Mehr von Fontanes Gelassenheit für die Mark

Rezensiert von Adolf Stock |
Schloss Nennhausen im Havelland, Arbeitersiedlungen in Luckenwalde, die neue Universitätsbibliothek in Cottbus - Architektur und Baustile im Land Brandenburg sind vielfältig. Im Sachbuch "Abbruch Umbruch Aufbruch" entwerfen Architekten, Stadt- und Landschaftsplaner, Kunsthistoriker und ein Fotograf ein Panorama der regionalen Baukultur.
"Alle Geschmacklosigkeiten die zum Beispiel ein moderner Bauherr macht, ist reale Baukultur."

Der Stadtplaner Dieter Hoffmann-Axthelm spielt den Störenfried. Als ein Autor des Sammelbandes über die regionale Baukultur in Brandenburg bezieht er mit seiner anschaulichen Reflexion über die städtebauliche Situation in Perleberg eindeutig Stellung.

Die kleine Stadt Perleberg liegt in der westlichen Prignitz und besitzt ein reiches architektonisches Erbe. Es gibt historische Gebäude aus mehreren Jahrhunderten, von der Gotik bis zur Gründerzeit. Nach der Wende wurden sie mit viel öffentlichen Geldern wieder instand gesetzt. Auch Hoffmann-Axthelm hält das für eine unglaubliche Erfolgsgeschichte, und doch bleibt für ihn das Ergebnis merkwürdig schal, weil die renovierten Plätze und Straßenzüge in ihrer geklonten Ästhetik überall gleich und nur ungefähr alt aussehen.

"In diesem Einheitsbrei, der da angerichtet wird, da hat’s ja nicht nur das Moderne schwer, sondern auch das wirklich Alte. Es gibt keinen Blick dafür, dass es wirklich einmalige Gebäude gibt, die herausgearbeitet werden müssen. Die verschwimmen darin, die werden auf eine Art und Weise saniert und behandelt, dass es also ein Graus ist, und damit geht eigentlich das, was da ist, verloren. Erst in dieser ganzen Entfernung, von der Gotik bis zur modernsten Moderne, kriegt das Bild richtig erst seine Spannung."

Baukulturelle Lustlosigkeit gibt es nicht nur in Perleberg. Die Architekturhistorikerin Simone Hain hat sich im havelländischen Nusswinkel umgesehen, einem Zipfel Endmoräne westlich von Berlin, dort wo das Schloss Nennhausen liegt, das in früheren Zeiten eine Hochburg der Romantik war.

Heute kommen vor allem Vogelkundler in das abgeschiedene Feuchtbiotop und den Naturpark Westhavelland. Vielleicht muss man sich ja so die Zukunft vorstellen? Simone Hain beobachtet jedenfalls nüchtern, wie hier die Dörfer schrumpfen, und jetzt sind auch schon die Kirchen in Gefahr. Für 14 von 16 Gotteshäusern werden neue Nutzer gesucht, und ein Dialog zwischen Kirche, Politik und Bevölkerung findet so gut wie nicht statt.

Einige Autoren beschäftigen sich ausführlich mit der frühen gemäßigten Moderne, als der soziale Wohnungsbau auch in Brandenburg eine Erfolgsgeschichte war. In Luckenwalde wurden eine ganze Reihe Arbeitersiedlungen gebaut, und Erich Mendelsohn entwarf seine berühmte Hutfabrik, die mit ihrem expressiven Dach selbst ein wenig wie ein lang gestreckter Hut aussieht.

Auch in Finsterwalde ist die Moderne prominent mit Siedlungen und Bauten von Willi Ludewig und Max Taut vertreten. Frankfurt an der Oder ist allerdings ein Sonderfall. Hier wurden Wohnsiedlungen für die Reichsbahndirektion Osten gebaut, die nach dem Ersten Weltkrieg nach Frankfurt an der Oder kam. Während der Architekt Martin Kießling vorbildliche städtebauliche Lösungen fand, benannten die Politiker die Plätze und Straßen nach Orten in den verloren gegangen Ostgebieten, die sie möglichst schnell zurück haben wollten.

Wenn der Journalist Uwe Rada in seinem Artikel von der Oderbrücke zwischen Frankfurt und Słubice berichtet, erfährt man plötzlich, dass sich Frankfurt an der Oder das ganze vergangene Jahrhundert und bis auf den heutigen Tag auch als ein Bollwerk gegen den Nachbarn Polen verstanden hat. Bei einem Volksentscheid 2006 haben knapp 83 Prozent eine grenzüberschreitende Straßenbahnlinie abgelehnt.

Die Bauten aus den 20er Jahren sind jetzt fast alle renoviert. Schmucke Herrenhäuser und eine Reihe von Kirchen mit neuen Dächern erzählen von Brandenburgs architektonischer Vergangenheit. Soweit so schön, doch Dieter Hoffmann-Axthelm glaubt, das reicht für die Zukunft nicht aus.

"Und dann ist es auch psychologisch wichtig, dass man nicht einfach nur die Vergangenheit verherrlicht, sondern dass man sagt: Es geht weiter. Also, dass man sich traut, Kontraste zu setzen, weiter zu bauen und damit eben auch zu zeigen, wir sind nicht einfach nur ein Museum, wir sind nicht auf einer Ausstellung der schönen Mark Brandenburg, wie sie mal war, und ansonsten sind wir arm und wissen von nichts."

Für Hoffmann-Axthelm fehlt es in Brandenburg an Mut und an Individualität. Die neue Universitätsbibliothek in Cottbus bildet da eine Ausnahme. Als gläserne Trutzburg erinnert sie an das Castel del Monte, oder an eine Designer-Vase von Alvar Aalto. In Cottbus haben die Schweizer Architekten Herzog und de Meuron endlich mal wieder ein Zeichen gesetzt, das der Kulturwissenschaftler Wolfgang Bock in seinem Beitrag über die moderne Architektur in Cottbus ausführlich würdigt. Neben der neuen Bibliothek gab es zuvor eigentlich nur noch zwei Highlights: Die Graspyramide im Pückler-Park aus dem Jahr 1857 und das Jugendstil-Theater von 1908.

Auch der Architekturkritiker Wolfgang Kil blickt nach vorn, wenn er in seinem Beitrag des Buches den Strukturwandel in der Uckermark beschreibt. Zwar bröckelt die Infrastruktur, immer mehr Gasthäuser und Schulen müssen schließen, doch Kil versucht trotzdem, mit einer anderen Perspektive auf die Region zu schauen. Er erzählt von städtischen ‚Raumpionieren’, die in die vereinsamten Dörfer ziehen oder von Landwirten, die zu Energiebauern oder Landschaftspflegern werden.

Wenn Wolfgang Kil die Uckermark mit der Toskana vergleicht, ist das kein feuilletonistischer Spaß, denn er rührt damit am Selbstverständnis einer Region. Auch Dieter Hoffmann-Axthelm hofft, dass Brandenburg seine Qualitäten kultiviert, denn nur so kann Bürgersinn entstehen und nur so lassen sich am Ende auch die Touristen locken.

"Wenn diese kleinen Städte, wenn die auf Tourismus setzen, dann kommt es ja nicht darauf an, dass der Tourist ein Städtchen findet, was sauber ist. Saubere Städtchen gibt’s genug, sondern er möchte Futter kriegen. Er möchte Sachen sehen, die interessant sind, die anders sind als woanders."

Vielleicht könnte das Kulturland Brandenburg ja auch etwas von der heiteren Gelassenheit Theodor Fontanes gebrauchen, der den Autoren so oft als Kronzeuge dient. Der Fotograf Jürgen Hohmuth hat sie schon. Er macht formal äußerst sparsame und schlichte Bilder, die sich ohne viel Schnickschnack auf eine klare Aussage konzentrieren. So gewinnen selbst triste Motive, wie die Stadtbrücke in Guben oder eine Neubausiedlung in Schenkendorf eine transparente, leicht entrückte Aura.

Fontane war neugierig durch die Lande gezogen, um dann in seinen "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" ein weitsichtiges Panorama zu entwerfen, das bis auf den heutigen Tag der Identitätsfindung dient. Nur jammerschade, dass sein Buch nichts über die nahe und ferne Zukunft der Region verrät.

Kulturland Brandenburg e.V., Potsdam (Hrsg.):
Abbruch Umbruch Aufbruch. Regionale Baukultur in Brandenburg

Mit Fotos von Jürgen Hohmuth
Verlag Koehler & Amelang, Leipzig 2006
191 Seiten, 16.90 Euro