Meinungsbildung über Gut und Böse

Moderation: Katrin Heise |
Wolfgang Donsbach von der Technischen Universität Berlin kritisiert eine oberflächliche Medienberichterstattung über den Konflikt zwischen China und Tibet. Eine öffentliche Wahrnehmung von Themen erfolge ohnehin meist nur im Gut-böse-Muster, erläuterte der Kommunikationswissenschaftler. Darum habe die Position Chinas auch kaum eine Chance, differenziert berichtet zu werden.
Katrin Heise: Und ich begrüße jetzt Wolfgang Donsbach, Kommunikationswissenschaftler der Technischen Universität Dresden. Guten Tag, Herr Donsbach!

Wolfgang Donsbach: Guten Morgen, Frau Heise!

Heise: Sie beobachten seit Langem die Einflussfaktoren der Meinungsbildung im Allgemeinen und für uns haben Sie sich auch noch mal die Berichterstattung der letzten Zeit zum Thema Tibet besonders vorgenommen. Haben Sie auffällige Einseitigkeiten oder Verschiebungen festgestellt?

Donsbach: Sicher ist das Auffälligste an der ganzen Berichterstattung, dass sie sehr an der Oberfläche bleibt, dass man eigentlich über die Hintergründe relativ wenig erfährt. Nun sollte uns das als Kommunikationswissenschaftler nicht überraschen, das passiert ja häufiger. Aber es ist in diesem Fall doch besonders auffällig die Ziele des Dalai Lama, die historischen Hintergründe, wie Tibet in das chinesische Reich reingekommen ist, das, was man will, das, was man erreichen will, das wird eigentlich dem Leser, Hörer, Zuschauer weitgehend vorenthalten, oder es findet eben dann nur in den Qualitätsmedien statt, die die breite Masse der Bevölkerung nicht aufnimmt. Es wird überwiegend mit Symbolen, mit symbolischen Aktionen abgehandelt das Thema, die sich natürlich auch wunderbar darstellen lassen, insbesondere in den Bildmedien.

Heise: Also vereinfacht durch eben vermehrten Einsatz von Bildmedien. Ist denn durch die Möglichkeit, gerade des Internets, tatsächlich eine Gegenöffentlichkeit entstanden, die Einfluss hat auf unseren Kopf sozusagen?

Donsbach: Das Internet wird in der Hinsicht, glaube ich, noch überschätzt. Die Botschaften, die Sie im Internet finden, das gilt auch für Blogger im Inland, die bekommen erst dann eine politische Relevanz, wenn sie von den traditionellen Medien aufgegriffen werden. Das mag sich irgendwann mal ändern. Aber im Moment ist das noch so, die Blogs haben an sich keine Wirkung, und genauso haben die Internetaktivitäten, die die Chinesen gestartet haben für sich, keine Wirkung. Aber dann, wenn die traditionellen Medien das aufgreifen, wenn sie sagen, dass Tausende von chinesischen Webseiten irgendetwas gemacht haben oder Blogger irgendetwas gemacht haben, dann kann das verstärkend hinzukommen. Ich glaube nicht, dass die weltöffentliche Meinung derzeit geprägt wird durch das, was im Internet geschieht. Sondern das sind noch die CNNs und die Deutschlandradios und die "FAZ"s dieser Welt.

Heise: An einem Meinungsbild stricken ja eben nicht nur die Akteure mit, in diesem Fall Chinesen und Tibeter. Wie entsteht öffentliche Meinung? Welche Interessen spielen da noch eine Rolle?

Donsbach: Diese Frage, die stellen sich Wissenschaftler seit 200 Jahren, und es gibt keine eindeutige Antwort darauf. Aber was sicherlich immer wieder ein gemeinsames Kennzeichen ist, es beginnt in der Regel die Herausbildung einer öffentlichen Meinung durch weniger Aktivisten, durch Menschen, die sich irgendeines Themas annehmen, sei das aus gutwilligen oder auch aus böswilligen Gründen. Und die versuchen dann, dieses Thema so in die Öffentlichkeit zu bekommen, dass man eigentlich keine andere Meinung mehr dazu haben kann. Das heißt, der moralische Aspekt der öffentlichen Meinung, der ist immer ganz wichtig. Eine öffentliche Meinung entsteht eigentlich nur dort, wo es gut und böse gibt, und wo die eine Seite versucht, die andere als das Evil Empire, als das böse Empire darzustellen. Wir haben das erlebt am Fall von Brent Spar, wo Shell über Wochen hinaus keine Möglichkeit hatte, überhaupt seinen Standpunkt herüberzubringen, weil der Konzern von Anfang an diskreditiert war. Und wir erleben es auch, hier in der Berichterstattung mit der chinesischen Seite. Nun will ich die Chinesen nicht als die Urheber der Demokratie darstellen. Aber es ist doch ganz eindeutig, dass ihre Position in dem ganzen Konflikt kaum eine Chance hat, bei uns berichtet zu werden.

Heise: Bleiben wir noch mal ganz kurz bei dem anderen Beispiel, das Sie gerade genannt haben, Brent Spar und Greenpeace war es ja damals, die haben profitiert davon, obwohl sie ja, am Ende waren es ja fehlerhafte Meldungen, von ihrem Image. Da kommt man ganz schwer runter, von ihrem guten Image?

Donsbach: Ja, Greenpeace, es gibt einige andere, Amnesty International, die haben zum Teil zu Recht auch, das will ich jetzt gar nicht bewerten, das Image, das sie sich eigentlich aus uneigennützigen Gründen irgendwelcher Themen, Probleme, Krisen annehmen. Damit haben sie schon mal ein Vorsprung bei den Medien, weil man sagt, wenn die etwas sagen, dann ist das nicht aus einem eigenen Interesse heraus, wie das etwa bei einem Unternehmen ist. Das ist der eine Punkt. Es gibt dann meistens eine Nähe auch zu Journalisten, die kann ideologischer Art sein, es ist ja kein Geheimnis, dass Journalisten eher auf der linksliberalen Seite angesiedelt sind und solche Aktivistengruppen dann eine gewisse ideologische Ähnlichkeit mit ihnen aufweist. Aber was noch viel wichtiger ist, ist, dass solche Gruppen auch deshalb den Journalisten näherstehen, weil sie ja auch gegen Mächte, gegen Gewalten ankämpfen. Und Journalisten sehen sich überall auf der Welt als so eine Art Gegengewalt gegen die etablierten Gewalten, gegen die Regierungen dieser Welt, gegen die etablierten Parteien dieser Welt. Und diese Gruppen oder auch Einzelpersonen, wenn wir jetzt wieder auf den Dalai Lama zurückkommen, die es auch tun, die haben zunächst einmal beim Journalismus ein gewisses Faible, weil hier eine Interessenidentität da ist. Und der nächste Punkt, sie machen dann auch Aktionen, die einen hohen Nachrichtenwert haben. Brent Spar hat damals bzw. Greenpeace hat damals im Falle von Brent Spar eben Aktionen gemacht, die sich wunderbar darstellen ließen, die kleinen Schlauchboote, die um die Riesen-Brent-Spar herumfahren, und die dann von Hubschraubern attackiert werden. Das war natürlich genau der Stoff, aus dem nicht die Träume, sondern der Journalismus ist, der tagesaktuelle Journalismus. Und das ließ sich natürlich viel besser bebildern, als dann eine Pressekonferenz, bei der Shell sagen wollte, wie es wirklich ist.

Heise: Da sind wir wieder bei den Bildern. Wie entstehen Meinungen? Im "Radiofeuilleton" hören Sie dazu den Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Donsbach. Wenn es aber so ist, wie Sie sagen, Herr Donsbach, dann müssten ja eigentlich immer die Guten, die Kleinen die Meinungsschlachten gewinnen?

Donsbach: Ja gut, die Kleinen, diejenigen, die solche Aktionen starten, sind ja nicht immer die Guten. Ich habe gesagt, dass Greenpeace in dem Fall sicherlich die Aura hat, dass sie interessensneutral sind. Aber das ist eben auch nur eine Aura. Und wir haben ja im Nachhinein gesehen, dass sie sich in diesem Fall tierisch geirrt haben und auch Abbitte leisten mussten. Und viele Aktivisten machen es eben nicht aus Uneigennutzung, sondern aus ideologischen Gründen oder weil sie bestimmte eigene Interessen verfolgen.

Heise: Und dann kommen wir noch mal zu anderen Mechanismen, die auch in die Meinungsschlacht einwirken, nämlich zum Beispiel die Wirtschaft.

Donsbach: Die Wirtschaft kann natürlich das genauso ausnutzen. Die Wirtschaft kann in einem weltpolitischen Maßstab, und jetzt sind wir vielleicht wieder bei China, natürlich ein Interesse haben daran, dass bestimmte Positionen sich durchsetzen, dass bestimmte öffentliche Meinungen in der Welt sich durchsetzen in der Wahrnehmung eines Landes wie China. Im Fall von Brent Spar hat die Wirtschaft natürlich auch ein Interesse daran gehabt, dass die Position von Shell sich durchsetzte, ohne Erfolg, zumindest am Anfang. Die Wirtschaft spielt insofern eine Rolle, als man die wirtschaftlichen Interessen immer auch sehen muss als eine der Motivationen für Aktionen, die gestartet werden. Aber es ist nicht das Einzige, und es ist auch nicht immer in allen Konflikten die Wirtschaft mit im Spiel. Und man kann jetzt die Frage stellen, wie ist das im Falle China. Ich glaube, dass es im Falle Chinas die wirtschaftlichen Interessen nur in zweiter oder dritter Dimension eine Rolle spielen, die wirtschaftlichen Interessen des Westens könnte man hier nennen, dass ein Interesse daran besteht, vielleicht China zu schwächen, China in der öffentlichen Meinung als dann doch nicht so weltoffen und als der bedeutende Handlungspartner …

Heise: Andererseits ist es immer so eine Sache, wann die Agenda irgendwie gerade mal Tibet zulässt. Das ist ja auch nicht tagtäglich, sondern nun gerade zu dieser Zeit. Eine Frage habe ich noch an Sie als Kommunikationswissenschaftler. Wenn ich das so raushöre, an neutrale Berichterstattung glauben Sie nicht?

Donsbach: Ich glaube schon, dass sie möglich ist. Was ist neutrale Berichterstattung. Ich glaube, neutrale Berichterstattung ist dann gegeben, wenn das Medium versucht, dem Publikum, dem Hörer, Zuschauer und Leser die Wahrnehmungsoptionen zu lassen, wenn er die Möglichkeit bekommt zu hören, was beide Seiten in einem Konflikt zu sagen haben, und dann für sich selbst abwägen kann, wem er recht gibt. Und das ist genau das, was in diesem Falle jetzt ja nicht passiert. Wir hören praktisch nicht die Argumente der chinesischen Seite. Wir hören immer nur über ihre Reaktionen im Land Tibet. Aber wir haben nicht die Möglichkeit wahrzunehmen, was ist eigentlich die Agenda der Chinesen, was sind die Agenda der Tibeter, und wie kann dann der einzelne Zuhörer und der einzelne Leser sich ein Bild machen, das ihn nicht sozusagen abhängig macht von dem, was in der Berichterstattung geboten wird. Das ist möglich, und es gibt Medien, die das tun. Wie gesagt, in den normalen Publikumsmedien bleibt man an der Oberfläche, und das ist dann eben auch das, was die Medien in ihrer Qualität unterscheidet, und die Möglichkeit ist da.

Heise: Beobachtungen des Kommunikationswissenschaftlers Wolfgang Donsbach. Vielen Dank, Herr Donsbach, für dieses Gespräch!

Donsbach: Gerne!