Mehr Wohlstand, weniger Fremdenfeindlichkeit
Angesichts der positiven wirtschaftlichen Entwicklung haben die feindseligen Einstellungen gegenüber Minderheiten in Deutschland nachgelassen. Der Leiter der Studie "Deutsche Zustände", Wilhelm Heitmeyer, betonte allerdings, derzeit sei noch nicht klar, ob es sich um eine kurzfristige Veränderung oder um einen langfristigen Trend handele.
Dieter Kassel: In Berlin wird die neuste Ausgabe der Langzeituntersuchung "Deutsche Zustände gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" vorgestellt. Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus Einstellungen gegenüber muslimischen, obdachlosen, homosexuellen Menschen und Menschen, die über längere Zeit arbeitslos sind. Um all das geht es in dieser Studie. Und seit 2002, dem Beginn der Langzeituntersuchung, gibt es zum ersten Mal in einigen dieser Bereichen leichte Rückgänge. Vorgestellt wird die Studie zur Stunde von ihrem Leiter, Professor Wilhelm Heitmeyer von der Universität Bielefeld. Ich habe deshalb kurz vor dieser Sendung schon mit ihm gesprochen und ihn konkret nach zwei Ergebnissen gefragt, einem Rückgang der Angst und einem leichten Rückgang der Fremdenfeindlichkeit. Ich habe ihn deshalb gefragt, ob zum ersten Mal, seit diese Studie durchgeführt wird, die Ergebnisse Anlass zur Freude sind.
Wilhelm Heitmeyer: Zunächst ist es natürlich immer gut, wenn solche feindseligen Mentalitäten auf den ersten Blick nachlassen. Nun wissen wir nicht, ob das eine kurzfristige Veränderung ist oder ob sich ein Trend andeutet. Diese Frage können wir derzeit natürlich nicht beantworten.
Kassel: Wie sind denn die Zusammenhänge? Sie haben zum einen dieses Nachlassen in Teilbereichen festgestellt und ja auch ein Nachlassen der Angst vor der Zukunft, eine größere Zuversicht wieder bei den Deutschen. Ist es also ganz einfach so, mehr gefühlter Wohlstand bedeutet wieder weniger Fremdenfeindlichkeit?
Heitmeyer: Nein, der Punkt ist auf der einen Seite, dass die Wahrnehmung der sozialen Spaltung und das heißt auch eine massive Ungleichverteilung von Wohlstand natürlich gleichgeblieben ist, und das sichern auch die objektiven Daten ab. Gleichwohl hat die Angst vor Desintegration und prekären Lebensverläufen erstmals nach Jahren abgenommen, aber die Angst vor einem schnellen sozialen Absturz durch die Hartz-IV-Gesetzgebung ist weitgehend stabil geblieben.
Kassel: Wie können Sie denn diesen allgemeinen Rückgang der Angst erklären?
Heitmeyer: In der Tat gibt es ja statistisch gesehen durchaus eine Entspannung auf dem Arbeitsmarkt, aber zunächst mal statistisch gesehen. Und gleichzeitig muss man in der Tat in die Arbeitsverhältnisse hineinsehen, und dann bekommt man möglicherweise schon wieder ein etwas anderes Bild. Das heißt, dass man diese statistische Entspannung auch in einem anderen Licht sehen kann.
Kassel: Gibt es da geografische Unterschiede, also was die Entspannung, jetzt nicht nur die statistische, sondern die gefühlte der Menschen angeht, die geringer werdende Angst vor prekären Verhältnissen, ist die überall gleich?
Heitmeyer: Nein, sie ist bei Weitem nicht gleich. In Ostdeutschland ist die Annahme und die Angst, arbeitslos zu werden, nach wie vor sehr viel höher als in Westdeutschland, aber in anderen Bereichen gleicht sich das durchaus an.
Kassel: Nun gucken Sie ja im Rahmen dieser Studie "Deutsche Zustände" nicht nur auf die Fremdenfeindlichkeit, auf Rassismus, sondern Sie gucken auch darauf, wie zum Beispiel Menschen am Rande der Gesellschaft – Obdachlose, aber auch Menschen, die über längere Zeit arbeitslos sind – bewertet werden von den anderen, die nicht arbeitslos sind. Wie hat sich das denn entwickelt?
Heitmeyer: Also zunächst arbeiten wir ja mit diesem Syndrom gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, das heißt, dass Menschen alleine aufgrund ihrer tatsächlichen oder zugewiesenen Gruppenzugehörigkeit, weil sie fremd sind, weil sie Juden sind, weil sie homosexuelle Menschen sind, zentral dann in den Fokus der Abwertung hineingeraten. Und da ist es so, dass etwa bei der Islam-Feindlichkeit, also der generalisierten Abwertung von Muslimen es einen Anstieg gegeben hat bis 2006, aber zwischen 2006 und 2007 ist das stabil geblieben. Auf der anderen Seite haben wir jetzt aufgrund der Beobachtung in der Gesellschaft, wie Eliten sich etwa gegenüber Arbeitslosen verhalten, dieses erstmals in die Untersuchung einbezogen, und wir können feststellen, dass es doch einen erheblichen Anteil der Bevölkerung in dieser Gesellschaft gibt, die Langzeitarbeitslose generalisiert abwerten. Und insofern gehören diese Langzeitarbeitslosen inzwischen zu diesem Syndrom dazu. Das heißt, wer Fremde abwertet, wertet in hohem Maße auch diese Menschen ab.
Kassel: Was haben Sie denn da ganz genau abgefragt bei der Beurteilung von Langzeitarbeitlosen? Haben Sie gefragt, leben die auf unsere Kosten, haben sie gefragt, sind das Menschen zweiter Klasse? Wie kommen Sie denn jetzt zu diesen Schlüssen?
Heitmeyer: Ja, das sind natürlich eine ganze Reihe von Fragestellungen, die wir ihnen gestellt haben. Das geht über die Frage, ob sie selbst schuld sind, wenn sie keine Stelle finden, oder dass sie nicht wirklich interessiert sind, überhaupt einen Job zu finden usw. Das sind solche Dinge, das heißt, generalisierende Stereotype, wenn Sie so wollen, die den Langzeitarbeitslosen unabhängig von ihrem individuellen Schicksal dann entgegengeschleudert werden.
Kassel: Kann man aus den Antworten, die Sie in diesem Zusammenhang und in ähnlichen bekommen haben, tatsächlich schließen, dass wir immer zunehmend in einer konkurrenzbasierten Gesellschaft leben, also dass dieses Leistungsprinzip, das ja, obwohl es einen Linksruck gibt und das viele Leute im Kopf vielleicht ablehnen, dass dieses Leistungsprinzip im Alltag immer wichtiger wird?
Heitmeyer: Das kann man durchaus feststellen, denn wir ermitteln, dass auf der einen Seite ja die Angst bei Arbeitslosigkeit und damit parallel auch zum Teil die konkurrenzbasierte Fremdenfeindlichkeit abnimmt, und das ist kein Zufall, sondern das ist ein kausaler Zusammenhang. Auf der anderen Seite steigt aber das, was wir Flexibilitätszwang nennen, also auch die nahen sozialen Beziehungen zum Teil unter Nutzenkalkülen sehr viel stärker zu beachten, das heißt, ob es mir nützlich ist eigentlich, überhaupt noch soziale Beziehungen zu pflegen, das heißt, dass wirtschaftliche Kalküle, die im Rahmen der Wirtschaft durchaus angemessen sind, dann aber einsickern auch in soziale Lebenszusammenhänge. Und das, glaube ich, ist schon beunruhigend, denn wir können gleichzeitig dann auch Zusammenhänge feststellen mit den Menschen, die man dann nach Nutzenkalkülen beurteilen kann, also zugewanderte Fremde mit zum Teil niedrigen Qualifikationen oder Langzeitarbeitslose oder Obdachlose oder Behinderte. Und das signalisiert uns doch ein erhebliches Problemfeld.
Kassel: Kommen wir also zurück auf diese klassischen Formen der Menschenfeindlichkeit, an die man immer sofort denkt – Sie haben es ja erwähnt, ein Teil Ihrer Untersuchung, ein großer Teil ist natürlich die Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus. Wie verteilt sich denn das geografisch nach den neuesten Ergebnissen in Deutschland?
Heitmeyer: Es ist in der Tat so, wenn man die Ost-West-Schiene betritt, dann zeigen sich die Unterschiede bei der Fremdenfeindlichkeit und beim Rassismus, das heißt, die Werte in Ostdeutschland sind dort signifikant höher. Während andererseits übrigens der Sexismus im Westen höher ist als im Osten.
Kassel: Was sagen denn die neuesten Ergebnisse Ihrer Langzeitstudie zu den Möglichkeiten, Fremdenfeindlichkeit und viele andere Formen der Menschenfeindlichkeit zu bekämpfen, zu Präventionsmaßnahmen, zu dem, was gemacht wurde, was gemacht werden muss? Kann man daraus, da es ja, auch wenn es in einigen Bereichen jetzt stagniert, alles in allem in vielen Bereichen auch zunimmt, kann man nicht sagen, man muss die Sache irgendwie anders angehen?
Heitmeyer: Ja, das ist ganz eindeutig so. Wir haben ja mehrere Analyseebenen. Einmal haben wir das, was ich berichtet habe, auf der nationalen Ebene, und da kann man allgemeine Trends feststellen und auch Zusammenhänge, die allgemein gültig sind. Dann haben wir Regionalanalysen zwischen den Bundesländern. Was wir aber dringend jetzt als nächsten Schritt brauchen, das sind interventionsnahe lokale Analysen, denn die Verdichtungen können sich ja trotzdem in manchen Landstrichen, in Kleinstädten, in Gemeinden, in Stadtteilen herausbilden. Und die verschwimmen natürlich, wenn man nur auf den nationalen Trend setzt. Die Bürgerschaft in solchen Orten, wo diese Probleme besonders sich zuspitzen – und das sind zum Teil ostdeutsche Kleinstädte, Gemeinden, aber auch westdeutsche –, genauer wissen, welche Bedingungen herrschen denn dort vor, damit die Bürgerschaft sich damit auseinandersetzen kann. Denn wir finden ja auch, bei den Einstellungsmustern ist es ein Irrtum, dass nur die jungen Leute, auf die sich die Interventionsprogramme beziehen, das Problem darstellen. Die bringen die Gewalt mit ins Spiel, und dann wird eine Gesellschaft erst aufmerksam. Aber die Älteren sind es, die immer wieder diesen Reproduktionszirkel in Gang halten, und um die kümmert sich kaum jemand. Also sehr viel stärker den Sozialraum Stadt, Gemeinde, dort muss es auf die Agenda mit der Frage, in welcher Stadt, in welcher Gemeinde wollen wir eigentlich leben. Und das ist schwer genug. Das heißt, bei den Interventionen muss man sehr viel stärker sozialräumlich denken als nur zu sagen, na ja, jetzt gucken wir mal, was in den Jugendzentren los ist. Nein, das ist ein Fehler, und wir werden uns um diese Frage sehr viel intensiver kümmern müssen.
Kassel: Sie haben die Gewalt erwähnt. Ist die Gewaltbereitschaft größer als in den vergangenen Jahren?
Heitmeyer: Nein, da hat sich wenig bewegt, das ist stabil geblieben. Wobei man da auch immer wieder sagen muss, bei repräsentativen Stichproben mit einer entsprechenden Bevölkerungsschichtung sind auch keine großen Bewegungen zu erwarten, weil Gewalt immer auch an Dynamiken gebunden ist, die sich dann vor Ort auswirkt und außerdem Gewaltbereitschaft dann doch eher bei den Jüngeren vorhanden ist, weil die tatsächlich die Gewalttäter dann häufig sind. Aber, und jetzt kommt der Punkt, die Älteren zeigen zum Teil deutlich hohe Gewaltbilligung, das heißt, sie liefern dann auch die Legitimation dafür, dass die Jüngeren zulangen.
Wilhelm Heitmeyer: Zunächst ist es natürlich immer gut, wenn solche feindseligen Mentalitäten auf den ersten Blick nachlassen. Nun wissen wir nicht, ob das eine kurzfristige Veränderung ist oder ob sich ein Trend andeutet. Diese Frage können wir derzeit natürlich nicht beantworten.
Kassel: Wie sind denn die Zusammenhänge? Sie haben zum einen dieses Nachlassen in Teilbereichen festgestellt und ja auch ein Nachlassen der Angst vor der Zukunft, eine größere Zuversicht wieder bei den Deutschen. Ist es also ganz einfach so, mehr gefühlter Wohlstand bedeutet wieder weniger Fremdenfeindlichkeit?
Heitmeyer: Nein, der Punkt ist auf der einen Seite, dass die Wahrnehmung der sozialen Spaltung und das heißt auch eine massive Ungleichverteilung von Wohlstand natürlich gleichgeblieben ist, und das sichern auch die objektiven Daten ab. Gleichwohl hat die Angst vor Desintegration und prekären Lebensverläufen erstmals nach Jahren abgenommen, aber die Angst vor einem schnellen sozialen Absturz durch die Hartz-IV-Gesetzgebung ist weitgehend stabil geblieben.
Kassel: Wie können Sie denn diesen allgemeinen Rückgang der Angst erklären?
Heitmeyer: In der Tat gibt es ja statistisch gesehen durchaus eine Entspannung auf dem Arbeitsmarkt, aber zunächst mal statistisch gesehen. Und gleichzeitig muss man in der Tat in die Arbeitsverhältnisse hineinsehen, und dann bekommt man möglicherweise schon wieder ein etwas anderes Bild. Das heißt, dass man diese statistische Entspannung auch in einem anderen Licht sehen kann.
Kassel: Gibt es da geografische Unterschiede, also was die Entspannung, jetzt nicht nur die statistische, sondern die gefühlte der Menschen angeht, die geringer werdende Angst vor prekären Verhältnissen, ist die überall gleich?
Heitmeyer: Nein, sie ist bei Weitem nicht gleich. In Ostdeutschland ist die Annahme und die Angst, arbeitslos zu werden, nach wie vor sehr viel höher als in Westdeutschland, aber in anderen Bereichen gleicht sich das durchaus an.
Kassel: Nun gucken Sie ja im Rahmen dieser Studie "Deutsche Zustände" nicht nur auf die Fremdenfeindlichkeit, auf Rassismus, sondern Sie gucken auch darauf, wie zum Beispiel Menschen am Rande der Gesellschaft – Obdachlose, aber auch Menschen, die über längere Zeit arbeitslos sind – bewertet werden von den anderen, die nicht arbeitslos sind. Wie hat sich das denn entwickelt?
Heitmeyer: Also zunächst arbeiten wir ja mit diesem Syndrom gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, das heißt, dass Menschen alleine aufgrund ihrer tatsächlichen oder zugewiesenen Gruppenzugehörigkeit, weil sie fremd sind, weil sie Juden sind, weil sie homosexuelle Menschen sind, zentral dann in den Fokus der Abwertung hineingeraten. Und da ist es so, dass etwa bei der Islam-Feindlichkeit, also der generalisierten Abwertung von Muslimen es einen Anstieg gegeben hat bis 2006, aber zwischen 2006 und 2007 ist das stabil geblieben. Auf der anderen Seite haben wir jetzt aufgrund der Beobachtung in der Gesellschaft, wie Eliten sich etwa gegenüber Arbeitslosen verhalten, dieses erstmals in die Untersuchung einbezogen, und wir können feststellen, dass es doch einen erheblichen Anteil der Bevölkerung in dieser Gesellschaft gibt, die Langzeitarbeitslose generalisiert abwerten. Und insofern gehören diese Langzeitarbeitslosen inzwischen zu diesem Syndrom dazu. Das heißt, wer Fremde abwertet, wertet in hohem Maße auch diese Menschen ab.
Kassel: Was haben Sie denn da ganz genau abgefragt bei der Beurteilung von Langzeitarbeitlosen? Haben Sie gefragt, leben die auf unsere Kosten, haben sie gefragt, sind das Menschen zweiter Klasse? Wie kommen Sie denn jetzt zu diesen Schlüssen?
Heitmeyer: Ja, das sind natürlich eine ganze Reihe von Fragestellungen, die wir ihnen gestellt haben. Das geht über die Frage, ob sie selbst schuld sind, wenn sie keine Stelle finden, oder dass sie nicht wirklich interessiert sind, überhaupt einen Job zu finden usw. Das sind solche Dinge, das heißt, generalisierende Stereotype, wenn Sie so wollen, die den Langzeitarbeitslosen unabhängig von ihrem individuellen Schicksal dann entgegengeschleudert werden.
Kassel: Kann man aus den Antworten, die Sie in diesem Zusammenhang und in ähnlichen bekommen haben, tatsächlich schließen, dass wir immer zunehmend in einer konkurrenzbasierten Gesellschaft leben, also dass dieses Leistungsprinzip, das ja, obwohl es einen Linksruck gibt und das viele Leute im Kopf vielleicht ablehnen, dass dieses Leistungsprinzip im Alltag immer wichtiger wird?
Heitmeyer: Das kann man durchaus feststellen, denn wir ermitteln, dass auf der einen Seite ja die Angst bei Arbeitslosigkeit und damit parallel auch zum Teil die konkurrenzbasierte Fremdenfeindlichkeit abnimmt, und das ist kein Zufall, sondern das ist ein kausaler Zusammenhang. Auf der anderen Seite steigt aber das, was wir Flexibilitätszwang nennen, also auch die nahen sozialen Beziehungen zum Teil unter Nutzenkalkülen sehr viel stärker zu beachten, das heißt, ob es mir nützlich ist eigentlich, überhaupt noch soziale Beziehungen zu pflegen, das heißt, dass wirtschaftliche Kalküle, die im Rahmen der Wirtschaft durchaus angemessen sind, dann aber einsickern auch in soziale Lebenszusammenhänge. Und das, glaube ich, ist schon beunruhigend, denn wir können gleichzeitig dann auch Zusammenhänge feststellen mit den Menschen, die man dann nach Nutzenkalkülen beurteilen kann, also zugewanderte Fremde mit zum Teil niedrigen Qualifikationen oder Langzeitarbeitslose oder Obdachlose oder Behinderte. Und das signalisiert uns doch ein erhebliches Problemfeld.
Kassel: Kommen wir also zurück auf diese klassischen Formen der Menschenfeindlichkeit, an die man immer sofort denkt – Sie haben es ja erwähnt, ein Teil Ihrer Untersuchung, ein großer Teil ist natürlich die Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus. Wie verteilt sich denn das geografisch nach den neuesten Ergebnissen in Deutschland?
Heitmeyer: Es ist in der Tat so, wenn man die Ost-West-Schiene betritt, dann zeigen sich die Unterschiede bei der Fremdenfeindlichkeit und beim Rassismus, das heißt, die Werte in Ostdeutschland sind dort signifikant höher. Während andererseits übrigens der Sexismus im Westen höher ist als im Osten.
Kassel: Was sagen denn die neuesten Ergebnisse Ihrer Langzeitstudie zu den Möglichkeiten, Fremdenfeindlichkeit und viele andere Formen der Menschenfeindlichkeit zu bekämpfen, zu Präventionsmaßnahmen, zu dem, was gemacht wurde, was gemacht werden muss? Kann man daraus, da es ja, auch wenn es in einigen Bereichen jetzt stagniert, alles in allem in vielen Bereichen auch zunimmt, kann man nicht sagen, man muss die Sache irgendwie anders angehen?
Heitmeyer: Ja, das ist ganz eindeutig so. Wir haben ja mehrere Analyseebenen. Einmal haben wir das, was ich berichtet habe, auf der nationalen Ebene, und da kann man allgemeine Trends feststellen und auch Zusammenhänge, die allgemein gültig sind. Dann haben wir Regionalanalysen zwischen den Bundesländern. Was wir aber dringend jetzt als nächsten Schritt brauchen, das sind interventionsnahe lokale Analysen, denn die Verdichtungen können sich ja trotzdem in manchen Landstrichen, in Kleinstädten, in Gemeinden, in Stadtteilen herausbilden. Und die verschwimmen natürlich, wenn man nur auf den nationalen Trend setzt. Die Bürgerschaft in solchen Orten, wo diese Probleme besonders sich zuspitzen – und das sind zum Teil ostdeutsche Kleinstädte, Gemeinden, aber auch westdeutsche –, genauer wissen, welche Bedingungen herrschen denn dort vor, damit die Bürgerschaft sich damit auseinandersetzen kann. Denn wir finden ja auch, bei den Einstellungsmustern ist es ein Irrtum, dass nur die jungen Leute, auf die sich die Interventionsprogramme beziehen, das Problem darstellen. Die bringen die Gewalt mit ins Spiel, und dann wird eine Gesellschaft erst aufmerksam. Aber die Älteren sind es, die immer wieder diesen Reproduktionszirkel in Gang halten, und um die kümmert sich kaum jemand. Also sehr viel stärker den Sozialraum Stadt, Gemeinde, dort muss es auf die Agenda mit der Frage, in welcher Stadt, in welcher Gemeinde wollen wir eigentlich leben. Und das ist schwer genug. Das heißt, bei den Interventionen muss man sehr viel stärker sozialräumlich denken als nur zu sagen, na ja, jetzt gucken wir mal, was in den Jugendzentren los ist. Nein, das ist ein Fehler, und wir werden uns um diese Frage sehr viel intensiver kümmern müssen.
Kassel: Sie haben die Gewalt erwähnt. Ist die Gewaltbereitschaft größer als in den vergangenen Jahren?
Heitmeyer: Nein, da hat sich wenig bewegt, das ist stabil geblieben. Wobei man da auch immer wieder sagen muss, bei repräsentativen Stichproben mit einer entsprechenden Bevölkerungsschichtung sind auch keine großen Bewegungen zu erwarten, weil Gewalt immer auch an Dynamiken gebunden ist, die sich dann vor Ort auswirkt und außerdem Gewaltbereitschaft dann doch eher bei den Jüngeren vorhanden ist, weil die tatsächlich die Gewalttäter dann häufig sind. Aber, und jetzt kommt der Punkt, die Älteren zeigen zum Teil deutlich hohe Gewaltbilligung, das heißt, sie liefern dann auch die Legitimation dafür, dass die Jüngeren zulangen.