"Mehrsprachigkeit öffnet den Horizont"

Moderation: Joachim Scholl · 05.02.2008
Die EU-Kommission möchte die Mehrsprachigkeit in Europa fördern. Eine Gruppe von Intellektuellen hat deshalb den Vorschlag gemacht, jeder EU-Bürger möge eine zweite Fremdsprache wie eine zweite Muttersprache "adoptieren". Jutta Limbach, Präsidentin des Goethe-Instituts, unterstützt den Vorschlag. "Einsprachigkeit verführt zu Einfältigkeit, und Mehrsprachigkeit öffnet den Horizont", sagte sie im Deutschlandradio Kultur.
Joachim Scholl: 27 Staaten hat die Europäische Union mittlerweile, 23 Amtssprachen werden gesprochen. Jetzt hat sich auf Geheiß der EU-Kommission eine Gruppe von Intellektuellen, Schriftstellern und Wissenschaftlern Gedanken über diese Sprachenvielfalt gemacht und ein Konzept entworfen, das weniger auf die allgemeine Verkehrssprache Englisch setzt, sondern die Idee einer "persönlichen Adoptivsprache" entwirft, wie es heißt. Mitgedacht hat die scheidende Präsidentin des deutschen Goethe-Instituts Jutta Limbach, die ich jetzt am Telefon begrüße. Guten Tag!

Jutta Limbach: Guten Tag, Herr Scholl!

Scholl: Erklären Sie uns das, Frau Limbach - wer soll hier welche Sprache für sich adoptieren und zu welchem Zwecke?

Limbach: Ja, dieses Jahr ist ja von Seiten der Europäischen Union dem interkulturellen Dialog gewidmet. Und es ist ja eine Tatsache, Sie haben es berichtet, dass in den 27 Mitgliedsstaaten 23 Sprachen gesprochen werden, und eine der Maximen der Europäischen Union lautet, dass die Union die sprachliche und kulturelle Vielfalt zu wahren und das kulturelle Erbe zu fördern hat. Und unser Auftrag war, darüber nachzudenken: Wie kann man Impulse für diese Mehrsprachigkeit geben, dass also aus der Vielsprachigkeit sozusagen in den Köpfen der Unionsbürger eine Mehrsprachigkeit wird?

Und die internationale Verkehrssprache Englisch ist das eine, aber uns ging es darum, eine persönliche Adoptivsprache zu kreieren, das heißt also, dazu anzuregen, dass man neben der internationalen Verkehrssprache eine zweite Fremdsprache eigentlich lernt, als wäre es die zweite Muttersprache, das heißt also, mit all dem Hintergrund in kultureller, literarischer und geschichtlicher Hinsicht, dass man wirklich in das andere Land über die Sprache, die man lernt, eintaucht. Das ist also die Idee, die sich sehr gut mit der Devise vereinbaren lässt, zu der man sich in Barcelona bekannt hat, "M plus zwei", das heißt, Muttersprache und zwei Fremdsprachen sollte der europäische Bürger beherrschen.

Scholl: Nun klingt diese Forderung sehr charmant, inwiefern kann Sie denn qua EU politisch werden, Frau Limbach? Denn der Aufruf "Ihr lieben Europäer, lernt doch jeder noch eine zweite Fremdsprache, bitte!", der hat ja noch kein großes Gewicht?

Limbach: Das ist sicherlich richtig, zumal ja auch die Frage der schulischen Erziehung und der universitären Erziehung Sache der jeweiligen Mitgliedsstaaten ist, darum sind wir ja auch keine administrative, sondern eine Intellektuellengruppe, die solche Ratschläge macht, gibt, aber die müssen umgesetzt werden. Und da das mit der anderen Maxime übereinstimmt, dass künftig mehr Fremdsprachen gelernt werden sollen, denke ich, ist das eine Aufforderung auch nicht nur an die Erziehungs- und Kultusminister, sondern auch an Schulen, darüber nachzudenken, wie man also sich für besondere Sprachen entscheiden kann, die in einer ganz anderen Art und Weise gelernt werden, als es bei dem Erlernen von Basic- oder Standardenglisch der Fall ist.

Scholl: Aber welche Kriterien wären denn hier aufzurichten, man kann ja von den Schulen schlecht verlangen, jetzt Kurse in 23 Sprachen anzubieten?

Limbach: Nein, keinesfalls. Schauen Sie, eine Schule in der Nachbarschaft von Polen wird sich für die polnische erwärmen, und eine Schule im Badischen vielleicht für die französische, das hängt ein klein wenig mit den Grenzen zusammen Aber da ja in all unseren Staaten auch eine Wahlfreiheit herrscht, können natürlich auch Menschen auf die Idee kommen, Sprachen außerhalb Europas - Mandarin etwa oder Arabisch - lernen zu wollen.

Insofern gibt es keine Grenzen, denn worum es uns dabei eigentlich geht, ist das, was wir immer gern auf diesen Begriff der interkulturellen Kompetenz bringen - also ein Ausrichten des Gehirns und der Seele, wie man sie eigentlich von einem Weltbürger erwartet, dass er mit Empathie, mit Neugier für die Lebens- und Erfahrensweisen anderer Länder sich deren Idiom aneignet.

Scholl: Wenn man sich die aktuellen Lehrpläne deutscher Schulen ansieht, dann steht da neben Französisch und Englisch oft Russisch oder Chinesisch, Mandarin haben Sie jetzt gerade selbst genannt, und es hat natürlich mit ganz konkreten, wirtschaftlichen Hintergründen zu tun. Ich könnte mir vorstellen, dass ein Manager der Wirtschaft sagt, na, das ist ja ein rührendes, intellektuelles, kulturelles Wolkenkuckucksheim, was sich da unsere guten Wissenschaftler und Schriftsteller ausgedacht haben, wenn die Leute Russisch und Chinesisch können, dann haben sie Karrierechancen.

Limbach: Uns ist klar, dass vielfach auch berufliche Erwägungen dabei eine Rolle spielen werden, und es ist auch wichtig überhaupt für das Interesse, Fremdsprachen zu erlernen. Aber wer heute auf dem Weltmarkt in besonderer Weise konkurrieren möchte, für den kann es sehr interessant sein, auch eine Sprache dieser kleinen Länder zu sprechen, die manchmal durchaus wirtschaftliche Kompetenzen haben, die neugierig machen und wo sich das Anbahnen von Vertragsbeziehungen durchaus lohnt.

Wenn ich beobachte, wie sehr Dolmetscher gesucht werden, die eine der Sprachen der baltischen Länder sprechen, da denke ich, sollte man nicht so sehr auf die großen, symbolträchtigen Sprachen fixiert sein, obwohl natürlich die Mehrheit das wählen wird. Aber auch wenn das mit großer Intensität geschieht, ist dagegen überhaupt nichts zu erinnern.

Scholl: Letzte Woche, Frau Limbach, haben Sie Ihren Bericht für die EU veröffentlicht, und darin ist auch vom Englischen die Rede. So sollen, wie es heißt, die EU-Staaten untereinander eher auf Englisch als Drittsprache verzichten und doch eher auf regionale Sprachen gehen. Dieser Passus hat in der Presse auch schon ein bisschen für Schlagzeilen gesorgt: "Europäische Intellektuelle wollen Englisch abschaffen". Wie stehen Sie denn zum Englischen? Es ist ja die Lingua franca der modernen Welt.

Limbach: Natürlich, niemand wird das leugnen, und das hat auch die Gruppe der Intellektuellen nicht. Die persönliche Adoptivsprache ist ja durchaus eine Sprache, die neben der internationalen Verkehrssprache gewählt wird, und dass das gegenwärtig die englische Sprache ist, das ist ganz klar und dagegen haben wir auch gar nicht angeschrieben, keinesfalls! Uns geht es darum, dass nicht noch eine Fremdsprache gelernt wird, die internationale Verkehrssprache wird, sondern dass man eine Sprache wie eine zweite Muttersprache lernt.

Scholl: Nun gibt es ja durchaus die eine oder andere Aversion, Frankreich hat den Schutz der eigenen Sprache - gerade vor dem Englischen - so stark im Sinn, das Radioprogramm wurde danach französisiert, Anglizismen werden bekämpft. Darüber kann man sich nun streiten, wie sinnvoll das ist, aber - ist das Weltenglisch, so wie es derzeit eigentlich die Welt beherrscht, der europäischen Sprachenvielfalt abträglich?

Limbach: Das würde ich nicht sagen, dass es abträglich ist. Abträglich ist uns nur Einsprachigkeit, wenn sich die Europäische Union darauf verständigte, künftig nur noch in Englisch sprechen zu wollen, hätte das in der Tat für alle Sprachen - ob das Französisch, Italienisch oder Deutsch ist - den Nachteil, dass sie allmählich verkümmerten, weil sie in bestimmten Bereichen, entweder staatsrechtlichen Bereichen der EU oder in der Wirtschaft, nicht mehr gesprochen werden und dann auch ihr Vokabular nicht fortbilden. Einsprachigkeit verführt zu Einfältigkeit, und Mehrsprachigkeit öffnet den Horizont, schon Wilhelm von Humboldt hat das wundervoll gesehen, als er sagte, mit jeder neuen Sprache eröffnet sich ein Fenster in eine andere Welt.

Scholl: Eckhard Fuhr von der Zeitung "Die Welt" - der Kollege hat gleich einen anderen Schuh draus gemacht. Er ist ganz angetan vom Konzept der persönlichen Adoptivsprache, weil so das Englische als Kultursprache gerettet werden könnte, denn es sei nur noch ein elender Kauderwelsch, den jeder mehr schlecht als recht spricht.

Limbach: Das ist eine gute Idee, ja, ja. Das ist ja das eigentliche Problem dieser Verkehrssprache, dass es so viele Ausformungen gibt, dass man sich schon im Englischen dazu verständigt hat zu sagen, Englisch ist nicht eine Sprache, sondern eine Sprachenfamilie - Spanglisch, Singlisch, was man alles dort spricht.

Scholl: Oder auch Denglisch, ja.

Limbach: Ja, auch Denglisch, richtig, das wird ja auch bei uns heftig diskutiert.

Scholl: Welche Sprache würden Sie denn, Frau Limbach, als persönliche Adoptivsprache wählen?

Limbach: Wenn ich jung wäre, dann würde ich zwischen Mandarin und Arabisch wählen.

Scholl: Hoppla!

Limbach: Ja.

Scholl: Gleich die schweren Sprachen.

Limbach: Auch das haben wir offen gehalten, denn Englisch - mit Englisch als Fremdsprache bin ich großgeworden, und ich möchte die englische Weltliteratur, die ich gewissermaßen von Schulzeiten an gelesen habe, nicht missen. Aber auch das Französische ist natürlich ungemein reizvoll.

Scholl: Dann wünschen wir Ihnen da gutes Engagement, dass Sie vielleicht demnächst chinesische Poesie im Original lesen können.

Limbach: Dazu wird es wohl nicht mehr kommen.