Meister der Orgie
"Das Parfum" galt Vielen als unverfilmbar: Nicht nur weil Düfte unsichtbar sind, sondern auch weil manche Szenen eine gigantische Kraftanstrengung erfordern - wie etwa die geplante Hinrichtung Grenouilles, die zur Massenorgie wird. Bei der Inszenierung halfen die katalanische Theatertruppe "La Fura dels Baus" und deren künstlerischer Leiter Jürgen Müller.
Bekannten klopft Jürgen Müller zur Begrüßung erst einmal kräftig auf die Schulter. Dann gibt's eine joviale Umarmung und ein paar aufmunternde Worte, begleitet von einem strahlenden Lächeln. Mit seinem orangefarbenen Polo-Shirt und dem feschen Baseballkäppi könnte der 51-Jährige auch als Trainer der örtlichen Rugby-Mannschaft durchgehen. Und das ist gar nicht so falsch. Denn Jürgen Müller hat tatsächlich eine Mannschaft trainiert. Eine Mannschaft von 750 Statisten. Für eine Orgie.
Im Auftrag von Tom Tykwer hat er eine Menschenmasse dazu gebracht, sich von blutrünstigen Schaulustigen in lüsterne Bacchanten zu verwandeln. Eben jene Ekstase zu spielen, die die Bewohner der Stadt Grasse erlebten, als sie erstmals das Wunderparfüm des Mädchenmörders Grenouille erschnuppern.
"Wir sind ja alles im Grunde genommen große Verführer. Wir wissen, wie man den Anderen verführen soll, damit der Lust hat mit dir auf 'ne Reise zu gehen."
"Das hat auch ein bisschen mit Magie zu tun."
"Wir haben am Samstag morgen angefangen mit 700 Leuten - und um eins hatten wir schon die Orgie-Sequenz hinter uns."
Alle Register seines Könnens hat der Theatermann der "Fura dels Baus" dabei gezogen: Entspannungsmusik, Gruppendynamische Übungen, Begegnungen auf Augenhöhe statt autoritärer Anweisungen per Megafon. Jürgen Müller ist einer, der selbst mal schnell aus den Klamotten schlüpft, um zu zeigen was das heißt: frei, unbefangen, nackt zu sein. Einer, dessen Begeisterung ansteckt und der seine Energie überspringen lassen kann.
"Es kamen Menschen, die gesagt haben, dass es denen das Leben verändert hat. Ehrlich wahr. Die brennen nicht durch, aber die sehen da irgendwie das Licht! In gewisser Weise glaube ich, dass die 'Fura' früher mehr als heute eine kathartische Dimension gehabt hat. Ich bin irgendwie durch diese Parfümarbeit - die ja was ganz anderes is -, zurückgeworfen worden. Diese Sache ist wirklich irre gewesen.".
Zurückgeworfen in die Anfangszeit der "Fura": Mit kraftstrotzendem Straßentheater, mit Akrobatikeinlagen ist das katalanische Ensemble berühmt geworden. Da wurde geschrieen, getobt, gespuckt. Und die Zuschauer trugen die verdreckte und ramponierte Garderobe dann ebenso stolz nach Hause wie das Gefühl bei etwas Großem, Gewaltigem dabei gewesen zu sein
Seit 1982 ist Jürgen Müller bei der "Fura dels Baus". Wegen ihr ist der Baden-Württemberger aus Weiterdingen im Hegau nach dem Schauspielstudium in Barcelona geblieben. Wie fast alle Gründungsmitglieder der Gruppe ist er ein Landkind, das raus in die große, weite Welt wollte.
" Diese Leute, die vom Land kommen, haben irgendwie 'ne ganz andere Beziehung zum Leben. Irgendwie haben wir so 'ne gesunde Kraft doch mitbekommen. Wir haben Straßentheater gemacht, Straßenumzüge, ich bin Stelzen gelaufen, hab' jongliert, hab' Schlappseilnummern gehabt."
Leben und leben lassen. Nirgends habe man das damals so gut gekonnt wie in Barcelona: die billigen Mieten, das gute Wetter, die Aufbruchstimmung nach Francos Tod.
Heute dagegen sei die Metropole zu einem "durchdesignten" Vergnügungspark verkommen. Jürgen Müller hat ihr den Rücken zugekehrt und wohnt in einem kleinen Dorf außerhalb - allein. Und: Statt wie einst mit dem Kleinbus durch Spanien zu touren, inszeniert er als einer von sechs künstlerischen Leitern der "Fura" weltweit: Eine Show anlässlich der Schacholympiade ebenso wie den Werbeauftritt eines Autoherstellers. Das bringt Geld. Mehr nicht.
Am liebsten sind ihm immer noch die klassischen "Fura"-Spektakel. Weil dabei die Grenzen zwischen Schauspieler und Publikum aufgehoben werden. Die Bühne als geschützter Raum - das war nie seine Sache:
"So auf der Bühne zu spielen, hat auch ein kleines bisschen was mit Masturbation zu tun. Weil du sitzt da in einem goldenen Käfig, kannst da oben den Kasper machen und hast keine Verantwortung, ob sich das Publikum zu Tode langweilt oder Spaß dran hat. Ich bin Fan vom 'Fura-Language'-Theater. Weil: Es ist Bauch, verflixt noch mal."
Zugegeben: Die Kräfte, die so ein absolutes Entertainment erfordert, haben nachgelassen. Jürgen Müller streicht sich einen Moment nachdenklich durchs kurz geschnittene graue Haar. Dann kommt ihm wieder die Parfüm-Orgie in den Sinn.
Allen Alterserscheinungen zum Trotz: Eines habe er sich durch die "Fura dels Baus" immer erhalten: Das Lustprinzip - und damit die Kraft, wieder Neues zu schaffen.
"In der 'Fura' ist immer ein Prinzip gewesen: Jeder hat nur das gemacht, wo er auch Spaß dran gehabt hat. Deswegen gibt es in der 'Fura' auch nach 25-jährigem Bestehen keinen Regisseur - also, einen selbst ernannten König, wie ich das nenne. Deswegen kann die 'Fura' auch immer wieder revolutionär sein. Weil nämlich: Wir sind ein soziopolitisches Phänomen. Das gibt's sonst nicht!"
Im Auftrag von Tom Tykwer hat er eine Menschenmasse dazu gebracht, sich von blutrünstigen Schaulustigen in lüsterne Bacchanten zu verwandeln. Eben jene Ekstase zu spielen, die die Bewohner der Stadt Grasse erlebten, als sie erstmals das Wunderparfüm des Mädchenmörders Grenouille erschnuppern.
"Wir sind ja alles im Grunde genommen große Verführer. Wir wissen, wie man den Anderen verführen soll, damit der Lust hat mit dir auf 'ne Reise zu gehen."
"Das hat auch ein bisschen mit Magie zu tun."
"Wir haben am Samstag morgen angefangen mit 700 Leuten - und um eins hatten wir schon die Orgie-Sequenz hinter uns."
Alle Register seines Könnens hat der Theatermann der "Fura dels Baus" dabei gezogen: Entspannungsmusik, Gruppendynamische Übungen, Begegnungen auf Augenhöhe statt autoritärer Anweisungen per Megafon. Jürgen Müller ist einer, der selbst mal schnell aus den Klamotten schlüpft, um zu zeigen was das heißt: frei, unbefangen, nackt zu sein. Einer, dessen Begeisterung ansteckt und der seine Energie überspringen lassen kann.
"Es kamen Menschen, die gesagt haben, dass es denen das Leben verändert hat. Ehrlich wahr. Die brennen nicht durch, aber die sehen da irgendwie das Licht! In gewisser Weise glaube ich, dass die 'Fura' früher mehr als heute eine kathartische Dimension gehabt hat. Ich bin irgendwie durch diese Parfümarbeit - die ja was ganz anderes is -, zurückgeworfen worden. Diese Sache ist wirklich irre gewesen.".
Zurückgeworfen in die Anfangszeit der "Fura": Mit kraftstrotzendem Straßentheater, mit Akrobatikeinlagen ist das katalanische Ensemble berühmt geworden. Da wurde geschrieen, getobt, gespuckt. Und die Zuschauer trugen die verdreckte und ramponierte Garderobe dann ebenso stolz nach Hause wie das Gefühl bei etwas Großem, Gewaltigem dabei gewesen zu sein
Seit 1982 ist Jürgen Müller bei der "Fura dels Baus". Wegen ihr ist der Baden-Württemberger aus Weiterdingen im Hegau nach dem Schauspielstudium in Barcelona geblieben. Wie fast alle Gründungsmitglieder der Gruppe ist er ein Landkind, das raus in die große, weite Welt wollte.
" Diese Leute, die vom Land kommen, haben irgendwie 'ne ganz andere Beziehung zum Leben. Irgendwie haben wir so 'ne gesunde Kraft doch mitbekommen. Wir haben Straßentheater gemacht, Straßenumzüge, ich bin Stelzen gelaufen, hab' jongliert, hab' Schlappseilnummern gehabt."
Leben und leben lassen. Nirgends habe man das damals so gut gekonnt wie in Barcelona: die billigen Mieten, das gute Wetter, die Aufbruchstimmung nach Francos Tod.
Heute dagegen sei die Metropole zu einem "durchdesignten" Vergnügungspark verkommen. Jürgen Müller hat ihr den Rücken zugekehrt und wohnt in einem kleinen Dorf außerhalb - allein. Und: Statt wie einst mit dem Kleinbus durch Spanien zu touren, inszeniert er als einer von sechs künstlerischen Leitern der "Fura" weltweit: Eine Show anlässlich der Schacholympiade ebenso wie den Werbeauftritt eines Autoherstellers. Das bringt Geld. Mehr nicht.
Am liebsten sind ihm immer noch die klassischen "Fura"-Spektakel. Weil dabei die Grenzen zwischen Schauspieler und Publikum aufgehoben werden. Die Bühne als geschützter Raum - das war nie seine Sache:
"So auf der Bühne zu spielen, hat auch ein kleines bisschen was mit Masturbation zu tun. Weil du sitzt da in einem goldenen Käfig, kannst da oben den Kasper machen und hast keine Verantwortung, ob sich das Publikum zu Tode langweilt oder Spaß dran hat. Ich bin Fan vom 'Fura-Language'-Theater. Weil: Es ist Bauch, verflixt noch mal."
Zugegeben: Die Kräfte, die so ein absolutes Entertainment erfordert, haben nachgelassen. Jürgen Müller streicht sich einen Moment nachdenklich durchs kurz geschnittene graue Haar. Dann kommt ihm wieder die Parfüm-Orgie in den Sinn.
Allen Alterserscheinungen zum Trotz: Eines habe er sich durch die "Fura dels Baus" immer erhalten: Das Lustprinzip - und damit die Kraft, wieder Neues zu schaffen.
"In der 'Fura' ist immer ein Prinzip gewesen: Jeder hat nur das gemacht, wo er auch Spaß dran gehabt hat. Deswegen gibt es in der 'Fura' auch nach 25-jährigem Bestehen keinen Regisseur - also, einen selbst ernannten König, wie ich das nenne. Deswegen kann die 'Fura' auch immer wieder revolutionär sein. Weil nämlich: Wir sind ein soziopolitisches Phänomen. Das gibt's sonst nicht!"