Meinungsfreiheit

Rettet die Kunst vor den Moral-Aposteln!

04:30 Minuten
Das Bild zeigt das Gemälde "Hylas and the Nymphs" von John William Waterhouse aus dem Jahre 1896 und eine antike Büste in der Manchester Art Gallery.
Das Gemälde "Hylas and the Nymphs" von John William Waterhouse von 1896 wurde 2018 für eine Woche aus der Manchester Art Gallery infolge der Metoo-Debatte über die Darstellung von nackten Frauen in den Sammlungen der Kunstmuseen entfernt. © imago images / IPON
Ein Kommentar von Peter Kees · 02.12.2019
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Die gesellschaftliche Sensibilität für Fehlverhalten ist dank MeToo und anderer Initiativen gewachsen. Aber die Grenze ist erreicht, wenn sich der Protest nicht mehr gegen die Personen, sondern gegen deren Kunst richtet, meint der Konzeptkünstler Peter Kees.
Ob Peter Handke oder Siegfried Mauser, das künstlerische Werk von Menschen, die Fehler begangen haben, sei zu verurteilen, zu verbannen, so lesen sich inzwischen viele Kommentare der derzeitigen zum Teil sehr emotional geführten Debatten im Netz. Siegfried Mauser ist verurteilt, Peter Handke Nobelpreisträger. Beide würden viele gern aus der Kunstgeschichte verbannen. Es mag sein, dass Siegfried Mauser ein Straftäter ist, es mag auch sein, dass die politische Sicht von Peter Handke vielen nicht schmeckt. Etwas wird in diesen Diskussionen völlig übersehen: Mit der zunehmenden Meinung, der Mensch und sein Werk sei nicht zu trennen, wird begonnen, die Kunst einzuschränken, ihr die Freiheit zu rauben.

Wir brauchen keine Sittenpolizei

Längst gleichen diese Debatten einer Art Kulturpolizei, die entscheidet, was erlaubt ist, was nicht, willfährig gegenüber dem derzeitigen Moralverständnis, der gegenwärtigen politischen Korrektheit. Was immer jemand getan hat, was immer jemand denkt, es darf nicht dazu führen, das Werk zu ächten, die Kunst einzugrenzen. Eine Sittenpolizei in der Kunst brauchen wir nicht. Von der sogenannten "entarteten Kunst" zeugte schon mal eine Ausstellung in München – das war 1937 – wozu das geführt hat, wissen wir.
Die gegenwärtige Entwicklung ist gefährlich. Sie hat ihre Wurzeln in der Metoo-Bewegung. Nach den Missbrauchsvorwürfen gegen Kevin Spacey wurde der aus einem Film herausgeschnitten. In Folge forderten 2017 Aktivisten in New York ein Balthus-Bild aus dem Metropolitan Museum zu entfernen. Das 1938 entstandene Gemälde zeigt ein Mädchen auf einem Stuhl, deren Beine gespreizt sind. Unter ihrem Rock ist Unterwäsche zu erkennen.
Inzwischen spricht man von der sogenannten "Cancel Culture", in der angeblich für Moral im Kunstbetrieb gekämpft wird. Eine fatale Entwicklung.

Der angebliche Kampf für die Moral

Die Kunstgeschichte ist voller Beispiele nicht integrer Kunst. Richard Wagner war Antisemit. Soll man die Bayreuther Festspiele schließen? Carlo Gesualdo di Venosa hat seine ehebrecherische Gattin und deren Gespielen erstochen. Trotzdem: der Mörder hat Musikgeschichte geschrieben.
Moral kleidet sich immer im Gewandt der Zeit. Deren Kategorien haben heute fast biedermeierliche Züge. Wir wollen achtsam sein, gleichberechtigt, usw. – all das hat auch unbedingt Berechtigung, nur: Man darf diese Kategorien nicht auf Kunst anwenden. Kunst ist per se nicht demokratisch. Sie muss frei sein und bleiben dürfen, wie in unserer Verfassung verankert. Dabei darf sie durchaus auch undemokratisch und moralisch nicht integer sein.
Der Stellenwert der Kunst in einer demokratischen, freiheitlichen Gesellschaft darf nicht unterschätzt werden. Sie ist es unter anderem, die gesellschaftliche Prozesse reflektiert, zur Auseinandersetzung aufruft, mitunter wesentlich zur Gestaltung beiträgt. Die Kraft des Ästhetischen ist eine besondere, die wirkungsmächtig sein kann. Nicht umsonst richten alle totalitären Systeme und Diktaturen ihre besondere Aufmerksamkeit auf die Kunst, wehren Diktatoren sich gegen Kunst und versuchen sie in ihre Dienste zu zwingen, sie zu begrenzen oder gar zu verbieten.

Wie mit Goethes Werther umgehen?

Manche Werke der Kulturgeschichte übrigens triefen nur so von Blut und Mord, obwohl deren Autoren moralisch integre Zeitgenossen waren. Wie gehen wir mit Goethes Werther um? Immerhin hat die Lektüre dieser Schrift so einige Selbstmorde ausgelöst.
Wenn wir nicht aufpassen, wird die politische Korrektheit unserer Tage zu einem der gefährlichsten Zensoren. So sehr Missstände angegangen werden müssen, all das darf künstlerisches Schaffen nicht eingrenzen – übrigens völlig unabhängig davon wie integer der Urheber oder die Urheberin ist – oder eben nicht.

Peter Kees, geboren 1965, befasst sich als Künstler und Publizist mit Sehnsüchten, Idealen und Visionen. Seit der Biennale von Havanna 2006 hat er mehrfach einzelne Quadratmeter in europäischen Ländern annektiert und zu arkadischem Staatsgebiet erklärt. Als Arkadischer Botschafter vergibt er Visa und gewährt Asyl. Zu sehen waren seine Arbeiten u.a. auf der Mediations Biennale in Posen, im Museum of Contemporary Art Skopje, in La Capella Barcelona, im PAN Palazzo delle Arti Napoli, in der Neue Nationalgalerie Berlin, im Berliner Martin-Gropius-Bau, am Kunsthaus Bregenz, an der Kunsthalle Rostock und beim Kunstfest Weimar.

Peter Kees
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