„Mein Buch wird ein politisches Beben auslösen“

Von Barbara Lehmann |
Vor einer Woche sagte Jelena Tregubova eine Lesereise nach Deutschland mit ihrem Buch „Die Mutanten des Kreml“ ab. Dort schreibt die einstige, blutjunge Kreml-Korrespondentin witzig psychologische Porträts der politischen Topfiguren, gewürzt mit pikanten Details – auch über Wladimir Putin. Ihr Insiderbericht erreichte eine Rekordauflage von 200.000 Büchern.
Sorge machte sich breit im deutschen Feuilleton, als die 33-jährige russische Journalistin Jelena Tregubowa vor einer Woche kurzfristig eine dreitägige Lesereise zu ihrem Buch „Die Mutanten des Kreml“ absagte. Die Autorin sei untergetaucht, war die Begründung ihres deutschen Verlegers, weil sie um ihr Leben fürchte. Schon sah man hier in Deutschland die Autorin als nächstes Ziel der jüngsten Anschlagserie auf prominente Kritiker des Putin-Regimes. Tregubova selbst ist derzeit für Stellungnahmen nicht zu erreichen. Ihr russischer Verleger Alexander Iwanow über die Hintergründe:

„Hinter ihrem Abtauchen steht keine PR-Aktion und auch keine aktuelle Bedrohung. Ihre Art von Journalismus ist in Russland nicht mehr gefragt, es ist ihr persönliches Drama. Sie ist eine typische Vertreterin des Journalismus der neunziger Jahre, als sich unter Jelzin die Presse frei und offen entfalten konnte. Junge ehrgeizige Leute wie sie bekamen damals die Möglichkeit, in populären Zeitungen und Sendern zu arbeiten. Sie veröffentlichten sensationelle Materialien und standen im Zentrum des öffentlichen Lebens. Unter Putin änderte sich die Lage. Die Presse wurde immer mehr vom Kreml kontrolliert. Die Journalisten der älteren Generation, die noch die sowjetischen Zeiten erlebt hatten, konnten sich den neuen Regeln anpassen. Tregubova und ihre jungen Kollegen waren dazu nicht fähig.“

Die blutjunge Korrespondentin der angesehenen Tageszeitung „Kommersant“ war mit weiteren 20 Journalisten ab Mitte der neunziger Jahre für die Berichterstattung aus dem Kreml ausgewählt worden. Sie begleitete die Kreml-Magnaten auch auf ihren Auslandsreisen. Sommer 2003 erschien sie mit dem Manuskript der „Geschichten eines Kreml Diggers“ im Moskauer Verlag „Ad marginem“. „Mein Buch wird ein politisches Beben auslösen“, versprach Jelena Tregubova dem Verleger. Zu dieser Zeit war sie als Kreml-Korrespondentin bereits kaltgestellt worden. Die großen Verlage hatten ihr Manuskript nicht drucken wollen. Das Buch bot temperamentvoll und witzig psychologische Porträts der politischen Topfiguren, gewürzt mit pikanten Details aus der Kremlküche. Süffisant schilderte sie beispielsweise, wie Putin, damals noch Geheimdienstchef, sie zum Essen in ein Sushi-Restaurant einlud und ihr Avancen machte.

Gleichzeitig berichtete sie von der allmählichen Einschränkung der Pressefreiheit, der Schließung aufmüpfiger Fernsehsender, dem zunehmenden Druck der Präsidentenadministration auf die Journalisten.

Alexander Iwanow: „Im Unterschied zur Jelzin-Zeit hat der Kreml selbst die Funktion des wichtigsten Newsmakers übernommen. Die staatlich kontrollierten Medien vermitteln das Bild eines ökonomisch blühenden Landes, dessen Einfluss in der Welt immer größer wird. Der Westen hat ein anderes Bild. Er ist ein dankbarer Abnehmer von Schreckensinformationen. Der Horrorfilm über Morde und Menschenrechtsverletzungen, den einige unserer Journalisten über Russland darbieten, ist professionell gemacht. Sie haben tatsächlich diese Optik. Dahinter steht die Auffassung, dass Russland von Grund auf nicht normal ist. Die Normen für das Normale sind in den westlichen Demokratien zu finden. In der Perestrojka-Zeit wurden die Werte und Institutionen der westlichen Demokratien idealisiert und gleichzeitig der lange Weg dorthin übersehen. Das Schreckensbild von Russland hat darin seinen Ursprung. Ich teile nicht die Position des Kreml und verurteile diese Journalisten auch nicht. Bloß halte ich die Situation für komplizierter als in ihren Horrorbildern.“

Tregubovas Insiderbericht erreichte damals eine Rekordauflage von 200.000. Mit ständigen Presseauftritten rührte sie die Werbetrommel, doch die beste Promotion war das Verbot einer Reportage über sie im damals noch regimekritischen Fernsehsender NTV. Gleichzeitig verlor sie ihre Stelle bei „Kommersant“ aufgrund der Preisgabe von Berufsgeheimnissen. Als Alexander Iwanow öffentlich eine Fortsetzung ihres Buches ankündigte, explodierte einen Monat später ein Sprengsatz an der Tür der leeren Wohnung ihr gegenüber. Die Täter sind bis heute nicht gefunden worden. Tregubova wurde damals mehrfach polizeilich befragt, auch über ihre Kontakte zu Regimegegnern wie Litwinenko.

Ihr zweites Buch „Abschied eines Kreml Diggers“ erschien wenig später, allerdings war die Resonanz weitaus geringer. In einer Art Nabelschau bot es lediglich die Skandale um ihren Debüterfolg. Tregubova verfügte damals bereits nicht mehr über Insiderinformationen. Die beim Tropen Verlag erschienene deutsche Ausgabe „Mutanten des Kreml“ ist ein Verschnitt beider Bücher mit aktuellen Zusätzen. Am Ende steht Tregubovas in der Wochenzeitung „Zeit“ veröffentlichter Aufruf an Angela Merkel, Putin kritisch über den Mord an ihrer Kollegin Anna Politkowskaja zu befragen.

Iwanow: „Putin führt das ganze Land nach den Prinzipien eines Wirtschaftsunternehmens. Der Dreck soll nicht nach außen getragen werden, alle Probleme sind innerhalb des Konzerns zu lösen. Die Politik wird marginalisiert und der Wirtschaft untergeordnet. Die humanitären Werte verschwinden. Der Mensch wird zum technischen Faktor. Wir alle sind zu Angestellten des Russland-Konzerns geworden. Über die Massenmedien werden Glamour und Konsumfreuden propagiert, eine fetischistische Beziehung zum Leben. Religion, Kultur, Erziehung, Wissenschaft interessieren nicht länger. Soziale und ökonomische Stabilität sind die Hauptwaffe der Putin-Regierung. Doch unsere Gesellschaft ist vielschichtiger geworden. Jetzt ist die Zeit für seriösere soziale, politische und wirtschaftliche Analysen.“