Mein Washington-Flug

Von Gabriela von Sallwitz |
Frankfurt, Anfang November. Der United Airlines-Flug nach Washington ist zum Einsteigen bereit. Schön. Aber wir sind es nicht. Die Passagiere, die mit dem Zubringer-Flieger aus Hamburg gekommen sind, sind nämlich einstweilen noch barfuß. Mindestens. Oder halbnackt. So wie ich.
Es nützt nichts, dass man sagt, man habe bereits in Hamburg Schuh und Strümpfe ausgezogen und bereitwillig vorgezeigt, es nützt nichts, dass sich am Handgepäck ein "checked"-Anhänger wichtig macht.

Genau so wenig, wie es nützen wird, dass man seinen Reisekoffer ordentlich mit einem Stahlschloss gesichert hat, den nur der eigene Schlüssel und der Zauber-Alles-Öffner des amerikanischen Zolls öffnen kann. Er wird nämlich geöffnet. Gleich. Und dann wieder. Überhaupt wird alles ständig wiederholt, als handelte es sich um eine lustige Übung.

Also auch jetzt: Alles noch mal: Abstreifen, ausziehen, vorlegen, öffnen. Die futuristische Hightech-Durchleuchtungsdusche ist ein toller Spaß: Man steht, die Hände mit dem Pass und dem Ticket darin erhoben wie Billy the Kid vor dem finalen Abschuss und fühlt sein Inneres nach außen gekehrt. Das Ding gibt keinen Mucks von sich. Glück gehabt. Denkt man. Bis einen die freundliche Lady in eine von muffeligen Vorhängen abgeteilte Kabine winkt. Und da eben: Ausziehen, abtasten lassen, durch den Vorhangspalt beobachten, wie das eigene Handgepäck im Plastikkorb samt Mantel, Schal, Gürtel, Schuhen, Kleingeld, Handy darin, mit den nächsten Körben samt Mänteln, Schals et cetera kollidiert. Die freundliche Lady ist auch dadurch nicht aus der Ruhe zu bringen. Sie stellt Fragen, die ich mechanisch und anscheinend richtig beantworte, während draußen ihre Kollegen und diverse Mitreisende die Habseligkeiten der Passagiere wieder einsammeln.

United Airlines nach Washington ist bereit zum Start. Ich raffe Mantel, Gürtel, Tasche und Papiere zusammen und renne mit offenen Schnürsenkeln zum Gate. Überstanden. Denke ich. Acht Stunden Ruhe über den Wolken. Dann werden die grünen Zollformulare verteilt – und die Einreiseanträge. Eine Stunde lang assistieren die Flugbegleiter in diversen Sprachen beim Ausfüllen der Papiere. Ich bleibe gelassen. Schließlich bin ich vorbereitet: Mit "Esta", dem "Electronic System for Travel Authorization", dem nagelneuen Programm für vISAFreies Reisen. Damit kann man sich bequem von zu Hause aus einchecken in die USA. Das Programm, so hat es die Dame im Reisebüro erklärt, ist Teil des Programms für vISAFreies Reisen und auch Teil des "Paperwork REduction Art" - einfach elektronisch ein Visum beantragen, ab nach Washington damit – und fertig. Zur Sicherheit haben wir das mehrseitige Formular aber doch noch ausgedruckt. Es stehen so intelligente Fragen darauf wie "Sind Sie drogenabhängig?" oder "Werden Sie polizeilich gesucht?".

Landung in Washington. Die Schlange vor der Passkontrolle ist mehrere Hundert Meter lang. "Nicht da anstellen, wo viele Asiaten sind", warnt mich ein Vielflieger. "Die brauchen immer am längsten." Aussuchen kann man sich "seinen" Schalter aber ohnehin nicht. Vierschrötige Beamte weisen uns Reisende erneut an. Ein Dutzend solcher Beamter nickt streng und winkt, während von den eigentlichen Abfertigungsschaltern nur die Hälfte besetzt ist. Der hilfsbereite Vielflieger weist auf mein ausgedrucktes "Esta"-Einreise-Dokument. "Was wollen Sie denn damit?" Ich erkläre es ihm würdevoll. Der Mann will sich ausschütten vor Lachen. "Glauben Sie im Ernst, die können damit umgehen?"

Der Mann hat recht. Nicht nur, dass unsere Zollerklärungen von niemandem angesehen, sondern einfach nur auf einen Stapel geschichtet werden – auch die "Esta"-Prozedur hätte man sich ersparen können: Washington ist nicht vernetzt. Hier müssen die Visa ganz normal auf Papier ausgefüllt werden. Der Beamte an meinem Schalter ist streng und will genau wissen, was ich will. Fingerabdrücke aller zehn Finger werden von allen Passagieren genommen. Fotos werden gemacht. Dann winkt er mich durch.

Hinter der nächsten Ecke sehe ich sie wieder: die Barfüßigen. Hier geht es also weiter zum nächsten Flug. Eine Stunde und zwei Kontrollen später sitze ich an Bord des Inlandfluges nach Albuquerque, New Mexico. Als ich meine Handtasche öffne, erschrecke ich dann doch: Die spitze, metallene Nagelfeile, die ich in einer Seitentasche vergessen hatte, hat niemand gefunden.

Das Gespräch zum Thema mit unserer New York-Korrespondentin Lena Bodewein können Sie mindestens bis zum 29.5.2010 als MP3-Audio in unserem Audio-on-Demand-Player nachhören.