Mein Nachbar Türkei
Deutschland und die Türkei: So eng miteinander verwoben und sich doch so fremd. Der ehemalige Leiter des ARD-Fernsehstudios in Istanbul, Dieter Sauter, reißt den Leser sowohl mit
Erfolgsgeschichten wie mit düsteren Reportagen mitten ins Alltagsgeschehen des Landes. Seine Porträts sind nüchtern, anschaulich, einfühlsam - ohne in Kulturkitsch zu versinken.
Wer 13 Jahre als Leiter des ARD-Fernsehstudios in Istanbul tätig ist, kennt das Land und muss es - wenn er seit Beendigung dieses Jobs in Istanbul als freier Journalist bleibt - das Land auch lieben, sich dafür offensichtlich sehr interessieren. Also hat er erst einmal eine solide Basis, um über Menschen und Landschaften zu berichten. Dass dieses Buch dann auch eine Ausbeute dieser Fernsehreportagen ist, finde ich nicht despektierlich: Wenn so spannende, oft berührende Kurzporträts daraus entstehen.
Titel und Untertitel haben mich erst zögern lassen, mir dieses Buch genauer anzusehen, denn es klingt nach Verkaufsstrategie und könnte potenzielle Leser wegen seines gefälligen Sounds eher abschrecken - weil man weichgespülte Klischeeporträts vermutet, die sich Sauter aber glücklicherweise auf den rund 220 Seiten fast gänzlich versagt.
Sauter beschreibt Männer und Frauen, Bauern und Künstler, Junge und Alte. Er reiste wirklich von Nord nach Süd, von Ost nach West und fixiert das im Übrigen auch noch auf zwei Karten.
Er beginnt diese 25 Porträts - die jeweils durch sensible, grobkörnige schwarz-weiß Fotos ergänzt werden - in einem Hamam in Istanbul. Gleich denkt man an Filme über opulent und dekorativ ausgestattete Badehäuser, die man schließlich schon gesehen hat und ahnt: Orient - verschwenderischer Luxus.
Nichts da! Mehmet, der Besitzer dieses kleinen Hamams kommt so recht und schlecht über die Runden, weil die alte Tradition des Badehauses den Bach heruntergeht. Immer mehr Menschen haben inzwischen Strom und warmes Wasser. Die alten dekorativen Hamams sind heute häufig in schicke Souvenierläden umgebaut worden. Und die alten Traditionen sind passé. Nur in den Armenvierteln findet man noch das eine oder andere Badehaus.
Sauter beginnt in dem Buch damit erwartungsgemäß. Ganz nett, aber auch nicht aufregend: Schlechte Dramaturgie der Auswahl - denn schnell wird es wirklich aufregend. Schon die Beschreibung des aufreibenden Lebens der Fischer schaut wirklich hinter die Kulissen: abgefischte Meere, Männer, die über Monate in geradezu unerträglicher Enge auf den kleinen Kuttern leben, Unsicherheit der Ertragslage für den Einzelnen, die Ratenabzahlungen für die Boote - Männer, die ihr Brot wirklich noch im Schweiße ihres Angesichts verdienen.
Die darauf folgende Geschichte beginnt damit, dass ein junger Selbstmörder gefunden wird und der Leser erfährt in diesem Zusammenhang, dass die Selbsttötungen in der Türkei nicht nur zunehmen, sondern, dass die Menschen, die diesen letzten Schritt tun, immer jünger werden - und häufig verzweifelte Schuldner sind. Später begleitet der Reporter einen Landarzt im Osten der Türkei. Der Mann hat das Gemüt eines Sisyphos: Er fährt hunderte von Kilometern auf teilweise unbefestigten Straßen zu seinen Patienten, hält Sprechstunden sogar bei Minus 15 Grad im Freien ab. Und jeder Tag ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Der Osten der Türkei wirkt wie eine vergessene Welt. Auch für eine junge Lehrerin, die aus Izmir kommt und die Eltern ihrer Schüler mühsam überzeugen muss, ihre Kinder überhaupt in die Schule - einen kleinen Schuppen - zu schicken.
Sauter erzählt immer ohne lange Anläufe. Er zieht den Leser sofort in eine Situation hinein - etwa wenn schießwütige türkische Machos wegen einer Lappalie aufeinander losgehen und Leben ohne Federlesen auslöschen. Der Autor macht zum Glück auch nicht den Fehler, diese Dinge kulturell schön zu reden. Er ist ohnehin ziemlich unideologisch in seinen Schilderungen - dafür aber wirklich genau. Sein Stil ist lakonisch: der eines Reporters, der eben schon viel gesehen hat. Er dramatisiert nicht - er beschreibt. Das tut er anschaulich und einfühlsam, ohne je in Kulturkitsch zu versinken.
Viel Anatolien wird beschrieben. Aber auch Großstadt. Natürlich ist die Großstadt, sind Istanbul oder Izmir Städte, deren gesellschaftliche Offenheit größer ist und in denen sich Biografien freier entfalten können als in einem archaischen Dorfgefüge mit einem Scheich, der die Bewohner wie Leibeigene hält, und die sich auch nicht aus ihrer Unmüdigkeit herauswagen. Aber die einfachen Zuordnungen taugen laut Sauters Beobachtungen keineswegs immer.
So verwirklicht die 18-jährige Aysun gemeinsam mit Freundinnen ihre Idee einer kleinen landwirtschaftlichen Kooperative am Rande eines Pipiline-Baus, den sie selbst betreiben, und ein fast gleichaltriger junger Mann aus Istanbul kann zwar seinen Traum vom Schauspieler in der Großstadt anstandslos träumen - doch die finanziellen Begrenzungen führen hier zum Scheitern.
Es sind jedoch keineswegs nur düstere Problemreportagen, die Sauter erzählt, sondern auch Erfolgsgeschichten: beispielsweise die des türkischen Modedesigners, Ümit Ünal, der inzwischen in Mailand, Paris und London umworben wird, aber in der Türkei noch immer unter Geheimtipp firmiert. Oder die Geschichte des Fischkochs Mehmet Günel, der vermutlich überall in der Welt ein paar Sterne einheimsen würde, doch lieber bei sich in der Heimat für den in der Türkei gar nicht so beliebten Fisch mit ausgesuchten Gerichten werben möchte.
Ich habe aus diesem Buch sehr viel über die Türkei gelernt - und keineswegs folkloristisch einschmeichelnde Tatsachen. Und ich verstehe dadurch manche Verhaltensweisen der türkischen Familien bei mir um die Ecke besser.
Dieter Sauter: Im Land des Hamam. Begegnungen in der unbekannten Türkei.
Herbig, August 2006
221 Seiten, 71 Fotos, 17.90 Euro
Wer 13 Jahre als Leiter des ARD-Fernsehstudios in Istanbul tätig ist, kennt das Land und muss es - wenn er seit Beendigung dieses Jobs in Istanbul als freier Journalist bleibt - das Land auch lieben, sich dafür offensichtlich sehr interessieren. Also hat er erst einmal eine solide Basis, um über Menschen und Landschaften zu berichten. Dass dieses Buch dann auch eine Ausbeute dieser Fernsehreportagen ist, finde ich nicht despektierlich: Wenn so spannende, oft berührende Kurzporträts daraus entstehen.
Titel und Untertitel haben mich erst zögern lassen, mir dieses Buch genauer anzusehen, denn es klingt nach Verkaufsstrategie und könnte potenzielle Leser wegen seines gefälligen Sounds eher abschrecken - weil man weichgespülte Klischeeporträts vermutet, die sich Sauter aber glücklicherweise auf den rund 220 Seiten fast gänzlich versagt.
Sauter beschreibt Männer und Frauen, Bauern und Künstler, Junge und Alte. Er reiste wirklich von Nord nach Süd, von Ost nach West und fixiert das im Übrigen auch noch auf zwei Karten.
Er beginnt diese 25 Porträts - die jeweils durch sensible, grobkörnige schwarz-weiß Fotos ergänzt werden - in einem Hamam in Istanbul. Gleich denkt man an Filme über opulent und dekorativ ausgestattete Badehäuser, die man schließlich schon gesehen hat und ahnt: Orient - verschwenderischer Luxus.
Nichts da! Mehmet, der Besitzer dieses kleinen Hamams kommt so recht und schlecht über die Runden, weil die alte Tradition des Badehauses den Bach heruntergeht. Immer mehr Menschen haben inzwischen Strom und warmes Wasser. Die alten dekorativen Hamams sind heute häufig in schicke Souvenierläden umgebaut worden. Und die alten Traditionen sind passé. Nur in den Armenvierteln findet man noch das eine oder andere Badehaus.
Sauter beginnt in dem Buch damit erwartungsgemäß. Ganz nett, aber auch nicht aufregend: Schlechte Dramaturgie der Auswahl - denn schnell wird es wirklich aufregend. Schon die Beschreibung des aufreibenden Lebens der Fischer schaut wirklich hinter die Kulissen: abgefischte Meere, Männer, die über Monate in geradezu unerträglicher Enge auf den kleinen Kuttern leben, Unsicherheit der Ertragslage für den Einzelnen, die Ratenabzahlungen für die Boote - Männer, die ihr Brot wirklich noch im Schweiße ihres Angesichts verdienen.
Die darauf folgende Geschichte beginnt damit, dass ein junger Selbstmörder gefunden wird und der Leser erfährt in diesem Zusammenhang, dass die Selbsttötungen in der Türkei nicht nur zunehmen, sondern, dass die Menschen, die diesen letzten Schritt tun, immer jünger werden - und häufig verzweifelte Schuldner sind. Später begleitet der Reporter einen Landarzt im Osten der Türkei. Der Mann hat das Gemüt eines Sisyphos: Er fährt hunderte von Kilometern auf teilweise unbefestigten Straßen zu seinen Patienten, hält Sprechstunden sogar bei Minus 15 Grad im Freien ab. Und jeder Tag ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Der Osten der Türkei wirkt wie eine vergessene Welt. Auch für eine junge Lehrerin, die aus Izmir kommt und die Eltern ihrer Schüler mühsam überzeugen muss, ihre Kinder überhaupt in die Schule - einen kleinen Schuppen - zu schicken.
Sauter erzählt immer ohne lange Anläufe. Er zieht den Leser sofort in eine Situation hinein - etwa wenn schießwütige türkische Machos wegen einer Lappalie aufeinander losgehen und Leben ohne Federlesen auslöschen. Der Autor macht zum Glück auch nicht den Fehler, diese Dinge kulturell schön zu reden. Er ist ohnehin ziemlich unideologisch in seinen Schilderungen - dafür aber wirklich genau. Sein Stil ist lakonisch: der eines Reporters, der eben schon viel gesehen hat. Er dramatisiert nicht - er beschreibt. Das tut er anschaulich und einfühlsam, ohne je in Kulturkitsch zu versinken.
Viel Anatolien wird beschrieben. Aber auch Großstadt. Natürlich ist die Großstadt, sind Istanbul oder Izmir Städte, deren gesellschaftliche Offenheit größer ist und in denen sich Biografien freier entfalten können als in einem archaischen Dorfgefüge mit einem Scheich, der die Bewohner wie Leibeigene hält, und die sich auch nicht aus ihrer Unmüdigkeit herauswagen. Aber die einfachen Zuordnungen taugen laut Sauters Beobachtungen keineswegs immer.
So verwirklicht die 18-jährige Aysun gemeinsam mit Freundinnen ihre Idee einer kleinen landwirtschaftlichen Kooperative am Rande eines Pipiline-Baus, den sie selbst betreiben, und ein fast gleichaltriger junger Mann aus Istanbul kann zwar seinen Traum vom Schauspieler in der Großstadt anstandslos träumen - doch die finanziellen Begrenzungen führen hier zum Scheitern.
Es sind jedoch keineswegs nur düstere Problemreportagen, die Sauter erzählt, sondern auch Erfolgsgeschichten: beispielsweise die des türkischen Modedesigners, Ümit Ünal, der inzwischen in Mailand, Paris und London umworben wird, aber in der Türkei noch immer unter Geheimtipp firmiert. Oder die Geschichte des Fischkochs Mehmet Günel, der vermutlich überall in der Welt ein paar Sterne einheimsen würde, doch lieber bei sich in der Heimat für den in der Türkei gar nicht so beliebten Fisch mit ausgesuchten Gerichten werben möchte.
Ich habe aus diesem Buch sehr viel über die Türkei gelernt - und keineswegs folkloristisch einschmeichelnde Tatsachen. Und ich verstehe dadurch manche Verhaltensweisen der türkischen Familien bei mir um die Ecke besser.
Dieter Sauter: Im Land des Hamam. Begegnungen in der unbekannten Türkei.
Herbig, August 2006
221 Seiten, 71 Fotos, 17.90 Euro