Meister der Abgründe

Von Gregor Ziolkowski |
Der spanische Maler Francisco de Goya hat wie kein Zweiter meisterlich die menschlichen Abgründe sowie die zerstörerische Kraft und Grausamkeit des Krieges in realistischen Bildern in Szene gesetzt. In der Alten Nationalgalerie in Berlin sind nun 80 seiner bedeutendsten Gemälde zu sehen.
Dass Francisco de Goya bis auf den heutigen Tag einer der beunruhigendsten Maler der Kunstgeschichte ist, hat für seinen Biographen Robert Hughes damit zu tun, dass es Goya war, der als erster den Blick in die menschlichen Abgründe zu einem universell gültigen Bild verarbeitete.

R. Hughes: "Die Idee, dass wir von Natur aus gut sind, dass wir unschuldig geboren werden, weil dies der Wille eines wohlwollenden Schöpfers ist, ist kaum mehr als ein obszöner Scherz. Wir wissen, dass Goya Zeuge von Erschießungen in seiner Zeit war. Aber diese Zeugenschaft erstreckt sich auch auf die Verbrennungsöfen der Konzentrationslager, auf die Keller des Moskauer Dzierzynski-Platzes, auf Vietnam, auf die Festung Abu Ghraib, während sie unter dem Kommando Saddam Husseins stand und später, als sie in die Hände der jungen Folterer von Donald Rumsfeld fiel."

Hier ist von der Modernität eines Malers die Rede, der vieles vorwegnahm, was sich später voll ausbilden sollte: Einen hinschauenden Realismus zum einen, der die Schrecken des Krieges mit seinen Gewalttätigkeiten darstellte und dabei natürlich aus dem Kontext des Kampfes der Spanier gegen Napoleon seine Motive bezog. Der sich dabei aber nicht in den patriotischen Dienst am Vaterland nehmen ließ, sondern bis zum Kern der Konflikte ging - hin zu menschlichem Leid und Entsetzen, zu Ohnmacht und Schmerz, zu Brutalität und Verzweiflung, den eigentlichen Protagonisten seiner Grafiken und Gemälde.

Der Hofmaler, dessen ausdrucksstarke Porträts und lebenspralle Szenen der Königsfamilie und der Oberschicht so etwas wie die offizielle Seite seiner Arbeit bildeten, hat sich mit dem gleichen Sinn für das Wirkliche immer wieder den sozialen Rändern der Gesellschaft zugewandt: Irrenhäusern und Gefängnissen, Stierkampfarenen oder der bedrückenden Arbeitswelt einfacher Leute.

Aber auch auf der anderen Seite der menschlichen Existenz, im Unbewussten, hat Goya entscheidende Wege eröffnet. Seine "Caprichos" oder jene düstere Serie der so genannten Schwarzen Bilder, die er auf die Wände seines Landhauses malte, sind Auseinandersetzungen mit den Trieben und dunkelsten Abgründen unseres Daseins. Kein Wunder, dass ihn die Surrealisten, allen voran Salvador Dalí, für sich entdeckten.

Goya, das ist bis heute ein Maler, an dem sich die Gemüter erhitzen können. Seine nicht vollständig rekonstruierbare Biographie, sein enormer Einfluss auf spätere Generationen, sein politisches Engagement, das ihm einen Tod als Exilant in Bordeaux bescherte - all dies bietet immer wieder Stoff für Diskussionen, die diesen Maler gleichsam lebendig halten.

Service:
Die Ausstellung Goya - Prophet der Moderne ist vom 13. Juli bis 3. Oktober 2005 in der Alten Nationalgalerie auf der Berliner Museumsinsel zu sehen; anschließend wandert sie weiter nach Wien.