Mein Vater, das Genie

19.01.2012
Eine Hochbegabten-Samenbank in den USA sorgte vor zehn Jahren für Diskussionen. Jetzt taucht sie in einem Roman eines jungen Deutschen wieder auf. Benedict Wells macht aus dem Stoff eine warmherzige, aber nicht tiefschürfende Erzählung.
Der 17-jährige Francis Dean lebt mit seiner Mutter in einem kalifornischen Trailerpark. Sein Alltag besteht aus Schule, dem Herumhängen mit seinem besten Freund, der steten Sorge um die suizidgefährdete Mutter und viel Langeweile.

Eines Tages offenbart ihm seine Mutter, dass sein ihm bis dahin unbekannter Vater ein Genie sein müsse, der in einem wissenschaftlichen Versuch seinen Samen gespendet hat, dem so genannten "Genie-Projekt". Gen-Forscher hätten seinerzeit eine Samenbank für Genies angelegt, in der sich Francis' Mutter habe künstlich befruchten lassen. Francis sei also das Produkt einer solchen Zeugung. Also macht er sich quer durch Nordamerika auf die Suche nach seinem Vater, dessen Namen er in der Datenbank des Projekts schon finden werde. Auf dieser Reise begleiten ihn sein Kumpel Grover und Anne-May, eine junge Patientin in der gleichen Klinik wie seine Mutter, in die sich Francis verliebt hat.

Der Roman des Autors Benedict Wells ist eine warmherzige, aber auch aufwallende Erzählung aus der Sicht eines jungen Mannes, der seinen Standort in der Gesellschaft sucht. Während Francis anfangs noch davon überzeugt ist, geniale Gene in sich zu tragen, kommen ihm im Laufe der Reise jedoch immer mehr Zweifel an seinen eigenen Qualitäten. Gleichzeitig wächst er aber auch an seiner selbstgestellten Aufgabe. Der Weg zu seinem Vater ist durch viele Umwege gekennzeichnet, und das Treffen schließlich entspricht ganz und gar nicht seiner Vorstellung.

Benedict Wells Roman ist kein Roadmovie in Schriftform, denn der Weg, um den es eigentlich geht, findet nicht auf der Straße statt, sondern ist die Reifung eines Jugendlichen zum Mann und zum Vater. Francis muss erkennen, dass die Vorwürfe, die er gerade seinem Vater gemacht hat, auch ihm selbst wieder vorzuhalten sind. Eine Samenbank für Genies hat es tatsächlich gegeben – der Autor ließ sich durch einen Bericht darüber zu seiner Geschichte anregen. Gesellschaftskritische Themen wie Präimplantations-Diagnostik oder soziale Unterschiede streift Benedict Wells aber nur am Rande.

Sprachlich geht der Autor durchaus souverän mit der allmählichen Wandlung seines Helden um, dessen Gefühlswelt Benedict Wells offenbar gut kennt. 1984 geboren, ist er jetzt ungefähr selbst so alt wie Francis am Ende des Buchs. Francis neigte als Jugendlicher noch zu spontaneren Ideen denn als Familienvater, dem die Umstände und Anne-Mays Eltern diese Rolle verweigern. Seine Sätze werden etwas abwägender, und die Gedankenspiele komplexer, je weiter sich die Geschichte entwickelt. Zum Schluss setzt Francis noch einmal alles auf eine Karte, oder besser, auf eine Kugel: Am Roulettetisch in Las Vegas soll sich entscheiden, ob er künftig seiner Frau und dem gemeinsamen Sohn ein gutbürgerliches Zuhause wird bieten können oder ob er sich zum Militärdienst in Afghanistan melden muss. Der unterhaltsame Roman ist nicht tiefschürfend, aber spannend bis zum letzten Satzzeichen – rien ne va plus!

Besprochen von Roland Krüger

Benedict Wells: Fast genial
Diogenes-Verlag, Zürich 2011
336 Seiten, 19,90 Euro
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