"Meinem Berufsleben wird eine Krone aufgesetzt"

Carlo Wloch im Gespräch mit Dieter Kassel · 26.11.2008
Der Steinbildhauermeister Carlo Wloch war am Aufbau des Berliner Palastes der Republik beteiligt. Dennoch überkommen ihn keine sentimentalen Gefühle, wenn jetzt das letzte Treppenhaus abgerissen wird. Dass das Stadtschloss wieder aufgebaut werden soll, sei für ihn ein Sieg über die Politik der Teilung, die lange Zeit in Berlin betrieben worden sei.
Dieter Kassel: Wer noch die allerletzten Reste des Palasts der Republik sehen will, der muss jetzt sofort nach Berlin fahren. Und er braucht ein schnelles Verkehrsmittel, denn vielleicht schon heute, spätestens aber übermorgen wird die Beseitigung des letzten Treppenhausrests beendet sein. Und dann bleibt nur noch Sand, und die Erinnerung an Worte wie diese:

Grundsteinlegung durch Erich Honecker am 3. November 1973: "Wir legen heute den Grundsteine für den Palast der Republik, für ein schönes, ein bedeutendes Bauwerk im Zentrum der Deutschen Demokratischen Republik. Dieser Palast soll ein Haus des Volkes werden."

Sitzung der Volkskammer der DDR vom 23.08.1990: "Mit Ja haben 294 Abgeordnete gestimmt, mit Nein haben 62 Abgeordnete gestimmt und 7 Abgeordnete haben sich der Stimme erhalten. Meine Damen und Herren, ich glaube, das ist wirklich ein historisches Ereignis."

Dieses wirklich historische Ereignis war natürlich die Wende, die auch das Aus für den Palast der Republik bedeutete. Morgen und übermorgen verschwindet das letzte Treppenhaus. Das kann sich ein Mann nicht live und direkt angucken: Der Berliner Steinbildhauermeister Carlo Wloch liegt im Moment im Krankenhaus. Da er aber einerseits tatsächlich was mit dem Innenausbau des Palastes der Republik zu tun hatte und andererseits einer der großen Schlossbefürworter ist und auch mit der Außenfassade, diesen drei rekonstruierten Außenfassaden des Stadtschlosses zu tun haben wird, haben wir gestern mit ihm gesprochen, ihn im Krankenhaus angerufen. Und ich habe Carlo Wloch als Erstes gefragt, was denn eigentlich ein Steinbildhauermeister, wieso der beim Palast der Republik gebraucht wurde.

Carlo Wloch: Ein Steinbildhauer ist ja auch jemand, der vorher Steinmetz gelernt hat. Und Steinmetze haben am Palast der Republik alle diese Arbeiten durchgeführt, wiie zum Beispiel diese Marmorverkleidung bei Marmortreppen, Treppenhäuser, alles, was aus Naturstein war, ist ja von Steinmetzen gemacht worden. Und da kamen dann auch so ganz spezielle Dinge noch ganz zum Schluss wie so Anpassarbeiten, so Treppengeländer, die in Marmor waren, im Material eingebaut waren. Die mussten dann natürlich nahtlos aneinandergefügt und gepasst werden, geschliffen und poliert werden. Und solche Sachen haben wir dann gemacht.

Kassel: Sie waren ja, wenn ich richtig im Kopfrechnen bin, ungefähr zwei Jahre alt, als die Ruine des Stadtschlosses damals gesprengt wurde.

Wloch: Genau.

Kassel: Das heißt, das haben Sie kaum richtig bewusst miterlebt, aber man hat Ihnen das ja alles erzählt. Hatten Sie denn damals Mitte der 70er Lust und Freude daran, plötzlich am Bau des Palastes der Republik mitzuarbeiten.

Wloch: Nee, das hatte aber einen anderen Grund. Der Betrieb meines Vaters ist gerade verstaatlicht worden, enteignet worden. Er war ja auch ein Steinmetz und Steinbildhauermeister, mein Vater, und hat ja auch in Berlin sehr viel nach dem Krieg mit aufgebaut, Stalinallee, Reichsbahn und die Post und so diese große Bauten gemacht. Und plötzlich waren wir erst mal Haus und Hof sozusagen los und sollten dann an so einem Palast da mitmachen. Das hat uns aus mehreren Gründen nicht gefallen. Aber dann hat der Graffunder (Anm. d. Red.: Heinz Graffunder, Chefarchitekt des Palastes der Republik) uns wirklich richtig liebevoll bequatscht und hat gesagt, kommt nun hier, diese paar Sachen, und wer soll das machen und das könnt ihr schon und so. Na ja, so ein bisschen am Ego gekratzt und dann haben mein Bruder und ich gesagt, komm, wir machen da diese vier Wochen mit und dann haben wir auch noch mal so eine Baustelle von innen gesehen. Und das war auch so verkehrt nicht. Das war eine interessante Arbeit und wir hatten da eine Menge gesehen. Es waren ja auch sehr viele Firmen, DDR-weit Firmen dort, neue Techniken, ganz besonders neue Handwerkzeuge, Maschinen und so. Das war auch eine interessante Zeit.

Kassel: Das hört sich für mich jetzt so an, Herr Wloch, als ob Sie zwar so ideell jetzt natürlich das nicht toll fanden, dass man da nun so ein Palast der Republik hinbaut, aber so als technisches Bauwerk haben Sie es schon interessant gefunden?

Wloch: Das war auch eben ein ziemlich moderner Theaterbau. Es war ja eigentlich eine der modernsten Bühnen der Welt, die man hingebaut hat, diese Drehbühne, die Konstruktion. Das war natürlich schon spannend. Und hinterher waren wir als DDR-Bürger natürlich auch immer scharf, da mal einen Bowlingplatz zu kriegen oder mal eine Karte für eine Tanzveranstaltung zu bekommen. Das war nun nicht so, dass das ein Schrottbau war. Aber in so einem Schick bin ich mehr so für ein Schloss. Und da ich als DDR-Bürger und auch als einer, der in der DDR ja nicht so gelitten war, weil er ja so ein Kapitalistenkind war, "Kapitalistensöhnchen" sagte man in der Schule zu Kindern, die aus selbstständigen Familien kamen, war das für mich so sehr zwei- und dreischneidig.

Kassel: Aber wenn Sie jetzt selber so erzählen, klar, dieses Spreebowling da im Palast oder auch mal die eine oder andere Kulturveranstaltung, welcher Art auch immer, wenn Sie jetzt irgendwie mal vorbeigegangen sind in den letzten Jahren, zuerst an der Ruine und dann an dem fortschreitenden Abriss, ich meine, ob man will oder nicht als Mensch, kriegt man da nicht trotzdem so ein bisschen auch sentimentale Gefühle?

Wloch: Na, Sieg! Ich habe gedacht, jetzt hat sich doch das durchgesetzt. Der Vater war immer sehr traurig da drüber und auch so die Alten haben gesagt, diese Verrückten, nun haben sie es doch abgerissen und so. Für mich ist dieser Aufbau, der Wiederaufbau dieses Schlosses auch so ein Stück Sieg, auch Sieg über diese Politik, die ja in Gesamtberlin gemacht worden ist.

Wir im Osten hatten den Palast der Republik, die im Westen hatten das ICC oder die hatten eine Staatsoper und wir hatten eine Staatsoper. Irgendwie fing man an immer mehr Angst zu bekommen, dass das eine sehr, sehr lange Sache wird, diese Teilung dieser Stadt, diese Teilung Deutschlands, weil sich jeder auf irgendwie seine Weise doch wieder eingerichtet hatte oder dabei war. Sie hatten den Funkturm da drüben, wir hatten den Fernsehturm, so aus dieser Sicht betrachtet. Das hat mich schon immer getroffen.

Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur gerade mit Carlo Wloch. Er ist Steinbildhauermeister, Sohn einer Bildhauer- und Steinmetzfamilie und ist jetzt, ich darf es an dieser Stelle nun endlich deutlich sagen, ja auch beteiligt an der Rekonstruktion der Fassade des alten Berliner Stadtschlosses, die eigentlich ab 2010 entstehen soll in Berlin-Mitte. Was tun Sie denn im Moment? Leider Gottes liegen Sie ja im Moment im Krankenhaus. Aber wenn Sie wieder rauskommen, was tun Sie im Moment, was die Vorbereitung dieser Rekonstruktion angeht?

Wloch: Im Moment bin ich dabei, Kapitelle herzustellen, die der Matthias Körner nach Zeichnungen und nach Fotos rekonstruiert hat, die in Stein umzusetzen, in Material, aus dem mal dieses Schloss gebaut worden ist, aus Reinhardsdorfer, aus Cottaer und aus Portasandstein, also aus sächsischem Sandstein.

Kassel: Sie sind, Herr Wloch, selber Steinmetz- und vor allen Dingen Steinbildhauermeister. Sie bilden auch Nachwuchs aus. Wenn jetzt jemand 20, 25, 30 Jahre ist, macht die Ausbildung, macht vielleicht mit bei dieser Drei-Seiten-Schloss-Fassade, ich meine, das ist ja irgendwann fertig, was macht denn der arme Mensch dann? Ist das heute ein Beruf, mit dem man wirklich Arbeit findet?

Wloch: In Ostdeutschland sind nach dem Krieg, nicht durch Kriegshandlung, 1400 Schlösser und Herrenhäuser zerstört worden, 1400. Und da können Sie hinkommen, wo Sie wollen, ob das in Neustrelitz ist oder ob das in Güstrow ist oder ob das auf Rügen ist. Die Tendenz ist immer, ach, würden wir doch gerne wiederhaben wollen. Hier hat ja mal das Herz unserer Heimat getickt.

Wer an diesem Schloss mitgemacht hat, ob das nun der Maler ist oder der Zimmermann oder der Maurer oder der Steinbildhauer, der wird auf der ganzen Welt händeringend als Fachmann genommen. Denn die Leute werden noch mal richtig klassisch ausgebildet. Und darum geht es für mich ja in allererster Linie. Noch mal, das, was ich alles gelernt habe, ist ja auch der Ehrenkodex eines Handwerksmeisters, das weiter zu überliefern.

Kassel: So richtig haben Sie ja noch gar nicht angefangen. Aber wenn Sie irgendwann mal mit der Arbeit am Stadtschloss an den drei Fassadenseiten fertig sind, dann geht ja für Sie ein Traum in Erfüllung. Gibt es da noch irgendetwas, wo der Steinbildhauer und auch der Steinmetz sagt, das möchte ich in meinem Leben noch mal gemacht haben, bevor ich dann irgendwann doch mal aufhöre?

Wloch: Da ist schon dieses Schloss die Spitze. Ich habe mit diesem Berliner Schloss dann auch meinem Berufswunsch, meinem Berufsleben eine Krone aufgesetzt, die Fürstenkrone oder Königskrone oder was Sie auch immer wollen.
Kassel: Na gut, dann möchte ich Ihnen an dieser Stelle jenseits aller Debatten, die ansonsten dazu zu Recht und zu Unrecht geführt werden, persönlich viel Glück für das Projekt wünschen und kurzfristig auch erst mal gute Besserung. Danke für das Gespräch!

Wloch: Ja, danke schön!
Die Fassade des Stadtschlosses in Berlin im Jahr 1950
Die Fassade des Stadtschlosses in Berlin im Jahr 1950© AP Archiv