Meinungsfreiheit

Wut im Netz

Ein Mann sitzt an einem Laptop
Das neue Gesetz bringt den Internetnutzern in der Türkei weitreichende Eingriffe in die Meinungsfreiheit. © picture alliance / dpa
Von Susanne Güsten · 25.02.2014
Die Verschärfung der Internetkontrolle erntet in den türkischen Medien und der Kulturszene Spott und Empörung. Ein Moderator bindet Eisenketten um seinen Laptop, Politiker verlieren mehr als 100.000 Twitter-Anhänger und ein bekannter Schauspieler wünscht sich einen Feiertag, um einmal im Jahr frei sein zu dürfen.
Spätnachrichten im türkischen Privatfernsehen, und wie bei vielen Sendern üblich hat Moderator Gökhan Taskin seinen Laptop vor sich stehen – mit dem Unterschied, dass der Laptop mit Eisenketten verschnürt ist. Das sei die Realität unter dem neuen Internetgesetz, erklärt der Moderator seinen Zuschauern:
"Bevor wir erläutern, was das neue Internetgesetz im Einzelnen vorschreibt und wie es sich auswirkt, will ich Ihnen hier einfach mal zeigen, was es unterm Strich bedeutet: Das Internet liegt jetzt in Ketten. Und dagegen protestiere ich."
Ein Sturm der Entrüstung tobt in der türkischen Medienwelt, und zwar von den neuen Medien wie Twitter und Facebook über traditionelle Medien wie Zeitung und Fernsehen bis hin zu den Theaterbühnen. In der Blogosphäre demonstrierten die ansonsten unpolitischen Technik-Blogger Timur Akkurt und Baris Akpolat ihren Anhängern gestern per Video, was das neue Gesetz bedeutet:
"Wir machen jetzt dieses Video, wir stellen es online – und in vier Stunden löschen wir es wieder. Denn es ist ja jetzt so: Was Sie jetzt im Internet lesen, kann in vier Stunden schon wieder verschwunden sein. Wir zum Beispiel, oder auch ganz Youtube – in vier Stunden könnte alles schon weg sein. Sie suchen also besser schon einmal nach einer Alternative, um sich künftig zu informieren. Und sehen Sie sich unser Video rasch an, in vier Stunden wird es gelöscht. Das ist etwas, woran wir uns gewöhnen müssen unter dem neuen Gesetz, denn das sieht vor, das jede Seite innerhalb von vier Stunden gelöscht werden kann."
Jeden Text, jedes Foto, jedes Video und jede Seite sollen die türkischen Behörden künftig innerhalb von vier Stunden sperren, wenn sich jemand davon beleidigt fühlt. Das sieht das neue Gesetz vor, und daran ändern auch die Nachbesserungen nichts, die Staatspräsident Abdullah Gül zur Auflage machte, als er das Gesetz nun unterzeichnete. Die sehen zwar immerhin vor, dass zeitgleich mit der Sperrung ein Gericht eingeschaltet werden muss, das innerhalb von drei Tagen über den Fall zu entscheiden hat; dennoch bleibt es dabei, dass erst gesperrt und dann gefragt wird.
"China, Nordkorea, Iran und wir"
Mit seiner Unterschrift verlor der Staatspräsident an einem einzigen Tag über 100.000 Twitter-Anhänger, die ihm auf diesem Wege ihren Unmut bekundeten. Es ist vor allem die staatliche Bevormundung, die junge Türken wie Timur Akkurt und Baris Akpolat nervt:
"Warum brauchen wir dieses Gesetz, wissen Sie das? Weil wir als minderbemittelte Geschöpfe mit unseren armseligen Gehirnen nicht verstehen können, was wir lesen und sehen und wie gefährlich das ist. Weil wir ja keine Ahnung haben, was uns erwartet, wenn wir auf die Straße gehen oder ins Internet. Wir verstehen nicht, welche Seiten sind für unsere Kinder gefährlich sind oder sittengefährdend oder beleidigend, wir nutzloses Pack von Taugenichtsen. Aber zum Glück denkt Vater Staat für uns, und darüber können wir uns freuen. Wir werden dadurch eines von nur vier ausgesuchten Ländern der Welt – China, Nordkorea, Iran und wir, wir sind also ganz oben dabei. Dass der Staat so für uns sorgt, ist wirklich toll. Na dann, auf Nimmerwiedersehen in vier Stunden, bye-bye."
Ein vergittertes Gefängnistor schlägt am Ende des Videos zu – symbolisch bleiben die beiden Blogger dahinter eingesperrt. Doch Blogger und Tweeter sind mit ihrem Protest gegen die Internet-Beschränkungen längst nicht mehr alleine in der Türkei. Eine grosse Tageszeitung löscht aus Protest jeden Tag wichtige Meldungen und Kolumnen nach vier Stunden von ihrer Internetseite. Der bekannte Schauspieler und Theater-Regisseur Okan Bayülgen brachte die Kritik an der Internetzensur mit einem Sketch auf die Bühne:
"Lasst uns doch einen Feiertag ausrufen und einmal im Jahr frei sein: Eine Woche lang sollen wir dann frei ins Internet dürfen. Das wünschen wir uns: Wir wollen überall rein, hierhin, dorthin, überall. Aber hier ist die Polizei, da steht die Polizei. Lasst uns doch frei, lasst uns eine Woche lang überall hin, dann gehen wir wieder raus. Aber wir geben nicht auf!"
Der Ungeist der Zensur
Bayülgen sieht in dem Internetgesetz die Fortsetzung vom Ungeist der Zensur, den er auch von der türkischen Rundfunk- und Fernsehaufsichtsbehörde zu spüren bekommt. Die ist durchaus keine neue Einrichtung, sondern lastet seit Jahrzehnten bleischwer auf türkischen Fernsehmachern. Nicht einmal Witze erzählen könne er im türkischen Fernsehen, ohne bei der Aufsichtsbehörde anzuecken, klagt der Schauspieler. Der Protest gegen das neue Gesetz eint nun Künstler wie ihn mit Technikern wie Berhan Soylu vom Verein der Computeringenieure, dem die Vergleiche mit China oder dem Nachbarland Iran auf die Nerven gehen:
"Lasst doch diese Vergleiche mit anderen Ländern. Zensur ist Zensur, undemokratische Gesetze sind undemokratisch. Nur weil es das in anderen Ländern gibt, muss es das nicht bei uns geben. Warum messen wir uns immer mit den schlimmsten Seiten anderer Länder? Schauen wir doch auf uns selbst."
Doch zu verhindern ist das Gesetz nun nicht mehr – vom Parlament verabschiedet und vom Staatspräsidenten unterzeichnet, muss es nun nur noch im Staatsanzeiger veröffentlicht werden, um in Kraft zu treten.
Ohnmächtige Wut ist das einzige, was den Gegnern des Internetgesetzes derzeit noch bleibt – ohnmächtige Wut, die am Wochenende rings um den Taksim-Platz in Istanbul mit Straßenschlachten ausgelebt wurde.
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