Meinungsmache auf Arabisch

Von Axel Flemming · 20.08.2012
Beim internationalen "M100 Jugend Medien Workshop" in Potsdam entwickeln arabische und europäische Medienmacher gemeinsam Ideen, wie sie die sozialen Netzwerke für den demokratischen Aufbruch nutzen können.
"Wir sind die Zukunft", das ist das Motto, unter dem sich Blogger, Aktivisten und preisgekrönte Nachwuchsjournalisten aus Nordafrika und Europa in Potsdam treffen.
Eine von ihnen: Mariam aus dem Irak, die in Bagdad lebt.

"Ich bin Politikwissenschaftlerin und Web-Designerin. Ich arbeite für Nicht-Regierungsorganisationen an der Entwicklung von Internetauftritten. Und ich schreibe Artikel und redigiere sie, damit sie im Netz erscheinen können."

Die 22-Jährige schreibt über Themen wie Ehrenmorde im Irak oder Kinderhandel. 2011 wurde sie vom European Journalism Centre ausgezeichnet. Sie profitiert von der Freiheit nach der Befreiung vom diktatorischen Regime in ihrem Land:

"Seit 2003 gibt es eine Menge Fernsehstationen und Zeitungen, außerdem Internetseiten und Blogs. Davor gab es nur zwei Stationen für Saddam Hussein und zwei Zeitungen. Aber viele Medien bekommen Geld von den Parteien, das hat Einfluss auf die Berichterstattung. Aber die Leute können auswählen und sich besser informieren als vorher. Internet, Blogs, Twitter und so weiter."

Sie versteht die deutsche Sicht auf ihr Land als vom Bürgerkrieg und Terrorismus geprägt, setzt dem aber ihren Alltag entgegen, wie bei der irakischen Version einer Eisbombe:

"Das ist eine Übergangsperiode, die Zeit braucht. Es gibt die Leute, die Bomben werfen und Menschen töten – nach zehn Jahren gehen die Iraker aber mit der Situation um. Wir saßen mal und aßen Eis, als eine Bombe explodierte. Wir haben aufgegessen und sind dann erst weg."

In Deutschland ist sie zum ersten Mal, so wie auch Naglaa aus Ägypten.
Die 23-Jährige arbeitet als Reporterin im ägyptischen Fernsehen und bei dem sozialen Medium "Hashtag", bei dem regelmäßig Themen der sozialen Netzwerke in das TV-Programm aufgenommen werden. Die Vertreibung des alten Präsidenten Mubarak öffnete die Medien für die Demokratie:

"Jetzt ist es auch für Jugendliche offener, die Öffentlichkeit ist auch aufmerksamer, wir waren vom alten Regime sehr vernachlässigt. Es ist für die Jugend leichter in die Medien zu kommen."

Den Machtkampf zwischen Islamisten und Militär sieht sie entschieden – zu Lasten der Demokratie:

"Ich meine, der Konflikt ist vorbei. Die haben einen Deal gemacht. Ich glaube Militär und Islamisten bündeln ihre Interessen, leider zum Schlechten, nicht zum Guten für das Land. Das Militär will nicht verfolgt und verurteilt werden wie Mubarak und die Islamisten, besonders die Muslim-Brüder wollen die Macht in der Regierung. Am Ende ist das nicht das, wofür die Ägypter während der Revolution auf die Straße gegangen sind. Freiheit, Würde und Demokratie."

Die Nachwuchsjournalisten aus den arabischen Ländern sprechen über das Thema "Nach den Web 2.0-Revolutionen. Neue Medien als Instrument für Wandel und mehr Demokratie?" Vier Tage lang brüten sie gemeinsam mit jungen Medienmachern aus Europa über Ideen und Konzepte für soziale Medien.
Die 24-jährige Wiem ist Journalistin bei Tunisia Live, der ersten englischsprachigen tunesischen Nachrichtenwebsite.

"Wir versuchen Tunesien mit der Welt zu vernetzen. Der Weg zur Demokratie ist lang und schmerzhaft. Wir haben eine Menge Veränderungen in der Regierung, viele Leute fürchten, dass das eine islamistische oder extremistische Regierung wird. Wir sind den Präsidenten zwar los, das war der Kopf, aber der Körper des alten Regimes ist noch da. Jetzt ist es Zeit für eine innere Revolution."

Bei den Journalisten zeigt sich das im alltäglichen Kampf gegen Korruption in Tunesien und um wirkliche Unabhängigkeit.

"Wir wollten Demokratie und nicht begrenzte Freiheit, das ist die große Herausforderung."
Viele Teilnehmer haben bereits weit reichende journalistische Erfahrungen, engagieren sich für Demokratie und Bürgerrechte und wirken aktiv am politischen Leben und Wandel in ihren Ländern mit.

Wiem ist schon zum zweiten Mal in Deutschland, nahm im letzten Jahr an einer Konferenz über die arabische Revolution teil. Vier Tage Zusammentreffen unterschiedlicher Kulturen, von jungen Leuten, die "etwas mit Medien" machen und sich über ihre Erfahrungen austauschen.

Leonie Abel, Assistentin dieses M100-Treffens:

"Das Thema des diesjährigen Workshops ist, welche Rolle die sozialen Medien haben können, in demokratischen Bewegungen. Also: Wie können die sozialen Medien sinnvoll und gut genutzt werden? Ich denke, gerade für diese jüngere Generation unter 30 stellen die sozialen Medien eine Plattform dar, in denen sie sich frei äußern können und die sie nutzen können, um möglichst viele Leute auf einfachem Wege ohne große finanzielle Mittel erreichen zu können."

So werden die Grenzen zwischen Produzenten und Konsumenten aufgehoben, Medienwissenschaftler sprechen schon von ‚Prosumenten’.