Meine Braut ist auf See

Von Sabine Eichhorst |
Kein Vollbart, sondern Wimperntusche. Auf See und im Hafen. Sie arbeiten als Kapitänin, Kranführerin, Sicherheitsoffizierin, als Containercheckerin, Schiffsmechanikerin, Decksfrau. Als Kommissariatsleiterin der Wasserschutzpolizei und als Seemansdiakonin. Aus Not am Mann werben Hafenbetriebe gezielt um die weibliche Hälfte der Bevölkerung. Dass Hafenarbeit Männersache ist - der Bart ist damit wohl endgültig ab ...
Sie ist Kapitän. Groß, kräftig, keine Tätowierungen, kein Vollbart.

Pohl: "Nee, in der Tat, kein Bart. Gottseidank."

Sie ist Kapitän. Trägt marineblau und einen Pferdeschwanz.

Alexandra Pohl: "Das ist kein Widerspruch, man kann durchaus weiblich sein und Befähigungszeugnisse in der Seeschifffahrt besitzen. Das steht ja nirgendwo, dass das immer Männer mit Vollbart sein müssen - obwohl es richtig ist: in der Vergangenheit wurde diesem Klischee doch sehr häufig entsprochen. Wobei ich fast vermute, das hängt mit den Bedingungen an Bord zusammen, weswegen die Männer Vollbärte bevorzugt haben - es ist ja wohl anstrengend, sich zu rasieren (lacht) für einen Mann."

Am Anfang ihrer Ausbildung hat sie geschraubt, gestrichen, Rost geklopft; später navigiert, den Kurs bestimmt und manövriert. Am Ende bekam sie goldene Streifen und Verantwortung: fuhr drei Jahre um die Welt, drei Jahre über die Ostsee, ging an Land zum Verband Deutscher Reeder und vor kurzem zurück an Bord. Jetzt fährt sie Schlepper - kleine Schiffe, die Frachter im Hafen zu ihren Liegeplätzen bugsieren. Ihre Kollegen?

Pohl: "Also: sehr wenig Frauen. (lacht) Eigentlich gar keine außer mir."

Die Einfahrt zum Containerterminal Burchardkai.

Mukurarinda: "Die wichtigsten Dinge, die wir tun, sind natürlich Zugangskontrollen, es geht ja darum, den Seeverkehr zu schützen, d.h. zu verhindern, dass Waffen, Sprengstoff oder Ähnliches an Bord gelangen oder auch die Schiffe als Waffe genutzt werden können, und da geht's natürlich darum, Ladungskontrollen vorzunehmen, Personenkontrollen, Fahrzeugkontrollen."

Saskia Mukurarinda, Sicherheitsoffizierin. Fast schmächtig, sehr freundlich, nichts Furchteinflößendes, aber ein abgeschlossenes Hochschulstudium. Nach den Anschlägen vom 11. September wurden international strengere Sicherheitsvorschriften beschlossen - sie umzusetzen, ist Mukurarindas Job.

Mukurarinda: "Spannung und Abenteuer gibt es natürlich auch, weil man kann viele Schiffe besuchen, man lernt viele Leute kennen. Aber es ist auch viel Verwaltung dabei, das ist klar. Und ich habe ja Mitarbeiter, die das Gelände bestreifen, kontrollieren, ob alles in Ordnung ist. Und die stehen natürlich auch mal in der Tür und sagen: Da ist ein Knick im Zaun oder: Da sind uns Menschen aufgefallen."

Mukurarinda: "Ich habe nach dem Abitur ein Soziales Jahr gemacht und zwar im Seemannsklub Duckdalben. So bin ich in den Hafen gekommen, habe da ein Jahr gearbeitet, fand das sehr faszinierend und wollte immer wieder zurück. Und habe auch in meinem Studium geguckt, ob es eine Möglichkeit gibt, Seeverkehr, Hafenwirtschaft zu machen. Und habe mich sozusagen da rangearbeitet (lacht), rangerobbt."

Pohl: "Es fing, wenn man ganz tief in die Vergangenheit geht, damit an, dass ich an der Küste groß geworden bin, und wir vom Kindergarten öfter mal Schiffe besucht haben. Und nach dem Abitur habe ich beschlossen, zur See zu fahren."

Mukurarinda: "Was fasziniert einen am Hafen? Das ist das, was alle fasziniert: die großen Schiffe, die Größe der Anlage, die Technik. Es ist immer wieder das Fernweh: wo fahren die Container eigentlich hin, wo fahren die Schiffe hin?"

Gerbershagen: "Hier ist die Treppe, da gehe ich hoch - und dann gibt’s einen Fahrstuhl."

Am Kai, neben einem Frachter. Wo früher Hafenarbeiter Stückgut schleppten, ist heute alles technisiert. So genannte Brücken fahren neben der Reling hin und her: riesige Kräne, auf denen in 45 Metern Höhe eine Kanzel hängt, in der ein Brückenfahrer sitzt und mit der Präzision eines Uhrmachers tonnenschwere Container aus dem oder in den Bauch des Schiffes hievt.

Gerbershagen: "Wir haben alle Pläne, und wir arbeiten nur nach dem Plan. Löschen oder laden - nur nach Plan. Über einhundert können wir löschen, und Großschiff: fast 2000, gibt's auch. Aber da arbeite ich nicht allein, da arbeiten vier oder fünf Brücken, zwei Tage ungefähr."

Helena Gerbershagen trägt ihre Arbeitskluft, zwei Rollkragenpullis übereinander, Helm und etwas Lippenstift. Eine von vier Frauen - unter 230 Männern.

Gerbershagen: "Da in Kasachstan, wo ich damals gewohnt habe, habe ich auch diesen Beruf gehabt. Und ich bin mit meiner Familie nach Deutschland eingereist, und ich wollte immer diesen Beruf haben. Mir gefällt diese Höhe, mir gefällt das - ich kann das nicht richtig beschreiben, aber das ist meins! Das liegt mir richtig am Herzen."

Gerbershagen ist mittelmäßig muskulös, technisch versiert und absolut höhenfest. Und sie war, als sie im Hamburger Hafen anfing, erstaunt über die Reaktionen ihrer Kollegen.

Gerbershagen: "Ich habe paar Mal schon gehört: Frauen gehören nicht zum Hafen, die müssen zu Hause bleiben und kochen. Ich sagte: Warum? - Eine Frau kann genau diese Arbeit nicht machen.
Weil du Frau bist! Du kannst das nicht! - Ich sage: wie, habe ich vier Hände oder sechs Beine oder drei Köpfe? Ich sehe genauso wie du, aber ich bin eine Frau. - Deswegen, sagte er."

Pohl: "Ich hatte zu keiner Zeit den Eindruck, dass es ein Problem darstellte bei den männlichen Kollegen. Niemand hat mich (lacht) aufgrund der Tatsache, dass ich weiblich bin, schlechter behandelt oder boykottiert oder mir Wissen vorenthalten."

Gerbershagen: "In Kasachstan gab es das nicht. Da Brücke zu fahren, das war mehr ein Frauenberuf als Männer. Hier ist es andersrum. Wo ich gearbeitete habe, haben Männer mehr Respekt als hier gegenüber Frauen."

Mukurarinda: "Wenn ich an Bord gehe und mit dem Kapitän spreche: es gibt viele Kapitäne, die im ersten Moment stutzen und sagen: Aha, ‘ne Dame. Aber man wickelt seine Aufgaben ab, jeder hat seine Dinge, die er tun muss, die werden getan und das ist es dann auch."

Gerbershagen: "Wie ich gehört habe: für die erste Frau war es ganz grausam. Sie arbeitet jetzt im Büro."

Die Seefahrt boomt. Beim Verband Deutscher Reeder pilgert man auf der Suche nach Nachwuchs bis nach Bayern. An deutschen Seefahrtsschulen lernen so viele Frauen wie nie. Die beiden großen Terminalbetreiber im Hamburger Hafen haben zweistellige Zuwachsraten beim Containerumschlag - und suchen Leute. Werben um Frauen, bilden arbeitlose Reisekauffrauen zur Hafenfacharbeitern aus und schmeicheln und säuseln, damit die weibliche Hälfte der Bevölkerung nicht länger denkt, im Hafen müsse man rau und stark sein, um sein Geld zu verdienen.

Pohl: "Viele Männer sagen: Frauen sind immer etwas schwächer als Männer - das stimmt. Das ist physiologisch einfach so, Fettmasse, Muskelmasse usw. Aber das ist heute nicht mehr relevant. Man kann sich immer helfen. Es gibt Kettenzüge, es gibt auch die Möglichkeit zu mehreren anzupacken - es ist auch für einen Mann nicht gesund, wenn er ein 30-Kilo-Gewicht alleine hebt, auch den werden dann in einigen Jahren die Bandscheiben plagen (lacht)."

Mukurarinda: "Ich war allein unter Männern - hat mich aber nicht gestört. Es war natürlich etwas, wo man sich dran gewöhnen musste, aber es war nichts, was mich abgeschreckt hat."

Gerbershagen: "Vielleicht ist es nicht mein Tag, da kann ich nicht so richtig arbeiten, und dann kommen diese Sprüche: wer sitzt da oben? Ach... Gib Gas! Und das nervt. Wenn du das alle fünf Minuten hörst: bist du eingeschlafen? Die älteren Kollegen haben mehr Verständnis für uns Frauen als die jüngeren Kollegen."

Pohl: "Man stellt sehr schnell fest, dass man als Minderheit, als Frau zunächst einmal genau sehr betrachtet wird von den Männern an Bord. Die fragen sich: was bringt um Himmels Willen diese Frau dazu, in diesen Beruf zu gehen, den sie selbst meist als nicht besonders attraktiv bewerten. Und um die Motive herauszufinden, gucken sie erstmal.
Und dann ist es sehr gut zu beeinflussen von der jeweiligen Frau, wie man sich gibt. Scheue ich vor Aufgaben zurück? Versuche ich sie mit bestem Wissen und Gewissen zu bewältigen? Versuche ich so viel es geht zu lernen, gerade als Azubi? Sehe ich Arbeiten, unterstütze ich meine Kollegen? Oder versuche ich mit meiner Minderheitenrolle zu kokettieren?"

Mukurarinda: "Natürlich gibt es viele Bilder auch über Frauen, die diese Männer mitbringen. Seeleute - das ist auch sehr klischeebeladen. Da muss man sich sehr abgrenzen. Das ist sehr wichtig, geht aber relativ einfach."

Gerbershagen: "Ich bin eine ganz empfindliche Person eigentlich, aber manchmal reiße ich mich zusammen: da musst du durch, Nase hoch - gehe weiter und es klappt."

Mukurarinda: "Für mich war der Punkt, dass ich mir Frauenwitze aller Art anhören konnte, das war für mich kein Problem, aber wenn es in eine bestimmte Ecke ging, habe ich gesagt: ist in Ordnung, ihr könnt euch diese Witze erzählen, aber ich stehe dann jetzt auf und gehe."

Gerbershagen: "Wenn ich ganz harte Sprüche höre, dann sage ich: kannst du das bitte ein bisschen weich sagen? - Ja, wir sind im Hafen... - Ich sage: Ja, im Hafen. Aber nicht im Knast."

Gerbershagen: "Ich bin eine Frau und ich werde mich wie eine Frau benehmen, nicht anders. Nicht wie ein Mann. Und Lippenstift gehört dazu, weil mir das gefällt und ja: ich bin gepflegt. Das muss so sein. Ich bin einfach eine Frau. "
Wiebel: "Ich kann auch laut werden. Die Akzeptanz der Männer ist in der Hafenwelt schon so, dass die die Frau auf gleicher Augenhöhe haben wollen, und dazu gehört einfach, dass man einen geraden Rücken braucht. Und ein sehr selbstbewusstes Auftreten. Ich denke, das haben sie alle! Sie sind handfest und sie lassen sich durch die Bank nicht die Butter vom Brot nehmen."

Anke Wiebel, Diakonin im Seemannsklub Duckdalben - der Anlaufstelle für Seeleute im Hafen, egal welcher Nationalität oder Religion. Hier gibt es billige Telefonkarten, Zahnpasta, Bier und immer jemanden, der zuhört oder hilft. Vor zwanzig Jahren, während ihres Studiums, war sie im Containerterminal Bremerhaven die einzige Frau weit und breit. Sie lernte ihren Mann kennen, fuhr mit ihm zur See - und erlebte, dass Matrosen sich benahmen wie wilde Hühner.

Wiebel: "Die (lacht) völlig chaotisch reagierten, weil plötzlich 'ne Frau an Bord war. Und man sich benehmen musste an Bord plötzlich. Es war gar nicht von mir verlangt, aber sie hatten das Gefühl. Das behaupten allerdings heute immer noch Seeleute: Wenn die Frau des Kapitäns oder die Frau eines Kollegen mitfährt oder eine Frau selber an Bord ist, verändert sich Verhalten. Und viele empfinden das auch als sehr positiv."

Stundenlang hat Wiebel heute telefoniert: Ein Matrose, der an Bord eines Schiffes verunglückt und gestorben ist; ein Reeder, der sagt: kein Unfall, der Mann war krank - ich zahle nichts; eine Familie auf den Philippinen, die keinen Ernährer mehr hat. Wer finanziert die Überführung des Leichnams?

Als Diakonin in der Seemannsmission sei sie unantastbar, sagt Wiebel. Sie komme nicht in Minirock und Trägerhemdchen zur Arbeit - das sei auch eine Frage des Respekts gegenüber den Seeleuten. In ihrem Job profitiere sie davon, Frau zu sein.

Wiebel: "Wenn man wie ich heute Abend sieben oder acht Geldüberweisungen für Seeleute auf die Philippinen macht, dann entsteht, während ich das ausfülle und in den Computer gebe, immer die Frage: Ist irgendwas zu Hause passiert? Das ist einfacher, über seine Familienprobleme zu sprechen, dass die Frau im Krankenhaus ist, was sie hat und weswegen sie operiert wird - das erzählt man, glaube ich, eher einer Frau als einem Mann."

Was manche Seeleute verwirrt, ist nicht, dass Wiebel eine Frau ist - sondern dass sie stellvertretende Leiterin der Seemannsmission ist.

Wiebel: "Vor zwanzig Jahren war es immer so: 'ne Frau an Bord bringt Unglück. Das ist so. Das habe ich selbst hier noch vor einigen Jahren erlebt: alte Seebären glauben an diesen Aberglauben immer noch. Aber der wird immer weniger. Es sind immer mehr junge Frauen, die in diese Berufe gehen."

Kapitän Pohl rückt ihr Halstuch zurecht.

Pohl: "War ja auch ein Gerücht, dass Frauen nicht bei Werftprobefahrten dabei sein dürfen. Und ich war bei vieren dabei."

Kein Schiff untergegangen...

Pohl: "Nein. Seltsamerweise nicht."

Also empirisch belegt: alles Blödsinn...

Pohl: (lacht) " Ich denke auch."

Helena Gerbershagen klettert auf ihre Brücke und löscht weiter Container. Saskia Mukurarinda trifft auf dem Flur einen Kollegen, der sich beschwert, dass ein anderer nicht ordentlich abgewaschen hat, schüttelt den Kopf, murmelt: Zickenalarm! und geht in ihr Büro.

Lange, sagt Kapitän Pohl, tauchten Frauen im Hafen als Seemannsbraut auf, als Sekretärin, Putzfrau, Prostituierte. Der Bart sei ab. Gottseidank. Und dann erzählt sie die Geschichte von den Frauen, die eines Tages nach den Tauen griffen und eigenhändig ein Schiff am Kai festmachten.

Pohl: "Ich war in Bremerhaven, als ich noch an Bord des Fährschiffes war, habe dort die Festmacherinnen kennen gelernt. Dass ich dachte: oh, na sowas! In diesem Bereich, den ich immer als besonders hart empfand, plötzlich zwei Frauen zu finden."