Mein 9. November: Winfried Heinemann

Dr. Winfried Heinemann, geboren 1956 in Dortmund, studierte Englisch und Geschichte auf Lehramt, absolvierte zeitgleich eine Ausbildung zum Reserveoffizier. Seit 1986 arbeitet er als Historiker für das militärgeschichtliche Forschungsamt. 1994 ist sein Arbeitgeber von Freiburg nach Potsdam gezogen. Dort leitet er heute den Forschungsbereich „Militärgeschichte der DDR im Bündnis“.
Für mich war das der erste unmittelbare Kontakt mit Menschen vom anderen Stern.

Die waren alle ein bisschen älter als ich. Ich war ja da noch ein junger Hauptmann. Dann waren die einerseits sehr ernst und andererseits auch spürbar unsicher. Dass jemand so im gesetzten Alter, wie die, so unsicher wie ein Schulkind daher kam und sie so recht gar nicht wusste, was sie jetzt hier eigentlich machen sollten oder wie man sich zu benehmen hätte, das war für uns natürlich befremdlich. Normalerweise sind Leute in dem Alter und Dienstgrad durchaus selbstsicherer. Und wir haben uns natürlich erst im Nachhinein klargemacht, dass die schon damals wussten, dass doch ihre gesamte berufliche und wirtschaftliche Zukunft infrage gestellt war.

Natürlich hatten die alle Marxismus-Leninismus studiert und hatten auch Bücher geschrieben, in denen vorne und hinten irgendwelche ganz tiefroten Sachen standen. Aber dazwischen waren das zum Teil eben auch ernstzunehmende Fachkollegen, die durchaus was drauf hatten, was zu bieten hatten. Und wenn man sich mit denen auf ein Gespräch einließ, dann wussten die auch durchaus ihr Wort zu machen. Und dann musste man aufpassen, dass man nicht mit ein bisschen Schwafeln meinte, über die Bühne zu kommen. Das fand ich sehr ermutigend.

Für mich war so eine Schlüsselerfahrung 1984 dieser Tagesbesuch in Ostberlin gewesen. Ich war nämlich vorher in Moskau und Leningrad. Und irgendwie muss ich mir im Hinterkopf Ostberlin vorgestellt haben wie Moskau, also schon so fast in Asien. Und das war irgendwie alles ganz furchtbar deutsch. Das erinnerte mich eigentlich mehr so an das Dortmund meiner frühen Kinderjahre. Und es war so ein bisschen von so einer grauen Schicht überzogen, aber an sich war das also urdeutsch. Und das ist mir damals ganz klar geworden, dass das eben wirklich Deutschland ist und dass Deutschland nicht nur aus der Bundesrepublik besteht.