Mehrheitsmeinung

Erst ein Generationswechsel verändert etwas

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Illustration von vielen jungen Frauen, die auf einer riesigen geballten Faust stehen und jubelnd die Arme in die Höhe strecken.
Statt die Älteren vom notwendigen Wandel zu begeistern, sollten junge Menschen die eigene Überzeugung stärken, sagt Hans Rusinek. © imago / Ikon Images / Alice Mollon
Ein Kommentar von Hans Rusinek · 26.10.2020
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Frauen sind für die Kindererziehung da! Es dauerte Jahrhunderte, bis sich dieses konservative Denken in der Gesellschaft änderte. So geht ein progressiver Wandel immer von jungen Menschen aus, meint der Transformationsberater Hans Rusinek.
Frauen, die arbeiten, können keine guten Mütter sein. Eine Ehe zwischen schwarzen und weißen Menschen ist falsch. Kommunistische Bücher haben in Bibliotheken nichts verloren. Diese Einstellungen sind zurecht auf dem Schutthaufen der Geschichte gelandet. Dabei waren sie, etwa im Amerika der 70er, noch gesellschaftlicher Mainstream. Wie schön, dass ein Mensch seine Meinung ändert – schöner noch, wenn es viele tun, denkt man da. Was glauben Sie aber, welcher Anteil der Bevölkerung bei diesen drei Fragen umdenken musste, damit der Mainstream kippte? Ein Viertel, die Hälfte, sogar mehr?

Haltungskrisen lösen Generationskonflikte aus

Die Antwort ist wichtig, denn ein Umdenken ist heute in den Krisen rund um Umwelt, Migration oder Wirtschaft erforderlich. Dadurch entstehen neue Generationskonflikte, weil sich an der Art der Krisen etwas geändert hat. Die heutigen Krisen spalten Generationen. Es sind nämlich Haltungskrisen. Früher gab es Wissenskrisen: Wir litten unter der Pest, kannten den Auslöser aber nicht.


Durch Forschung fanden wir heraus, dass Antibiotika und Hygiene die gefährlichen Bakterien besiegen können. Die Lösung waren also Erfindungen. Unsere heutigen Krisen sind aber häufig Folgen dieser Erfindungen. Antibiotika entwickeln Resistenzen, Motoren befeuern den Klimawandel, unsere hochmoderne Wirtschaftsmaschinerie den Burn-out. Wir brauchen eine neue Haltung, weitere Erfindungen helfen da nicht. Müssen wir uns also nicht im Labor abarbeiten, sondern eher an unseren Eltern?

Mehrheitsmeinung ändert sich durch Generationswechsel

Zurück zur Eingangsfrage: Wie viele Menschen muss man also zum Umdenken bringen, um die Gesellschaft zu verändern? Die verblüffende Antwort ist: manchmal keinen einzigen. Eine Studie der Universität Chicago und des Economist hat betrachtet, wie die US-Gesellschaft in den letzten 50 Jahren in einer Reihe von Fragen umschwenkte, und stellt fest: Oft änderte keine einzige Person ihre Meinung. Entscheidend für den Wertewandel ist allein der demografische Wandel. Die ältere Generation wird langsam weniger, und eine neue kommt, das neue Mischverhältnis ist es, was den Wertewandel bringt.

Gesellschaften ändern ihre Meinung, ja, aber Menschen eher nicht, so die zentrale Aussage. So fanden es in den 70er-Jahren etwa die Hälfte der Amerikaner unerhört, dass kommunistische Bücher in Bibliotheken stehen. Heute ist das Verbot eine absolute Minderheitenposition. Dieser Meinungswechsel beruht auf einem Generationswechsel, denn die ab 1981 geborenen Millennials stellen inzwischen mehr als ein Drittel der Gesellschaft dar, während die damals über 50-Jährigen heute fast nicht mehr vertreten sind. So erklären sich auch die Meinungswechsel bei den Fragen zu arbeitenden Müttern und interkulturellen Ehen.

Mehr praktische Mitsprache für junge Generation

Wenn dem so ist, dann müssen wir sozialen Wandel und vermeintliche Generationskonflikte neu denken. Denn dann wird die Mehrheitsmeinung nicht so sehr mit lauten Skandierungen erobert, sondern mit Beharrlichkeit geformt. Was wir dafür heute schon machen können und sollten, ist den Raum für junge Stimmen mehr zu öffnen, den kollektiven Mentalitätswandel also vorauszuahnen.
Laut der erwähnten Studie sollten wir also die, die sich auf natürliche Weise ohnehin durchsetzen, nicht nur auf Straßen demonstrieren, sondern jetzt schon in Unternehmen, Parteien und Gesellschaft mitentscheiden lassen. Junge Menschen dürfen aus der Studie Stehvermögen schöpfen: Statt sich mit der alten Generation vergeblich abzumühen, muss die eigene Überzeugung gestärkt werden, und die der oft noch apathischen Gleichaltrigen. Dabei könnten die Jungen an Mick Jagger denken, auch ein Rebell vergangener Tage, der sang: "Time is on my side, yes it is!"

Hans Rusinek, geb. 1990, er ist Transformationsberater, Autor (in Medien wie BrandEins und BusinessPunk) und Chefredakteur des Transform Magazins – einem Independent Magazin, das mit konstruktivem Journalismus ökologisch-gesellschaftlichen Wandel bewirken will. In seiner beraterischen Tätigkeit hilft er Unternehmen ihren größeren Sinn, ihren Purpose, zu finden und zu leben. Zusätzlich engagiert er sich beim thinktank 30 des Club of Rome, wo er sich mit wirtschaftsethischen Fragen auseinandersetzt. Hans Rusinek beendete sein Studium der Volkswirtschaftslehre, Politik und Philosophie an der London School of Economics und ist zudem ausgebildeter Design Thinker.

© Ulrike Schacht
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