"Meine Universität lag im Café"

Von Susanne Kaufmann · 09.10.2012
In ihren Erinnerungen "So bin ich eben – Erinnerungen einer Unbezähmbaren" erweckt Juliette Gréco das Paris der 50er- und 60er-Jahre zu neuem Leben. Sie berichtet von der Begegnung mit Musikern wie Miles Davis oder dem Philosophen Jean-Paul Sartre. Mit 85 Jahren hat sie nun ihre Autobiografie herausgebracht und im Literaturhaus Stuttgart vorgestellt.
"Ich bin wie ich bin" – "Je suis comme je suis": Dieses Lied, sagt Juliette Gréco, habe sie schon lange nicht mehr gesungen. Doch das Ende des Verses "Je suis faites comme ca" hat sie als programmatischen Titel über ihre Autobiografie gesetzt: "So bin ich eben". Und wie, das führt das Buch im Untertitel gleich weiter aus: "Erinnerungen einer Unbezähmbaren". Einer Unbezähmbaren? Steht das da?, will die Gréco heute Nachmittag wissen, den Untertitel gibt's in Frankreich nämlich nicht, sie schaut sich leicht perplex das Cover der deutschen Buchausgabe an:

"Ich mache, was ich will. Ja. Dagegen kann keiner etwas tun. Wenn ich was entschieden habe, dann mach ich das. Keiner kann mich daran hindern. Ich bin definitiv nicht gehorsam."

Ihre Autobiografie hat sie jetzt verfasst, damit es, wie sie lachend sagt, nicht jemand anders tut. 1983 schrieb sie schon eine erste, doch seitdem sei viel passiert. Es ist ein unprätentiöses, leicht zu lesendes Buch mit einfachen, kurzen Sätzen, ein Gang durchs Leben der Juliette Gréco. Schonungslos offen beschreibt sie ihre Unsicherheiten, das Lampenfieber, auch wie sie in Paris mal Schlaftabletten nahm und gerade noch rechtzeitig gefunden wurde. Die Schilderungen aus ihrer Kindheit erklären vieles. Einmal wäre sie fast ertrunken, weil sich ihr Vater die schönen Schuhe nicht verderben wollte.

Später heute dann bei ihrer Lesung im ausverkauften Stuttgarter Literaturhaus trägt Juliette Gréco dasselbe schwarze Strickkleid wie am Nachmittag schon im Hotel. Neben ihr sitzt eine Moderatorin, es gibt auch eine Übersetzerin. Sie beginnt mit dem Kapitel, in dem sie schildert, wie sie und ihre Schwester nach Jahren bei den Großeltern zur Mutter ziehen müssen, zu einer Mutter, die die eigenen Kinder kaum kennt und auch nicht wirklich liebt.

In ihrem Buch beschreibt die Chanteuse auch ihre Rituale vor jedem abendlichen Auftritt bis hin zu den Teddybären, die sie stets begleiten. Sie schildert, wie sie die Résistance unterstützte und Bekanntschaft mit der Gestapo machte, dann nach dem Krieg die Pariser Intellektuellen kennenlernte, allen voran Jean-Paul Sartre. Er war es, der sie aufforderte zu singen. Was für eine Beziehung hatte sie zu dem großen Existenzialisten?

"Das war ein Verhältnis, das er geschaffen hat, das ich mir niemals hätte vorstellen können. Er war es, der zu mir gekommen ist. Er hat mich angesprochen, das hätte ich niemals gewagt. Das war ein Meister, ein Lehrer, ein großer Philosoph – und ich war ein kleines Mädchen. Ich habe ihn bewundert, verehrt, war neugierig. er nahm mich in seine Hand und sprach mit mir, so wie Simone de Beauvoir, Merleau-Ponty, Albert Camus. Ich hatte sehr viel Glück. Meine Universität lag im Café. Ich stellte eine Frage und bekam eine Antwort – und was für eine Antwort: auf eine dumme Frage eine intelligente Antwort! (lacht) Das war wunderbar!"

In ihren Beschreibungen erweckt Juliette Gréco das Paris der 1950er- und 60er-Jahre zu neuem Leben, berichtet von der Begegnung mit Musikern wie Miles Davis, von der Freundschaft zu Jacques Brel und Serge Gainsbourg, ihren Auftritten beim Film. Seit dem ersten Konzert trägt sie ein schwarzes Kleid. Ist das das Schwarz der Existenzialisten? Das Künstler-Schwarz? Nicht wirklich, wehrt sie ab.

"Ich hatte immer ein krankhaftes Schamgefühl. Ich trage keinen Badeanzug, ich spaziere nicht nackt herum. Ich bin immer sehr angezogen. Sehr. Ich trage auch nur sehr kleine Ausschnitte, hier dieser ist das absolute Maximum. Ich will nicht, dass man meinen Körper sieht."

Doch auf der Bühne singt sie "Déshabillez-moi – Ziehen Sie mich aus". Das sind die Facetten der Juliette Gréco. Sie schreibt nicht über ihre Affären und nur wenige Sätze über die Ehen, die sie führte. Gleichwohl philosophiert sie – sie ist zum dritten Mal verheiratet, seit mittlerweile 20 Jahren – über Freundschaft, Zuneigung und Liebe.

Und warum lacht die große Legende, die Muse der Existenzialisten so viel?

"Für mich ist das ein Akt der Freiheit. Wenn man lacht, öffnet man den Mund. Dabei entblößt man sich geradezu. Die Asiaten übrigens verbergen ihren Mund, die Mädchen halten ihre Hand davor, damit man ihren offenen Mund nicht sieht. Das hat etwas mit dem Schamgefühl zu tun."

Für ihre Zukunft, sagt die 85-Jährige, habe sie keine Pläne, Pläne habe sie niemals gehabt – einen Wunsch vielleicht: zu ihrer Tochter und der Enkeltochter noch ein Urenkelkind.

Service:

Juliette Gréco liest am 11.10.2012 im Rahmen der lit.COLOGNE.

Juliette Gréco: "So bin ich eben – Erinnerungen einer Unbezähmbaren"
Aus dem Französischen von Herbert Fell
240 Seiten mit Fotos, 19,99 Euro
Edition Elke Heidenreich bei C. Bertelsmann

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