Meister der Nuancen

Von Sabine Fringes |
Clifford Curzon galt als einer der großen britischen Pianisten seiner Generation. Mit seiner außergewöhnlichen Sensibilität wurde er ein prädestinierter Kammermusiker und gefragter Duopartner. Doch sein Streben nach Perfektion machte den Umgang mit ihm nicht einfach.
"Curzon hatte ein sehr eigenes Gefühl für Klang - insbesondere bei Mozart und Schubert. Er erzeugte einen glockenähnlichen Ton auf dem Klavier. Auch hatte er ein sehr erlesenes Gefühl für Rhythmus."

Daniel Barenboim über den Pianisten Clifford Curzon, der diesem Lob sicherlich skeptisch gegenüber gestanden hätte. Allein von Mozarts letztem Klavierkonzert hatte er drei verschiedene Einspielungen bei der Decca gemacht, um dann zuletzt allen drei Fassungen die Veröffentlichung zu verweigern. Erst dieser Aufnahme eines Konzerts in der Royal Albert Hall aus dem Jahr 1979 konnte der 72-Jährige zustimmen. Der selbstkritische Blick war einer der Hauptcharakterzüge dieses sensiblen Künstlers.

Gleich nach seinem Examen an der Royal Academy of Music bietet man dem 20-Jährigen dort einen Lehrstuhl an. Doch Curzon verlässt die renommierte Londoner Musikhochschule bald wieder, um seine Ausbildung fortzusetzen, bei Wanda Landowska und Nadja Boulanger in Paris, sowie bei Arthur Schnabel in Berlin.

Besonders der Einfluss Schnabels auf sein Spiel ist groß und macht ihn schließlich zu einem gefragten Schubert- und Mozart-Spezialisten, der nach subtilsten und auch paradoxen Nuancen strebt, die Curzon so umschreibt:

"Diese zweite Naivität, zu der man gelangt, wenn man durch alle Prüfungen gegangen ist und dann wieder zum Vorschein kommt."

Durch welche Prüfungen der öffentlichkeitsscheue Curzon, dessen Karriere immer wieder von längeren Pausen unterbrochen wurde, in seinem Leben gegangen ist, darüber ist nicht viel bekannt. Zeitgenossen charakterisieren den Ehemann der Cembalistin Lucille Wallace und den Adoptivvater zweier Kinder als englischen Gentleman alter Schule und feinfühligen Menschen. Mit seiner außergewöhnlichen Sensibilität ist er ein prädestinierter Kammermusiker und gefragter Duopartner, unter anderem spielt er mit Benjamin Britten und Daniel Barenboim.

Doch die Gabe der Feinnervigkeit hat auch ihre Schattenseiten: Im Aufnahmestudio kann bereits die geringste Störung zu einem seiner berüchtigten Wutausbrüche führen. Und Zeit seines Lebens litt Curzon unter großer Nervosität auf der Bühne,

"Es gibt keine Sicherheit auf dem Podium, absolut nicht. Manchmal ist man sehr frisch und spielt schlecht. Manchmal ist man traurig, hat viele Probleme und spielt gut. Man weiß nicht, was das ist. Nur die Hauptsache ist: Vorbereitung, Vorbereitung, Vorbereitung, so dass, wenn gute Moment kommt, ist man vorbereitet","

so Curzon in einem Interview im Bayerischen Rundfunk.

Doch der guten Momente gab es genügend: Nach seinem Tod am 1. September 1982 hinterließ er zahlreiche Einspielungen, obgleich er zu Lebzeiten diesen, wie er sie nannte, "Verabredungen mit der Nachwelt", mit großer skeptischer Ehrfurcht gegenüberstand. Der britische Musikschriftsteller Max Loppert:

""In seiner Künstlerpersönlichkeit brachte er eine ganze Reihe fruchtbarer Paradoxe, Widersprüche und Gegensätze zum Ausdruck, die er glanzvoll in seinem Spiel zu vereinen wusste. Diese Fähigkeit ist eines der Privilegien eines wahren schöpferischen Interpreten."