum Lebensbetrieb zugleich als spöttisch-ironischer Kommentator der Zeit. Von den „Kubikmetern“ Tagebuch, deren Edition eine posthume Weile auf sich warten lassen wird, ist noch viel zu erwarten.
Spätestens seit dem Büchner-Preis 1993 ist Rühmkorfs Spitzenplatz in der Lyrik der Bundesrepublik unangefochten. Höchst bewundernswert ist seine Verbindung von Klugheit und Poesie, von Sprachlust und treffend formulierter Nachdenklichkeit. Einer der Vers-Aphorismen des im Frühjahr 2008 erschienenen Gedichtbandes „Paradiesvogelschiss“, einer Art Nachlass zu Lebzeiten, lautet:
„Woran es den Kollegen fehle?
Verbindungsfäden zwischen Satz und Seele“.
Solche „Verbindungsfäden“ bekommt der Leser bei Rühmkorf so reichlich in die Hand, dass sich die Frage „Warum Lyrik lesen?“ erübrigt. Der Dichter hat sie trotzdem beantwortet:
„Ich glaube dass der Schriftsteller dazu da ist – und speziell der Lyriker – , um dem Unangepassten, um dem Nebengleisigen, um dem, was nicht auf der Hauptstrasse läuft, eine Stimme und einen Ausdruck zu verschaffen. Ich glaube, dass sich in der Stimme des Schriftstellers, in der Stimme des Lyrikers, andere Ichs erkennen können. Dass andere Menschen sagen: Das habe ich eigentlich über mich sagen wollen, ich hab's bloß noch nicht richtig gefasst gehabt.“
Rühmkorf wollte seine Artistik nie im leeren Zirkuszelt betreiben; wollte nicht bloß das „Hallo der Gelehrten“. Es gehört zu seinen Grundüberzeugungen, dass Lyrik bei allem formalen Anspruch eine populäre Kunst sein soll, die sich gleichermaßen vom Feinsinn und vom Vulgären nährt, vom hohen Ton und von der Alltagssprache – Kalauern, Schlagzeilen, Werbesprüchen. Den Reim, lange ein Tabu in der modernen Lyrik, hat er als Grundstock des dichtenden „Volksvermögens“ begriffen und rehabilitiert.
Aber auch die Sorge, dass der Poesie „die letzten Kunden enteilen“ könnten, trieb Rühmkorf im wahrsten Sinn des Wortes um – und so hat der Wahlhamburger viel dafür getan, seine Verse ins Volk zu tragen, als reisender Vortragskünstler am lyrischen Trapez, als moderner Märchenerzähler auf Tournee, als sälefüllender Pionier in Sachen „Jazz und Lyrik“ – immer auf die mitteilende Magie des Dichterwortes vertrauend.
„Ein Schriftsteller muss magisch sprechen können – das sage ich (um ein Brecht-Zitat zu variieren), der ich ein Aufklärer bin, von meinem Kopf her. Ich weiß, dass der Mensch auf magische Ansprache reagiert, und das können Sie vom Volks- und Kindervers an bis zum Reim, bis Werbereim, feststellen, dass der Mensch auf magische Signale reagiert – zusammenzuckt, ob er will oder nicht.“
Schon die Titel von Rühmkorfs Büchern beweisen diese Kunst der magischen Formulierung: „Die Jahre die ihr kennt“, „Außer der Liebe nichts“ oder „Einmalig wie wir alle“. Neben Altvorderen wie dem Minnesänger Walther von der Vogelweide sind zwei Größen der Moderne die Vorbilder des traditionsbewussten, immer zu Anknüpfung und Parodie aufgelegten Dichters: Benn und Brecht.
In späteren Jahren tendierte er deutlicher zu Benn. Dessen lässiger, ganz auf Abgesang und Zivilisationsmüdigkeit gestimmter Sound empfiehlt sich einfach mehr für ironisch knisternde Altherrenpoesie. Die melancholischen Bestandsaufnahmen bleiben jedoch unlarmoyant: das Bittere wird auf die leichte, scherzende Zunge genommen.
Gerne inszenierte sich Rühmkorf als sinnenfreudig-verschmitzter Freund der Aufklärung und als Widersacher aller Dunkelmännerei. Ohne ideologisch zu verkrusten, hat er als Linker politisch Position bezogen.
Geprägt durch die Kriegs- und Nachkriegszeit, die bald auf neue globale Konflikte und atomare Planspiele zusteuerte, war sein Vertrauen in gesellschaftliche Zukunftshorizonte allerdings gebrochen. So war Rühmkorf immer beides zugleich: Unheilsprophet und schelmischer Bruder Lustig, Apokalyptiker und Hedonist. „Schizografie“ oder Schreiben mit „gespaltener Feder“ wurde sein Dichten in Gegensätzen genannt. „Ich butter meinen Toast von beiden Seiten“, meinte Rühmkorf selbst programmatisch. Der Widerspruch im doppelten Sinn – als Aufbegehren und als Gegensatzspannung – ist die Antriebskraft seiner Lyrik:
„Die ganze Gesellschaft scheint mir gespannt, elektrisiert von inneren Widersprüchen, von denen sie nicht weiß. Unausgegorene Widersprüche – daran leidet eigentlich die gesamte Menschheit, und der Dichter ist dafür da, diese Widersprüche überhaupt sichtbar zu machen und dann eine Möglichkeit sichtbar zu machen, mit diesen Widersprüchen – nicht sie zu tilgen! – sondern mit diesen Widersprüchen zu leben.“
Herbstgedanken und Vanitasmotive gibt es seit je in Rühmkorfs Gedichten, oft mit komisch gebrochenem Pathos: die an sich selbst erlebte Vergänglichkeit als produktiver Stimulus. Vor allem im grandiosen Tagebuch „Tabu 1“ erweist sich der körperlich Angeschlagene aus seiner Distanz zum Lebensbetrieb zugleich als spöttisch-ironischer Kommentator der Zeit. Von den „Kubikmetern“ Tagebuch, deren Edition eine posthume Weile auf sich warten lassen wird, ist noch viel zu erwarten.
Spätestens seit dem Büchner-Preis 1993 ist Rühmkorfs Spitzenplatz in der Lyrik der Bundesrepublik unangefochten. Höchst bewundernswert ist seine Verbindung von Klugheit und Poesie, von Sprachlust und treffend formulierter Nachdenklichkeit. Einer der Vers-Aphorismen des im Frühjahr 2008 erschienenen Gedichtbandes „Paradiesvogelschiss“, einer Art Nachlass zu Lebzeiten, lautet:
„Woran es den Kollegen fehle?
Verbindungsfäden zwischen Satz und Seele“.
Solche „Verbindungsfäden“ bekommt der Leser bei Rühmkorf so reichlich in die Hand, dass sich die Frage „Warum Lyrik lesen?“ erübrigt. Der Dichter hat sie trotzdem beantwortet:
„Ich glaube dass der Schriftsteller dazu da ist – und speziell der Lyriker – , um dem Unangepassten, um dem Nebengleisigen, um dem, was nicht auf der Hauptstrasse läuft, eine Stimme und einen Ausdruck zu verschaffen. Ich glaube, dass sich in der Stimme des Schriftstellers, in der Stimme des Lyrikers, andere Ichs erkennen können. Dass andere Menschen sagen: Das habe ich eigentlich über mich sagen wollen, ich hab's bloß noch nicht richtig gefasst gehabt.“