Mehr Väter braucht das Land

08.01.2013
Väter haben es heute schwer, meint Matthias Stiehler. Sie haben kein positives Rollenbild, was sie von ihren Vorfahren übernehmen können. Der Autor ruft zu einer aktiveren Vaterschaft auf, tut das zwar in leicht überzogenem Tonfall, aber trotzdem überzeugend.
"Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr". Die alte Volksweisheit gilt auch noch im Zeitalter der "Neuen Väter" wie der Dresdner Pädagoge und Psychologe Matthias Stiehler in seinem neuen Buch zeigt. Seine These: Es mangelt in unserer Gesellschaft zwar nicht an Vätern, aber an Väterlichkeit. Warum? Die alten Vatermodelle - der tyrannische, autoritäre Patriarch und der emotional distanzierte, abwesende Vater - funktionieren nicht mehr und niemand kann sie zurückwollen, aber der sogenannte "neue Vater" definiert sich vor allem negativ. Er will eben nicht so sein wie der eigene Vater.

Eine positive Vorstellung von Väterlichkeit fehlt - ganz anders als bei der Mütterlichkeit, die als liebevolle Fürsorge auch heute noch hoch im Kurs steht. Im Resultat orientieren sich die Väter vor allem an ihren Frauen und werden für ihre Kinder zu einer Mischung aus "Mutter und Spielkamerad". Aber eben nicht zu wirklichen Vätern.

Das aber ist - Stiehler zufolge - nicht nur für die Familien und die Kinder katastrophal, sondern auch für die Gesellschaft im Ganzen, die sich insgesamt zu sehr am Ideal einer grenzenlos, fürsorglichen Mutter orientiert - von der Arbeitswelt über die Sozialarbeit bis hin zum Rechtssystem: Nirgends finde man eine entschiedene väterliche Aufforderung zur Eigenverantwortung, überall die Erwartung mütterlicher Fürsorge, so der Autor.

Väterlichkeit muss als eigenständige Aufgabe verstanden werden, wie Stiehler im zweiten Teil seines Buches verlangt. Der Vater tritt als dritte Kraft hinzu und bricht die (allzu) enge Bindung von Mutter und Kind auf, er fordert und fördert die Eigenständigkeit des Kindes, vermittelt Realität, Lebenssinn und Verantwortungsbewusstsein, und setzt Grenzen. Damit ist die Vaterrolle durchaus eine unbequeme. Man muss sich auch unbeliebt machen dabei.
Die Eigenschaften guter Väterlichkeit, die Stiehler dringend anmahnt, wirken zwar recht traditionell, aber er will nicht einfach das Rad zurückdrehen. Gleichberechtigung setzt er selbstverständlich voraus, sein Buch geht nicht reaktionär gegen feministische Forderungen nach gleicher Beteiligung von Männern und Frauen an der Erziehungsarbeit vor, sondern es ist der wohlgemeinte und verdienstvolle Versuch, sich auch aus Männerperspektive mit den Herausforderungen der gegenwärtigen Gesellschaft zu beschäftigen. Eine Perspektive, die in den Debatten häufig immer noch zu kurz kommt.

Selbst wenn man mit manchen von Matthias Stiehlers konservativeren Vorstellungen nicht einverstanden sein sollte, etwa mit seiner Überzeugung, dass nur biologische Väter die Vaterrolle wirklich ausfüllen können, seine Überlegungen zu den gesellschaftlichen Problemen, die sich aus einer Überbetonung des Prinzips Fürsorge und einer Vernachlässigung des Prinzips Verantwortung ergeben, sind lesenswert. Dem tut auch der leicht überzogen alarmistische Tonfall keinen Abbruch. Auch wenn unsere "väterlose" Gesellschaft noch nicht ganz so krass am Abgrund stehen sollte, wie der Autor behauptet: Hilfreiche Überlegungen zu Erziehung und gesellschaftlicher Verantwortung kann sie trotzdem gut gebrauchen.

Besprochen von Catherine Newmark

Matthias Stiehler: "Väterlos. Eine Gesellschaft in der Krise"
Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2012
192 Seiten, 19,99 Euro
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