Meister der Provokation

Von Jörg Oberwittler · 14.04.2009
Der Düsseldorfer Kabarettist Serdar Somuncu sprengt Erwartungen und bricht Tabus. Wenn er aus Hitlers Buch "Mein Kampf" liest, stürmen sogar Neonazis die Bühne. Auch sein aktuelles Programm "Der Hassprediger" verspricht eine gehörige Portion Provokation - und einen Humor, der ab und zu unter die Gürtellinie geht.
"Wenn heute übrigens jemand rausgeht… Das ist Respekt. Vor nem Türken. Ihr scheiß Nazis!"

"Ich hab’s aufgehört, mich da einzuschleimen: ‚Nö, Sie sind ja gar nicht so. Ich seh schon, Sie sind alle voll nett.’ Kacker seid Ihr!"

Serdar Somuncu ist ein Meister der Provokation. Schon bei der Begrüßung holt er zum Schlagabtausch aus, überrascht mit schonungslosen Bosheiten. So wissen die Zuschauer sofort, woran sie bei ihm sind: 40 Jahre alt, geboren in Istanbul, aufgewachsen in Deutschland. Ein "angepasster Kanake", wie er sich herausfordernd nennt. Für das Interview vor der Aufführung lässt er auf sich warten. Dann steht er plötzlich in der Tür: fester Blick, fester Händedruck, wenig Zeit. Und er verrät, dass hinter der Provokation auf Bühnen und in TV-Shows mehr steckt als nur die Lust am Krawall:

"Das, was aber danach kommt, ist aber das Wesentliche. Ich öffne damit erst einmal nur eine Tür, indem ich eine Erwartungshaltung breche. Und ich bin oft in Comedy-Sendungen sehr, sehr politisch. Deswegen: Es geht nicht um die reine Provokation, es geht nicht nur darum, Grenzen aufzubrechen. Es geht darum, sich möglichst authentisch zu vertreten – ohne Rücksicht darauf, Posten verlieren zu können, ohne Rücksicht darauf Quote verlieren zu können."

Serdar Somuncu setzt sich für die Akzeptanz von Minderheiten ein. Als gebürtiger Türke weiß er, wie sich Diskriminierung in Deutschland anfühlt. Seine Heimat ist Nordrhein-Westfalen, in Wuppertal studierte er Schauspielerei, in Neuss leitete er ein Theater und in Düsseldorf lebt er heute. Er spricht fließend Deutsch und Türkisch. Ein Leben zwischen zwei Kulturen. Bei Fragen zu seinem Privatleben hält er sich bedeckt, viel lieber spricht er über Politik und Vorurteile, so auch in seinem aktuellen Programm "Der Hassprediger":

"Homosexuelle sind krankhaft und contra naturam, und somit dem Randbereich der Entartung zuzuordnen. Dieser Rand muss ausgedünnt werden. – Warten Sie, das war aber nicht Hitler. Das war der Kultusminister von Bayern."

Er will zeigen, wie austauschbar Stammtischparolen über Homosexuelle, Ausländer oder Juden sind. Doch nach dem Programmtitel sollten sich die Zuschauer nicht richten. Auf der Bühne hält sich der Mann mit der markanten Glatze, den tiefbraunen Augen und dem oft breiten, spöttischen Lächeln nicht an Vorgaben. Er improvisiert gern, überrascht und testet Grenzen aus. Jahrelang las er aus Hitlers Buch "Mein Kampf" und aus Joseph Goebbels "Sportpalastrede". Das gab vor allem in Ostdeutschland Ärger, zum Beispiel in einem Dorf in Sachsen, wo ein Fernsehteam die Konfrontation mit Neonazis filmte:

"Wenn ich irgendwo hingefahren bin, dann gab es Mord- und Bombendrohungen, und oft kamen auch Nazis, die randaliert haben. Dass in Diepoldiswalde zufällig ein Fernsehteam da war, hat das Ganze eben noch visueller gemacht und noch greifbarer. Und eben auch zu einem Teil einer Geschichte, die man bis dahin nicht kannte."

So scheute er sich auch nicht, vor Überlebenden der Konzentrationslager Buchenwald und Sachsenhausen aus "Mein Kampf" zu lesen. Ist da nicht eine Grenze des Humors endgültig überschritten?

"Nein! Die Grenze des Humors stecken ja nicht Sie. Sondern das steckt derjenige, der betroffen ist. Und meistens reagieren diejenigen, die betroffen sind, viel gelassener als diejenigen, die stellvertretend ein schlechtes Gewissen haben."

Mit seinen Shows trägt er nicht nur zur Aufarbeitung des Nationalsozialismus bei, sondern auch zur Völkerverständigung. Wenn er auftritt, lachen Deutsche und Türken im Saal gemeinsam. Deutschland sei nun einmal mittlerweile auch die Heimat vieler Türken – das hätten viele Deutsche immer noch nicht begriffen, sagt er. Und nennt als Beispiel eine Debatte aus Hamburg, wo Kommunalpolitiker vor kurzem vorschlugen, den Migrationshintergrund von eingebürgerten Deutschen zu vermerken, wenn diese eine Straftat begehen. Für Somuncu ein Unding:

"Man kann ja nicht retürkisiert werden, nur weil man plötzlich anfängt zu klauen. Sondern habe ich einen deutschen Pass, dann bin ich auch ein deutscher Dieb. All das ist für mich ein Beweis dafür, dass wir noch weit davon entfernt sind, Integration von beiden Seiten gelernt zu haben."

Bis die Deutschen bereit sind für einen Bundeskanzler mit türkischem Namen ist es seiner Meinung nach daher noch ein langer Weg:

"Ich finde, wir sind noch weit davon entfernt, uns nicht darum zu scheren, woher jemand kommt und nur darauf zu hören, was er eigentlich will und was er kann. Und dann ist er beste Bundeskanzler, den man haben kann – unabhängig von seinem Pass."

Und dass dieser Weg ein Stück kürzer wird – das will er mit seinen Programmen erreichen.