Meide die schlechten Menschen!

Von Susanne Mack |
Buddha Shakyamuni lebte wahrscheinlich von 563 bis 483 vor Christus im Norden von Indien. Er begründete eine Schule des Denkens, des Glaubens und der Lebenspraxis, die zu den Weltreligionen zählt: den Buddhismus. Seine Schriften liegen nun in einer neuen Übersetzung vor.
"Nur Leid bereitet das, was einem lieb ist.
Gefahr bereitet das, was einem lieb ist;
Wenn die Lieben sich verändern,
wird man rasend und verzweifelt.

Daher sind die nur glücklich, frei von Kummer,
für die es gar nichts gibt, was ihnen lieb ist.
Wer also einen sorgenfreien Ort sucht,
betrachte nichts als lieb in dieser Welt."

In dieser Form etwa, in Versen nämlich, hat der historische Buddha vermutlich seine Lehren vorgetragen.

Der Bettelmönch Siddhartha Gautama, Spross des nepalesischen Adelsgeschlechtes der Shakya, ist 45 Jahre lang an den Ufern des Ganges unterwegs gewesen und hat die Früchte seiner Erleuchtung in Lehrreden verkündet. Buddha selbst hat nichts aufgeschrieben, auch seine Schüler haben dessen Weisheiten zunächst mündlich weitergegeben, erst spätere Generationen haben sie schriftlich fixiert. - Der Buddha lehrte:

"Vergänglich sind alle gestalteten Dinge –
Wenn einer das erkennt durch Weisheit,
dann wendet er sich ab vom Leid;
dies ist der Weg zur Läuterung."

Neben den "feierlichen Aussprüche des Buddha" finden sich in diesem Buch fünf Schriften von Anhängern seiner Lehre, Texte aus 1500 Jahren buddhistischer Geschichte.
Der berühmteste Buddhist in diesem Buch ist sicher Nagarjuna, ein philosophierender Mönch aus dem zweiten Jahrhundert. Drei Schriften von ihm sind hier abgedruckt.

An den Unterläufen des Krishna, einem Fluss in Mittelindien, hatte Nagarjuna ein buddhistisches Kloster gegründet. Er wirkte dort als Lehrer der Weisheit und hat selbst eine Fülle von Texten verfasst. Nagarjuna interessierte sich vor allem für die lebenspraktische Seite des Buddhismus:

"Ein Werk der Lebensklugheit will ich lehren
Als reiche Quelle nützlicher Maximen;
Wenn man es recht versteht, schenkt es den Menschen
in hundert Strophen Lebensklugheit."

Schreibt Nagarjuna. Dies ist die erste seiner "Hundert Strophen von der Lebensklugheit", abgedruckt im vorliegenden Buch. Der Leser wird erstaunt sein. Die Weisheiten dieses indischen Mönches aus dem zweiten Jahrhundert gleichen in vielem den Maximen abendländischer Philosophen bedeutend späterer Zeit. Denen eines Balthasar Gracian zum Beispiel, dem spanischen Jesuiten aus dem 17. Jahrhundert. Oder eines Arthur Schopenhauer, 19. Jahrhundert. Alle drei Philosophen - Nagarjuna, Gracian und auch Schopenhauer - raten ihrem Leser, sich unbedingt fernzuhalten von schlechten Menschen und Narren aller Art. Man solle keinesfalls versuchen, diese zu belehren. Bei Nagarjuna klingt das so:

"Wenn man der Schlange Milch zu trinken gibt,
wird davon nur ihr Gift noch stärker.
Auch die Belehrung schlechter Menschen
Gereicht zum Zorne, nicht zum Seelenfrieden."

Michael Hahn, der Herausgeber des vorliegenden Buches, hat die Schriften der Buddhisten neu übersetzt und kommentiert. Eine ausgezeichnete Arbeit. Der umfangreiche Kommentarteil ordnet jede Schrift in ihren historischen Kontext ein, und zwar in doppelter Hinsicht: erstens in die Geschichte des Buddhismus, zweitens in die Geschichte der indischen Literatur. Hahn weist nämlich nach: Die buddhistischen Lehren sind nicht vom indischen Himmel gefallen. Buddha und seine berühmten Schüler waren belesene Männer, die kannten sich aus in der schönen Literatur ihres Landes. Die Grundgedanken von Nagarjunas "Hundert Strophen zur Lebensweisheit" zum Beispiel finden sich schon im indischen Nationalepos, dem Mahabharata, einem Text, vermutlich aus dem vierten vorchristlichen Jahrhundert. Schon hier findet man die Empfehlung, schlechten Menschen aus dem Weg zu gehen:

"Schlechte Frauen, schlechte Freunde,
schlechte Herrscher, schlechte Anverwandte,
schlechte Nachbarn, schlechte Länder –
davon halte man sich fern."

Im Vorwort des Buches verspricht uns der Herausgeber eine Nach-Dichtung buddhistischer Texte, die sich möglichst genau an die Quellen hält. - Ein geglücktes Unternehmen. Der Autor hat einen guten Kompromiss gefunden zwischen einer textgetreuen Übersetzung und einer Versdichtung, die für deutsche Ohren wohl und poetisch klingt. Eine Delikatesse für Sprachwissenschaftler und für alle Buddhismus-Interessierten, die es genau wissen und nicht nur richtig glauben wollen.

Michael Hahn (Hrsg.): Vom rechten Leben. Buddhistische Lehren aus Indien und Tibet
Verlag der Weltreligionen 2007
480 Seiten, 30 Euro