Meister der Einfühlung
Obwohl er viel veröffentlicht hat, ist der US-Schriftsteller Wallace Stegner in Deutschland nie so richtig bekannt geworden. Dabei lohnt es sich, seine Werke zu entdecken, zum Beispiel "Vor der Stille der Sturm", ein Roman, in dem höchst unterschiedliche Lebenswelten aufeinanderprallen.
Immer mal wieder wurden in den letzten Jahrzehnten Romane des amerikanischen Schriftstellers Wallace Stegner ins Deutsche übersetzt. Ohne dass der Autor wirklich bekannt wurde bei uns. Doch jetzt hat der Deutsche Taschenbuchverlag sich offenbar vorgenommen, das zu ändern und in schneller Reihenfolge mehrere Bücher vorgelegt. Zu unserem Leserglück. Denn es ist ein Erlebnis, in Stegners Kosmos einzutauchen und eine Kraftanstrengung, wieder herauszukommen. Weil hier ein Autor mit Mut und Wucht die Rätsel des Lebens verhandelt.
Zwar ist der jetzt neu übersetzte Roman erstmals 1967 erschienen und zeichnet ein Bild der wütig rockenden 60iger Jahre. Doch die Fragen sind zeitlos. Wo beginnt Schuld? Wie weit soll, wie weit darf sich Toleranz dehnen für jugendliches Aufbegehren und radikale Ablehnung bestehender Werte? Ist das Gute ohne das Böse zu haben? Und ist ein Leben ohne Gram eine Gnade oder ein Mangel? Wie gehe ich um mit der Natur? Lasse ich sie zukrauten oder zähme ich sie zu meinem Vergnügen? Mit unbekannten Folgen. Stegner, der 1993 starb, war nicht nur Schriftsteller, er war auch Naturschützer, ein Umweltaktivist der frühen Jahre, der sich gegen die Zerstörung von Naturparadiesen auflehnte.
Joe Allston, ehemaliger Literaturagent, hat mit seiner Frau den gemeinsamen Alterssitz von Manhattan in die kalifornische Idylle verlegt. Sie wollen nach schwierigen Jahren nur noch Ihre Ruhe. Doch die Taschenratten zernagen die Wurzeln der neuen Kirschbäume, die geldgierigen Nachbarn zur Linken parzellieren den gegenüberliegenden Hügel, um ihn gewinnbringend bebauen zu lassen, die hinreißende Nachbarin zur Rechten, schwanger mit ihrem zweiten Kind, stirbt an Krebs.
Joe selber lässt seiner Frau zuliebe einen Hippie auf seinem Land campen. Doch der junge Mann baut alsbald eine Kommune dort auf, vermüllt das Grundstück, klaut Strom, zapft heimlich die Wasserversorgung an, und es kreischt, dröhnt und johlt seither aus dem stillen Bachbett. Zu allem Unglück erinnert der Hippie den ewig alles benörgelnden Joe an seinen Sohn Curtis, der außer Protest nichts zustande gebracht hat in seinem Leben und mit 37 gestorben ist.
Wallace Stegner ist ein Meister der Einfühlung in scheinbar unversöhnliche Lebenswelten. Und so findet man sich als Leser immer wieder in der unbequemen Situation der Zerrissenheit. Denn Stegner verweigert uns und sich die Geborgenheit der einen Meinung. Und auch Joe muss - nach dem Tod der bezaubernden Nachbarin - lernen, sich und seine Dogmen in Frage zu stellen. Muss begreifen, dass der unsägliche Hippie ihm auch seine eigene Dummheit im Umgang mit seinem Sohn spiegelt, dass es eine Welt des Lichts nicht ohne Finsternis gibt.
Stegner scheut nicht vor drastischen Szenen zurück. Und hin und wieder wird die Botschaft, sich dem Leben zu öffnen mit all seiner Schönheit und seinem Kummer, ein wenig plakativ in die Welt gerufen. Doch die Kraft und Spannung der Erzählung, die Lebendigkeit der Figuren und der existentiellen Fragen lassen einen über die Lektüre hinaus nicht so schnell wieder los.
Besprochen von Gabriele von Arnim
Wallace Stegner: Vor der Stille der Sturm
Roman. Aus dem Amerikanischen von Chris Hirte
Deutscher Taschenbuchverlag, München 2011
358 Seiten, 14.90 Euro
Zwar ist der jetzt neu übersetzte Roman erstmals 1967 erschienen und zeichnet ein Bild der wütig rockenden 60iger Jahre. Doch die Fragen sind zeitlos. Wo beginnt Schuld? Wie weit soll, wie weit darf sich Toleranz dehnen für jugendliches Aufbegehren und radikale Ablehnung bestehender Werte? Ist das Gute ohne das Böse zu haben? Und ist ein Leben ohne Gram eine Gnade oder ein Mangel? Wie gehe ich um mit der Natur? Lasse ich sie zukrauten oder zähme ich sie zu meinem Vergnügen? Mit unbekannten Folgen. Stegner, der 1993 starb, war nicht nur Schriftsteller, er war auch Naturschützer, ein Umweltaktivist der frühen Jahre, der sich gegen die Zerstörung von Naturparadiesen auflehnte.
Joe Allston, ehemaliger Literaturagent, hat mit seiner Frau den gemeinsamen Alterssitz von Manhattan in die kalifornische Idylle verlegt. Sie wollen nach schwierigen Jahren nur noch Ihre Ruhe. Doch die Taschenratten zernagen die Wurzeln der neuen Kirschbäume, die geldgierigen Nachbarn zur Linken parzellieren den gegenüberliegenden Hügel, um ihn gewinnbringend bebauen zu lassen, die hinreißende Nachbarin zur Rechten, schwanger mit ihrem zweiten Kind, stirbt an Krebs.
Joe selber lässt seiner Frau zuliebe einen Hippie auf seinem Land campen. Doch der junge Mann baut alsbald eine Kommune dort auf, vermüllt das Grundstück, klaut Strom, zapft heimlich die Wasserversorgung an, und es kreischt, dröhnt und johlt seither aus dem stillen Bachbett. Zu allem Unglück erinnert der Hippie den ewig alles benörgelnden Joe an seinen Sohn Curtis, der außer Protest nichts zustande gebracht hat in seinem Leben und mit 37 gestorben ist.
Wallace Stegner ist ein Meister der Einfühlung in scheinbar unversöhnliche Lebenswelten. Und so findet man sich als Leser immer wieder in der unbequemen Situation der Zerrissenheit. Denn Stegner verweigert uns und sich die Geborgenheit der einen Meinung. Und auch Joe muss - nach dem Tod der bezaubernden Nachbarin - lernen, sich und seine Dogmen in Frage zu stellen. Muss begreifen, dass der unsägliche Hippie ihm auch seine eigene Dummheit im Umgang mit seinem Sohn spiegelt, dass es eine Welt des Lichts nicht ohne Finsternis gibt.
Stegner scheut nicht vor drastischen Szenen zurück. Und hin und wieder wird die Botschaft, sich dem Leben zu öffnen mit all seiner Schönheit und seinem Kummer, ein wenig plakativ in die Welt gerufen. Doch die Kraft und Spannung der Erzählung, die Lebendigkeit der Figuren und der existentiellen Fragen lassen einen über die Lektüre hinaus nicht so schnell wieder los.
Besprochen von Gabriele von Arnim
Wallace Stegner: Vor der Stille der Sturm
Roman. Aus dem Amerikanischen von Chris Hirte
Deutscher Taschenbuchverlag, München 2011
358 Seiten, 14.90 Euro