Meinungsforscher weist Kritik an Wahlprognosen zurück
Der Geschäftsführer von Infratest dimap, Richard Hilmer, hat die Wahlprognosen seines Meinungsforschungsinstituts gegen Kritik verteidigt. Mit der letzten Umfrage zehn Tage vor der Wahl habe man sehr richtig gelegen, sagte Hilmer. Zugleich räumte er aber ein, dass Vorhersagen aufgrund der schwankenden Grundstimmung bei den Wählern immer schwieriger würden.
Ricke: Herr Hilmer, früher wusste man ja eigentlich spätestens eine Woche vor der Bundestagswahl, was man so wählen geht. Diesmal wussten es aber offenbar viele erst in der Wahlkabine. Liegt es an den Wählern oder an den Parteien?
Hilmer: Das liegt sicherlich an beiden. Prinzipiell sind die Wähler beweglicher geworden, volatiler, wie wir sagen, das heißt, sie nutzten das mittlerweile auch größere Angebot an unterschiedlichen Parteien. Der Wettbewerb der Parteien ist auch größer geworden. Es liegt allerdings sicherlich auch diesmal ganz besonders an den Parteien, die eben mit ihren Angeboten nicht so sehr überzeugen konnten, zumindest die beiden großen Volksparteien, dass sie eben nicht wie früher eine große Zahl von Wählern an sich binden konnten.
Ricke: Früher gab es einmal klare Milieus. Da wurde man sozusagen in eine schwarze oder in eine rote Familie hineingeboren. Gibt es überhaupt so etwas wie klare Parteimilieus?
Hilmer: Es gibt sie schon, aber sie sind eben geschwächt. Sie sind zahlenmäßig einfach nicht mehr so relevant, und wo sie existieren, haben sie an Bindekraft verloren. Man sieht es zum Beispiel an den Gewerkschaftsmitgliedern, klares Milieu, traditionelle Stammklientel der SPD. Hier hat die SPD diesmal nicht einmal mehr 50 Prozent bekommen. Sie hat allerdings in der Linkspartei jetzt einen Mitbewerber für diese Klientel. Umgekehrt die Union, bei den Katholiken kamen sie auch nicht mal mehr auf 50 Prozent. Das zeigt doch auch deutlich, dass eben die Bindekraft auch in den Kernmilieus doch deutlich verloren hat.
Ricke: Wenn diese Bindekraft so stark verliert, ist das nicht auch auf lange Sicht das Ende der Volksparteien mit ihren unterschiedlichen Flügeln und die Prognose, dass die Kleinen zulegen werden?
Hilmer: Die Kleinen profitieren natürlich davon, denn sie können verstärkter als früher ihre Nische nutzen. Das ist bei den Grünen immer noch die Umweltpolitik, Ökologie, Verbraucherpolitik, auch Außenpolitik gehört dazu, das ist wirklich keine Nische. Die Linkspartei hat die soziale Gerechtigkeit noch mal stark in den Vordergrund gebracht und punktete damit im Wettbewerb mit der SPD. Die FDP hat diesmal eigentlich Glück gehabt, dass eben ihre Kompetenzbereiche eher im Mainstreambereich liegen, Wirtschaftspolitik, Steuerpolitik so pointiert nach vorne gesetzt wurden, gerade von der Union, dass es am Schluss offensichtlich für viele Wähler egal war, ob sie nun Union oder FDP wählen. Ein Problem jetzt für die Union war, sie war ein stückweit austauschbar.
Ricke: Kommen wir noch einmal zum Kerngeschäft der Demoskopen, der Wahlvorhersage. Diesmal hat es nicht besonders gut geklappt. Es wird mittelfristig Wahlen geben, Landtagswahlen stehen vor der Tür. Wie kann sich denn die Wissenschaft auf dieses veränderte Wählerverhalten einstellen? Taugen denn Ihre Instrumente noch?
Hilmer: Da muss man auch differenzieren. Wenn wir unsere letzte veröffentlichte Umfrage zehn Tage vor der Wahl ansehen – wir haben ja in der letzten Woche nichts mehr gemacht -, dann stellen wir fest, dass das linke Lager, SPD, Grüne und jetzt auch hier unter Einschluss der Linkspartei PDS, sehr gut vorausgesagt wurde, es war fast eine Punktlandung. Das bürgerliche Lager wurde in seiner Gesamtstärke ebenfalls richtig vorausgesagt. Wir hatten ja keine schwarz-gelbe Mehrheit. Wir haben diese relativ frühzeitig gesehen. Allerdings das Verhältnis zwischen diesen beiden Parteien hat sich sehr stark zu Gunsten der FPD und zu Lasten der Union verschoben. Solche kurzfristigen Verschiebungen, mit denen müssen wir in der Tat rechnen, weil es immer mehr Wähler und Wählerinnen gibt, die eben strategisch wählen, das Optimum aus ihren zwei Stimmen herausholen wollen, und in diesem Falle war es eben ein Lager. FDP-Wähler, die die FDP mit ihrer Zweitstimme gewählt haben, zwei Drittel davon haben gleichzeitig die CDU mit der Erststimme gewählt. Insofern sind das Verschiebungen, die sozusagen sehr kurzfristig sind, die keine Abkehr von der einen Partei sind, sondern eher der Versuch zumindest, in dem Fall der gescheiterte Versuch, Schwarz-Gelb zu stärken.
Ricke: Müsste man dann als Demoskop, als Wahlforscher mit seinen Forschungen näher an den Wahltag?
Hilmer: Nein, das versuchen wir eigentlich zu vermeiden, denn diese letzte Entscheidung, Sie haben ja gesehen, es gab Kollegen, die noch am Samstag veröffentlicht haben, und die lagen ziemlich daneben, ob wir das besser gemacht hätten, ich weiß es nicht. Es ist tatsächlich so, wenn Sie so eine schwankende Grundstimmung haben, wie wir sie im Vorfeld gemessen haben – und darauf haben wir, denke ich, sehr intensiv hingewiesen, gerade unser Institut -, dann können Sie noch so nahe rangehen, dann müssen Sie schon mit dem Wähler in die Wahlkabine reingehen. Aber wir sind ja dann sozusagen in der Wahltagsbefragung schon draußen und warten auf den Wähler, wenn er die Wahlkabine verlässt, und die eigentlichen Prognosen, die 18-Uhr-Prognosen, die erwiesen sich ja wieder als sehr gut. Also ich denke, da haben wir trotz dieser dramatischen Verschiebung, die es diesmal gab, einen ausgezeichneten Job gemacht.
Ricke: Vielen Dank für das Gespräch.
Hilmer: Das liegt sicherlich an beiden. Prinzipiell sind die Wähler beweglicher geworden, volatiler, wie wir sagen, das heißt, sie nutzten das mittlerweile auch größere Angebot an unterschiedlichen Parteien. Der Wettbewerb der Parteien ist auch größer geworden. Es liegt allerdings sicherlich auch diesmal ganz besonders an den Parteien, die eben mit ihren Angeboten nicht so sehr überzeugen konnten, zumindest die beiden großen Volksparteien, dass sie eben nicht wie früher eine große Zahl von Wählern an sich binden konnten.
Ricke: Früher gab es einmal klare Milieus. Da wurde man sozusagen in eine schwarze oder in eine rote Familie hineingeboren. Gibt es überhaupt so etwas wie klare Parteimilieus?
Hilmer: Es gibt sie schon, aber sie sind eben geschwächt. Sie sind zahlenmäßig einfach nicht mehr so relevant, und wo sie existieren, haben sie an Bindekraft verloren. Man sieht es zum Beispiel an den Gewerkschaftsmitgliedern, klares Milieu, traditionelle Stammklientel der SPD. Hier hat die SPD diesmal nicht einmal mehr 50 Prozent bekommen. Sie hat allerdings in der Linkspartei jetzt einen Mitbewerber für diese Klientel. Umgekehrt die Union, bei den Katholiken kamen sie auch nicht mal mehr auf 50 Prozent. Das zeigt doch auch deutlich, dass eben die Bindekraft auch in den Kernmilieus doch deutlich verloren hat.
Ricke: Wenn diese Bindekraft so stark verliert, ist das nicht auch auf lange Sicht das Ende der Volksparteien mit ihren unterschiedlichen Flügeln und die Prognose, dass die Kleinen zulegen werden?
Hilmer: Die Kleinen profitieren natürlich davon, denn sie können verstärkter als früher ihre Nische nutzen. Das ist bei den Grünen immer noch die Umweltpolitik, Ökologie, Verbraucherpolitik, auch Außenpolitik gehört dazu, das ist wirklich keine Nische. Die Linkspartei hat die soziale Gerechtigkeit noch mal stark in den Vordergrund gebracht und punktete damit im Wettbewerb mit der SPD. Die FDP hat diesmal eigentlich Glück gehabt, dass eben ihre Kompetenzbereiche eher im Mainstreambereich liegen, Wirtschaftspolitik, Steuerpolitik so pointiert nach vorne gesetzt wurden, gerade von der Union, dass es am Schluss offensichtlich für viele Wähler egal war, ob sie nun Union oder FDP wählen. Ein Problem jetzt für die Union war, sie war ein stückweit austauschbar.
Ricke: Kommen wir noch einmal zum Kerngeschäft der Demoskopen, der Wahlvorhersage. Diesmal hat es nicht besonders gut geklappt. Es wird mittelfristig Wahlen geben, Landtagswahlen stehen vor der Tür. Wie kann sich denn die Wissenschaft auf dieses veränderte Wählerverhalten einstellen? Taugen denn Ihre Instrumente noch?
Hilmer: Da muss man auch differenzieren. Wenn wir unsere letzte veröffentlichte Umfrage zehn Tage vor der Wahl ansehen – wir haben ja in der letzten Woche nichts mehr gemacht -, dann stellen wir fest, dass das linke Lager, SPD, Grüne und jetzt auch hier unter Einschluss der Linkspartei PDS, sehr gut vorausgesagt wurde, es war fast eine Punktlandung. Das bürgerliche Lager wurde in seiner Gesamtstärke ebenfalls richtig vorausgesagt. Wir hatten ja keine schwarz-gelbe Mehrheit. Wir haben diese relativ frühzeitig gesehen. Allerdings das Verhältnis zwischen diesen beiden Parteien hat sich sehr stark zu Gunsten der FPD und zu Lasten der Union verschoben. Solche kurzfristigen Verschiebungen, mit denen müssen wir in der Tat rechnen, weil es immer mehr Wähler und Wählerinnen gibt, die eben strategisch wählen, das Optimum aus ihren zwei Stimmen herausholen wollen, und in diesem Falle war es eben ein Lager. FDP-Wähler, die die FDP mit ihrer Zweitstimme gewählt haben, zwei Drittel davon haben gleichzeitig die CDU mit der Erststimme gewählt. Insofern sind das Verschiebungen, die sozusagen sehr kurzfristig sind, die keine Abkehr von der einen Partei sind, sondern eher der Versuch zumindest, in dem Fall der gescheiterte Versuch, Schwarz-Gelb zu stärken.
Ricke: Müsste man dann als Demoskop, als Wahlforscher mit seinen Forschungen näher an den Wahltag?
Hilmer: Nein, das versuchen wir eigentlich zu vermeiden, denn diese letzte Entscheidung, Sie haben ja gesehen, es gab Kollegen, die noch am Samstag veröffentlicht haben, und die lagen ziemlich daneben, ob wir das besser gemacht hätten, ich weiß es nicht. Es ist tatsächlich so, wenn Sie so eine schwankende Grundstimmung haben, wie wir sie im Vorfeld gemessen haben – und darauf haben wir, denke ich, sehr intensiv hingewiesen, gerade unser Institut -, dann können Sie noch so nahe rangehen, dann müssen Sie schon mit dem Wähler in die Wahlkabine reingehen. Aber wir sind ja dann sozusagen in der Wahltagsbefragung schon draußen und warten auf den Wähler, wenn er die Wahlkabine verlässt, und die eigentlichen Prognosen, die 18-Uhr-Prognosen, die erwiesen sich ja wieder als sehr gut. Also ich denke, da haben wir trotz dieser dramatischen Verschiebung, die es diesmal gab, einen ausgezeichneten Job gemacht.
Ricke: Vielen Dank für das Gespräch.