"Mein Vater hat ein Königreich" - der Prinz

Von Walter Filz · 26.12.2012
Der Prinz ist bei den Grimms eine extrem seltene Figur. Denn bei den Brüdern heißen die Prinzen eigentlich Königssöhne - aktive Burschen, die Abenteuer bestehen. Die Grimmschen Prinzen hingegen sind vaterlos und zumeist verzaubert oder verwunschen.
"Es war einmal"

Der Prinz

Tatsächlich und wahrhaftig ist der Prinz bei den Brüdern Grimm eine extrem seltene Figur. Denn bei den Grimms heißen die Prinzen Königssöhne.

"Mein Vater ist ein mächtiger König und Goldes hab ich in Fülle. Gebt mir eure Tochter zur Frau." (aus: Eisenhans)

Von denen gibt es allerdings in den 200 Kinder- und Hausmärchen 30. Und Königstöchter 47. Davon ein komplettes Dutzend allein in der Geschichte "Die zertanzten Schuhe". Die gehört zu den merkwürdig doppelbödigen Märchen, in denen eine fantastische Welt eine zweite fantastische Welt beinhaltet. Zwölf selbstverständlich wunderhübsche Königstöchter – alles Töchter eines Königs – gehen jeden Abend in die gemeinsame Schlafkammer, dort werden sie jeden Abend eingeschlossen, aber am nächsten Morgen sind ihre Schuhe ruiniert – offenbar von einer langen durchtanzten Nacht. Des Rätsels Lösung: im Schlafsaal ist eine geheime Bodenklappe, darunter eine Leiter. Und auf der steigen die zwölf Königstochter allnächtlich in eine unterweltliche Parallelwelt - mit einer Parklandschaft, wo zwölf Prinzen – die auch sogenannt werden - auf sie warten und sie auf zwölf Ruderbooten zu einer Party bringen.

Wo kommen die zwölf Prinzen her? Aus einem anderen Schlafsaal eines anderen Schlosses? Eine der Königstochter erklärt zwischendurch, dass es darum gehe, die Prinzen zu erlösen. Aber wovon? Irgendetwas scheint da nicht zu stimmen. Und nicht nur da: auch im Märchen "Das Wasser des Lebens" sitzen in einem ominösen Schlosssaal diverse Prinzen, die auf Erlösung warten. Prinzen, nicht Königssöhne. Das scheint der kleine entscheidende Unterschied bei Grimm zu sein. Königssöhne sind aktive Burschen, stramme Kerle, die Abenteuer bestehen. Prinzen -

"Ich bin kein Schwan. Sondern ein verzauberter Prinz." (aus: Prinz Schwan)

Prinzen sind in irgendeinem Bann gefangen, sind verwunschen und verzaubert.

"So stand ein schöner junger Prinz vor ihr und sprach: Sieben Jahr lang sollt’ ich meine Gestalt verlieren."(aus: Hurleburlebutz)

Ebenso wie der Frosch im Froschkönig, nachdem er an die Wand geklatscht wurde, als Prinz im Schlafgemach der Königstochter steht, um sich - nun ja - zu ihr zu gesellen.

"Der ward nun ihr lieber Geselle." (aus: Froschkönig)

Ist das auch der Plan der zwölf tanzwütigen Königstöchter? Ihre verwunschenen Prinzen durch sexuelle Initiation aus den wirren Flegeljahren zu erlösen? Jedenfalls scheinen die wenigen Prinzen in den Grimmschen Märchen eher sinnbildliche Potenzpotentaten pubertärer Lustländereien zu sein, während die Königssöhne realdynastische Thronfolger sind. Königssöhne haben – wie der Name sagt – auch Väter.

Während die Prinzen stets vaterlos sind. Nach dieser – selbstverständlich noch sehr vagen Theorie, die durch noch mehr Märchenforschung untermauert werden müsste – ist es auch leicht zu erklären, warum es bei den Grimms gar keine Prinzessinnen gibt. Frauenherrschaft gibt es nicht im sexuellen Symbolreich. Mal abgesehen davon, dass den Brüdern Grimm die Sexualsymbolik ihrer Märchen kaum bewusst gewesen sein dürfte. Sie musste ja erst noch entdeckt werden Sonst hätten sie vielleicht den Prinzen im Froschkönig nicht in späteren Auflagen zum Königssohn umdeklariert.

"Als er aber herabfiel, war er kein Frosch, sondern ein Königssohn."(aus: Froschkönig)

1857, ein Jahr bevor die Grimms, die letzte Auflage ihrer Märchen herausgeben, wird übrigens Sigmund Freud geboren.

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