Mehr Sicherheit wagen
Die Bandbreite des Sicherheitsdenkens in unserer Gesellschaft ist groß; sie schließt die Bedrohung durch terroristische Anschläge ebenso ein wie den Klimawandel, die Hochrisikotechnologien, Massenvernichtungswaffen, Krankheitserreger oder den Sozialstaat. Und auch das Verständnis von Sicherheit verändert sich. In Zeiten des Kalten Krieges galten andere Gewichtungen als heute fünf Jahre nach dem 11. September.
Die Frage ist, ob unsere Gesellschaft in einen Konflikt steuert zwischen ihrem liberalen Anspruch und der Kontrolle sozialer Freiräume oder ob gesunder Bürgersinn und eine aufgeklärte Risikowahrnehmung weiterhin wirkungsvolle Antworten sein können auf die Gefahrenherde der Zukunft.
Karl Valentin möchte sein kleines Haus verkaufen und Lisl Karlstadt, eine Interessentin, fragt ihn…
"Kaufen Sie sich dann wieder ein neues Haus? – Niemals mehr! Ich suche ein altes tausend Meter tiefes Bergwerk zu mieten. – Und das wollen Sie dann bewohnen? – Selbstverständlich. – Das ist ja unheimlich! – Schon, aber sicher! – Vor wem? – Vor Meteorsteinen. – Aber Meteorsteine sind doch ganz selten . – Schon, aber bei mir geht die Sicherheit über die Seltenheit."
"Oh, wenn mein Haus von einem Meteoriten getroffen wird, das wäre ja ein ganz erstaunlicher Vorfall, also das ist ja kaum zu glauben."
Wenn aber doch, kann die Versicherungsexpertin Katrin Rüter de Escobar jeden beruhigen, der ähnliche Befürchtungen hegt wie dieser überängstliche Hausverkäufer …
"Da ist wie bei anderen Phänomen auch durch eine Gebäudeversicherung mit Elementarschadenschutz mein Haus durchaus gesichert. Also ich kann mein Haus mit Hilfe der Versicherung – so unwahrscheinlich dieser Fall auch sein wird – genauso wieder aufbauen wie nach einem Feuer."
Vorausgesetzt, dass ich mich nicht gerade im falschen Moment darin aufgehalten habe. Ein existenzielles Risiko bleibt jederzeit bestehen, selbst wenn man bereit ist aufs Ganze zu gehen …
"Ich suche ein altes tausend Meter tiefes Bergwerk zu mieten."
… und dabei selbst vor höheren Mächten …
"… vor Meteorsteinen …"
… nicht kapituliert. Man muss Opfer bringen.
Opfer wofür?
"Sicherheit ist ein Catch-all-Begriff …"
… erläutert der Politikwissenschaftler Herfried Münkler, der an einem Forschungsvorhaben arbeitet , das unter der Bezeichnung security and risk, Sicherheit und Risiko, unterschiedliche Disziplinen in einem wissenschaftlichen Cluster zusammenführen will.
"Es gibt ja die Überlegung, dass der Übergang von der Vormoderne zur Moderne zu begreifen ist als die Transformation von Gefahr in Risiko. Dass also Gefahr nicht mehr etwas ist, was auf mich zukommt, von mir unbeherrschbar, für mich unverfügbar, sondern dass es das Ergebnis einer Entscheidung ist, die ich selber treffe, etwas worauf ich mich einlasse."
Vorausgesetzt, ich überblicke es und kann das Risiko kalkulieren. Schon die Teilnahme am Straßenverkehr ist eines, erst recht ein Fallschirmsprung, Börsengeschäfte oder die Gründung einer Firma.
"Nun sind wir aber doch vielleicht seit – ich möchte mal Tschernobyl hier erwähnen – in einer Situation, wo wir die Vorstellung haben, das sind möglicherweise doch keine Risiken mehr, auf die ich mich einlasse, sondern denen wir einer Gefahr im Sinne der Unverfügbarkeit ausgesetzt sind."
Keinem Vulkanausbruch, wohlgemerkt, sondern einer Kraftwerkskatastrophe. Sie mag ein Beleg dafür sein, dass das Gefährdungspotenzial bereits im Prozess der Zivilisation angelegt ist, darauf …
"… dass wir immer mehr Steuerungsfähigkeit und Beherrschbarkeitskompetenz bekommen. Auf der anderen Seite aber haben wir zunehmend die Erfahrung gemacht, dass mit dem Maß unserer Eingriffe in die Natur, die(se) sich dem auch entzieht. Denken Sie zum Beispiel an die Mutationen von bestimmten Erregern von Krankheiten, die dann sich seuchenartig ausbreiten, die ja nicht etwas sind, was so aus der Natur in Anführungszeichen kommt, sondern Reaktionen von Natur auf intensivierte menschliche Eingriffe darstellen."
Es ist deshalb mehr als nur eine Randnotiz, wenn die Versicherungswirtschaft, die für Krankheiten ebenso aufkommen muss wie für die Folgen von Überschwemmungen oder Stürmen, um Ursachenbekämpfung bemüht ist. Vor allem bezogen auf die Rückversicherer gibt es, wie Katrin Rüter behauptet …
"… kaum Institutionen, die so stark Forschungsarbeiten vorantreiben zum Klimawandel, weil sie wissen, dass gerade sie das Ansteigen der Schäden durch extreme Klimaphänomene tragen müssen."
Man mag sich deshalb ein wenig die Augen reiben, wenn man hört …
"Sicher werden diese Versicherer zu Ökologen oder, wenn man so will, zu Kämpfern für ökologische Ziele."
Einsicht ist schließlich unbezahlbar. Unabhängig nun von möglichen Risikofeldern – und es scheint, als würden ständig welche hinzukommen, neuerdings etwa die Nanotechnologie und deren unabsehbare Folgen für die biologische Sicherheit, bedingt durch das Einatmen kleinster chemischer Partikel in Betrieb oder Haushalt –, unabhängig davon aber stellt sich allgemein die Frage …
"Wie reagieren Gesellschaften darauf? Reagieren sie, weil sie sich Illusionen über das Ausmaß möglicher Sicherheit machen darauf hysterisch, wenn etwas auftritt? Wie weit sind wir tolerant so etwas hinzunehmen als gewissermaßen unerwünschtes, aber unvermeidliches Beiprodukt? Sollen wir die Finger lassen von bestimmten Entdeckungen und Entwicklungen? All das ist ein Thema."
Und deshalb soll "Sicherheit" in Herfried Münklers Projekt nicht nur in ihrer großen Themenbreite, sondern gerade auch in ihrer begrifflichen Tiefe erfasst werden. Dabei geht es auch um etwas …
"… was wir im Deutschen mit dem Begriff Gewissheit fassen. Also wir sind uns sicher, dass… Sicherheiten bezüglich dessen, was Zukunft enthält. Wir haben die Vorstellung, dass Sicherheit sowohl hinsichtlich der Imagination von Sicherheit als auch hinsichtlich der Arrangements, die in der Gesellschaft getroffen werden, von der Art, wie man sein Leben versichert bis hin zu den Erwartungen, die man hat, wie Zukunft sein wird, ist – also ein sehr breit angelegter Begriff."
Zumal einer, der zu unterschiedlichen Zeiten auch unterschiedliche Vorstellungen hervorruft.
"Also in erster Linie ist in der Zeit unmittelbar nach dem Krieg, unmittelbar nach 1945, aber noch weit in die 50er Jahre hinein der Begriff der Sicherheit etwas ganz Individuelles."
Eckart Conze, Historiker aus Marburg, lässt den Begriff der Sicherheit im Rahmen der bundesrepublikanischen Geschichte Revue passieren. Nach den Verunsicherungen, nach gewaltigen persönlichen Verlusten, Luftschutzkeller und Flüchtlingselend geht es in der Stunde Null zunächst um das Dach über dem Kopf und eine Mahlzeit auf dem Teller. Jeder scheint sich selbst der Nächste, definiert Sicherheit als Garantie nur überhaupt weiterleben zu können. Mit dem Einsetzen des Wirtschaftswunders freilich wandeln sich die Bedürfnisse, muss zunehmend wieder materieller Reichtum verteidigt werden.
"Das spiegelt sich ja auch wieder sehr schnell im politischen Leben, wenn Sie an die berühmten Wahlkampfparolen der späten 50er Jahre denken: ‚Keine Experimente!’, ‚Sicher ist sicher’, das artikuliert das ja in ganz hervorragender Weise. Keine Veränderung, Stabilisierung des Erreichten, der Ausbau, die Erweiterung der sozialen Sicherungssysteme. Ganz besonders wichtig in diesem Kontext beispielsweise 1957 die Einführung der dynamischen Rente und damit erstmals nicht nur in der deutschen Geschichte die Beseitigung des Problems der Altersarmut."
Leben also hat wieder eine Perspektive, eine Zukunftsgewissheit. Auch wenn der Glaube an einen ungebremsten Aufschwung in den 60er Jahren einen kurzzeitigen Dämpfer erfährt, bereits 1967 wird ein Stabilitäts- und Wachstumsgesetz verabschiedet, so, als ließe sich der gern beschworene "Wohlstand für alle" von Staats wegen festschreiben.
"Das Interessante an den 60er Jahren ist ja eher eine Entwicklung, in der man glaubt, und zwar in der Politik, auch weit verbreitet in der Gesellschaft, diese Sicherheit lasse sich in gewisser Weise nicht nur stabilisieren, sondern es gebe auch so was wie eine Zukunftssicherheit. Gepaart natürlich mit einem unglaublichen Fortschrittsoptimismus. Und da ist die Spannung zwischen dem Establishment und den 68ern gar nicht so groß. Deren Gesellschaftskritik zielte in viel stärkerem Maße auf die Stabilität der 50er Jahre, der Sicherheit im Sinne von gut bürgerlich, behäbiger, sich stark auch am Materiellen orientierender Sicherheit."
Der Gedanke eines geschichtlichen Fortschritts ist ohnehin fest in den Anschauungen der Studentenbewegung verankert. In der DDR, wo der Sozialismus "real" existiert, ist Fortschritt gleichsam zur Staatsdoktrin geworden, sollen die soziale und die wirtschaftliche Entwicklung planmäßig gestaltet werden. Wer’s nicht glaubt, wer widerspricht, wer stört, fällt der Staatssicherheit zum Opfer. Als im Westen die Ära Willy Brandt begonnen hat, gab es, meint Eckart Conze …
"… eine sehr interessante Wendung, gerade auch im Umgang mit dem Ziel Sicherheit zu schaffen."
Jetzt nämlich lautet die Formel: Nur durch Veränderung lässt sich langfristig Sicherheit schaffen.
"Das ist die fast dialektische Wendung im Umgang mit dem Sicherheitsbegriff. Die Reformagenda der Ära Brandt ist nur vor dem Hintergrund zu erklären, dass man eben noch immer glaubt, diese Zukunft ließe sich planen, ließe sich auch mit immer reicheren Mitteln gestalten. Und das ist dann was, was schon nach wenigen Jahren, 1973/74 – Ölpreiskrise, Ölpreisschock, Grenzen des Wachstums, Endlichkeit von Ressourcen – in den Köpfen der Handelnden wie eine Seifenblase zerplatzt."
Der NATO-Nachrüstungsbeschluss vom Dezember ’79, maßgeblich angestoßen vom damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt, spiegelt die veränderte Mentalität auf militärischem Gebiet wider. Man zieht sich in seine Wagenburg zurück, will das nunmehr Erreichte durch Abgrenzung nach außen sichern. Auch in den 80er Jahren, die von der Kanzlerschaft Helmut Kohls geprägt sind, dominiert noch das Wohlstandsversprechen.
"Norbert Blüm: ‚Die Renten sind sicher’ ist der beste Ausdruck dieser Politik. Es gibt im Grunde sogar die Hoffnung, gerade mit Blick auf die soziale Sicherung, die Dividenden der Einheit würden die Stabilisierung beziehungsweise die Revitalisierung der sozialen Sicherungssysteme ermöglichen. Stichwort ‚blühende Landschaften’."
Ein Wort, das im Zeichen einer fortschreitenden Globalisierung nach falschem Pathos klingt. Das hat, meint Herfried Münkler, auch damit etwas zu tun, dass das alte Selbstverständnis der Politik nicht mehr schlüssig ist.
"Also dass im Prinzip die Staaten die Herren des Verhältnisses von Sicherheit und Freiheit waren. Wenn wir nun sehen, dass mit transnationalen Wirtschaftsstrukturen, andererseits dem Aufkommen politisch handlungsfähiger Akteure, die nicht Staaten sind, nicht Regierungsorganisationen, das Feld sich diversifiziert hat, dann hat sich die Frage auch nach der Herstellung und Verfügbarmachung von Sicherheit und dem Maß von Risiken dramatisiert. Die neue Aufmerksamkeit für Sicherheit und Risiko ist auch eine Reaktion darauf, dass sich die Rahmenbedingungen für Gesellschaft, für Politik, für Militär, für Polizei, für Geheimdienste, was auch immer, natürlich auch für den Sozialstaat, der ja auch ein großer Produzent von Sicherheit gewesen ist, verändert haben. Und in gewisser Weise verhandeln wir gesellschaftlich zur Zeit neu, wie wir diese drei Punkte Sicherheit, Freiheit, Risiko justieren wollen."
"Und vor diesem Hintergrund wachsen dem Staat neue Aufgaben, neue Verantwortlichkeiten und natürlich auch neue Legitimationen zu. Was wir erleben, ist ja auch ein Bedeutungsverlust des Staates in den Prozessen beispielsweise der Globalisierung. Insofern befinden wir uns in einer Situation, in der neue Anforderungen auf den Staat zukommen und nicht zuletzt "dem Staat" das Wort geredet wird, aber andererseits dieser Staat auch an politischen Handlungsmöglichkeiten verliert, weil er nicht mehr Herr der Sicherheit ist, weil Sicherheit sich eben nicht mehr in dem Sinne territorial fassen lässt, wie das eben noch vor hundert oder hundertfünfzig Jahren der Fall gewesen war."
Im Juli 2006 findet in Karlsruhe eine mehrtägige Konferenz zur Sicherheitsforschung unter regierungsamtlicher Schirmherrschaft statt. Überraschend ist sicherlich nicht, dass dabei verschiedene Experten aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft zusammenkommen, sondern dass es die erste Konferenz dieser Art auf nationaler Ebene ist. Offenbar findet inzwischen ein verstärktes Nachdenken darüber statt, wie man einer auf Dauerrisiko geschalteten Gesellschaft begegnen kann. Wie man überhaupt noch eine Entwicklung lenken kann, die den klassischen Handlungsmöglichkeiten der Politik allmählich zu entgleiten scheint. Wenn die Berliner Politologin Astrid Lorenz feststellt…
"Es ist immer mehr integriert worden in das Sicherheitskonzept."
… dann bezieht sie sich auf politische Rhetorik, die vorgaukelt alles unter Kontrolle zu haben, indem sie Namen aus dem Ärmel zieht wie Reaktor-, Daten-, Umweltsicherheit und so weiter.
"Das geht heute ein in unsere Wahrnehmung von Sicherheit …"
… und man muss die Frage stellen, ob nicht deshalb so viel Unsicherheit verbreitet ist, weil wir unser Leben zu sehr unter Sicherheitsaspekten betrachten.
"Wir leben eigentlich so sicher, wie wir nie gelebt haben. Aber unsere Erwartung daran, wie sicher es noch sein soll, und zwar in verschiedenen Dimensionen, sozialer Dimension, Umwelt und eben auch als Abwehr von äußeren Gefahren an Leib und Leben, das macht es für die Politik, objektiv betrachtet, ganz schwierig, da dann nicht so expansiv zu reagieren, wie sie reagiert. Wenn die Erwartungen so hoch sind, warum sollte sie sich selbst so stark einschränken?"
Und so hilft es sicher wenig zu wissen …
"…dass die glücklichsten Menschen in Europa in Albanien leben. Die haben ’nen Bürgerkrieg hinter sich, großes Leid erlitten, jede Familie, und da wird ein geringes Maß an Sicherheit schon als was ganz Positives aufgefasst."
Wir leben – zum Glück – in keiner Nachkriegszeit mehr, aber gerade die wachsenden Sicherheitserwartungen können unserem Glück im Wege stehen. Müssen wir gar am Ende noch verzweifeln, weil wir erkennen, dass unsere Erwartungen gar nicht einzulösen sind?
"Das liegt vielleicht nicht einmal daran, dass Risiken zunehmen, aber die schlichte Tatsache ist ja doch die, dass unser Wissen, unsere Wahrnehmung von Unsicherheiten, Gefahren doch weiter wächst. Unser Informationsraum vergrößert sich und gleichzeitig bleiben unsere Handlungsmöglichkeiten begrenzt."
Wir wissen, dass unser Wohlbefinden an dünnen Fäden hängt, die jederzeit reißen können. Nicht einfach so wie in fernen Zeiten, als man noch unmittelbar den Launen des Schicksals ausgesetzt war, sondern weil es bestimmten Personen gelingen kann alle technischen Schutzschilde zu durchdringen.
"Man hat schon in den 90er Jahren vor Bioterrorismus gewarnt und damals wurde es sehr skeptisch aufgenommen von großen Teilen der Fachöffentlichkeit."
Heinrich Maidhof ist Mitarbeiter der Informationsstelle des Bundes für die Biologische Sicherheit am Robert Koch Institut in Berlin.
"Biologische Sicherheit wird gebraucht für gentechnisch veränderte Organismen, das bedeutet die Sicherheit, die diesen Organismen innewohnen muss."
In zunehmendem Maße freilich ist jener andere Begriff ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten.
"Der Bioterrorismus war ein Thema für einige wenige; viele haben einfach gesagt, das ist illusorisch, das wird es nicht geben, und wir sind dann 2001 mit den Milzbrandbriefen doch eines Besseren – oder Schlechteren – belehrt worden. Man weiß auch nicht, was die nächsten Jahre an biotechnologischen Veränderungen bringen werden. Da es sehr unklar ist, aus welcher Richtung die Gefährdungen wirklich kommen, sind natürlich auch die Einschätzung der Möglichkeiten der Terroristen nicht sehr genau zu benennen."
Noch weniger kann man sich sicher sein, was da auf den Feuerstellen vermeintlicher Hexenküchen brodelt, sprich, welche bakteriologischen Möglichkeiten ausgeschöpft werden können, um in ein abgesichertes Netz von Vorsorgemaßnahmen einzudringen.
"Aber auch mit einfachen Stoffen kann man natürlich Schaden hervorrufen und kann Leute in Panik versetzen. Die Information, die man hat beispielsweise aus Afghanistan und dass dort Gruppierungen versucht haben biologische Stoffe herzustellen, legt nahe, dass dort nur sehr rudimentäre Kenntnisse vorhanden waren."
Aber die Geister, die man vor Zeiten einmal geweckt hat, wird man jetzt vielleicht gar nicht mehr los.
"Also diese Befürchtung wurde ja mehrfach geäußert, insbesondere nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gab es dort sehr viele Wissenschaftler, die nicht mehr weiterbeschäftigt wurden aus dem militärisch-industriellen Komplex, und die Sowjetunion hat ja aktiv Biowaffenforschung betrieben, und man hat befürchtet, dass diese Wissenschaftler von terroristischen Gruppen abgeworben wurden. Mir ist nicht bekannt, dass dieses in größerem Umfang oder überhaupt passiert ist."
Das Robert Koch Institut, im ständigen Austausch mit Kriminalbehörden und Geheimdiensten wappnet diejenigen, die von Amts wegen Krisenmanagement betreiben, für einen Tag X – mit dem man tatsächlich rechnen muss?
"So ganz im luftleeren Raum ist das nicht. Ich glaube, dass wir schon Szenarien angehen, die ’ne gewisse Wahrscheinlichkeit haben, einfach aus den Möglichkeiten der Erreger. Wir überlegen uns natürlich, was könnten die Zielsetzungen der Terroristen sein. Wen könnten sie treffen wollen? Insofern denke ich schon, dass wir den richtigen Weg einschlagen und die Maßnahmen, die wir dagegen entwickeln, auch sinnvoll und richtig sind."
Ein Beispiel.
"Es gab vor einiger Zeit Berichte in amerikanischen Zeitschriften, dort wurde untersucht, wie Gift, Botulinumtoxin, ein sehr potentes bakterielles Gift, in die Milchversorgung eingebracht werden kann. Die Milch wird ja nur sehr kurzfristig erhitzt, die wird meistens auch gekühlt, dass sie sich gut hält, das sind alles Voraussetzungen, die den Giftstoffen eigentlich entgegenkommen, wo sie ihre Potenz und ihre Wirksamkeit erhalten. Und über die Verbreitung dieser Milchprodukte könnten sehr viele Leute betroffen werden. Das sind Überlegungen, dass man sagen muss, wie kann man diese Lebensmittel sicher machen, wie kann man verhindern, dass dort solche Gifte eingebracht werden? Wie kann man diese Milch auch länger erhitzen, dass diese Giftstoffe inaktiviert werden."
Das Einbringen von Botulinumtoxin in die Milchversorgung könnte bereits im Grammbereich mehrere hunderttausend Menschen vergiften. Man muss freilich festhalten, dass mit einem solchen Vorhaben ein enormer Geld- und Zeitaufwand verbunden wäre. Das ist auch der Grund gewesen, weshalb die japanische Aum-Sekte einen entsprechenden Plan wieder hat fallen lassen und stattdessen einen Giftgasanschlag in der Tokioter U-Bahn durchgeführt hat. Mit chemischen Giften lässt es sich leichter hantieren.
"Wenn ich durch einen Terroranschlag zu Schaden komme, wird meine Unfall-, meine Kapitallebensversicherung, meine Risikolebensversicherung natürlich auch greifen. Aber das Risiko Terroranschläge zu versichern oder die Folgen, die das nach sich zieht, da hat sich ja auch einiges geändert: Also Schäden über 25 Millionen Euro durch Terroranschläge werden seit einiger Zeit von einem Spezialversicherer versichert – das betrifft natürlich die Industrie. Das Risiko ist sehr schwer kalkulierbar."
Nach der Feuer- nun die Terrorversicherung?
Hat denn dieser in Wort und Bild allgegenwärtige Terrorismus unsere Risikowahrnehmung tatsächlich entscheidend verändert? Astrid Lorenz ist skeptisch.
"Es gibt die Theorie des Broken Window, dass eine zerbrochene Fensterscheibe in unserem Kietz, aber besonders im eigenen Haus, bei manchem Bürger das Unsicherheitsgefühl stärkt. Und dieses Muster lässt sich auch beobachten auf einer größeren Ebene. Ein Anschlag in London beschäftigt uns stärker als ein Anschlag in Afghanistan oder im Irak. Ich würde sagen, zusätzlich ist noch wichtig: Gibt es Bilder von diesem Anschlag? Gibt es Bilder von Opfern, die eingefangen wurden, die uns oft sehr stark anrühren? Und das verändert unsere Wahrnehmung von Bedrohung ganz stark."
Im Umgang mit ihr gibt es offenbar über allen Medienhype hinweg noch einen weiteren, seltener angesprochenen Gesichtspunkt.
"Weil jemand, der gebildet ist Gefahren leichter einschätzen kann, kennt eher die Hintergründe und kann besser kalkulieren, wie groß ist jetzt die Gefahr für mich selber. Während jemand, der wenig Kenntnisse hat der Zusammenhänge und das sich nicht auch aus ’ner Zeitung so leicht rauslesen kann als jemand, der über mehr Bildung verfügt, viel stärker von Unsicherheitsgefühlen und Ängsten gezeichnet ist. Und das betrifft nicht nur Terrorismus, (es) betrifft alle möglichen Ängste. Also mit der Bildung sinkt tendenziell das Unsicherheitsgefühl."
Heinrich Maidhof bringt es auf eine griffige Formel, sagt …
"Es ist oft sehr hilfreich ganz einfache Hygieneprinzipien ins Bewusstsein zu rufen: Beispielsweise die Sinnhaftigkeit von Händewaschen, dass man sich gründlich die Hände wäscht."
Umsicht und Gelassenheit sind die vordringlichen Eigenschaften im Umgang mit Gefahren. Aber allzu rasch – siehe Antiterrorgesetze, siehe aber auch die flächendeckenden Maßnahmen zum Schutz gegen BSE oder Vogelgrippe – beginnt sich eine unglückselige Spirale zu drehen, soll mit immer stärkeren Einschränkungen immer mehr Sicherheit erzeugt werden. Unterschlägt ein solches Denken nicht notwendigerweise das, was eigentlich sicherer gemacht werden soll?
"Man kann Sicherheit nicht schätzen ohne Freiheit; dann kann man sie nicht nutzen."
Zugleich aber, meint Herfried Münkler …
"… müssen wir uns auch darüber verständigen, wie viel Freiheit wir haben wollen, wenn wir damit Elemente von Unsicherheit tolerieren müssen, oder inwieweit wir Sicherheit begreifen als Voraussetzung von Freiheit, etwa dass bei uns nicht jeder einen Revolver permanent bei sich tragen darf."
Das dürfte in der Tat kaum wünschbar sein. Gängeleien im Zeichen der Sicherheit – im Luftverkehr sind sie längst zur Gewohnheit geworden – vertragen sich nicht mit Lebensqualität. Irgendwann ist das Maß voll.
"Individuell merkt das der Bürger, wenn er mal selber betroffen ist. Die wenigsten sind aber durch diese umfassenden Sicherheitsmaßnahmen spürbar betroffen. Man sollte auch abgehen von der Vorstellung, die Politik verschwöre sich jetzt gegen die Gesellschaft und wolle alle entmündigen. Es gibt ja schon konkrete Anlässe – die Antiterrorismus oder Antikriminalitätsgesetzgebung. Insgesamt habe ich meine Zweifel, ob der Gesellschaft so klar ist, was da stattfindet."
Wenn Politik für die Gesellschaften, für die sie steht, (um sie) wirklich effektiv schützen zu wollen, auf Mechanismen zurückgreifen muss, die eigentlich nicht typisch sind für Demokratie, also keine Offenheit, Repressionen, dann ist das natürlich auch etwas, was die Werte dieser Gesellschaft bedroht und auf lange Sicht auch wieder das Selbstverständnis der Bürger.
Die Bundesrepublik Deutschland gilt unabhängig von der Zusammensetzung ihrer jeweiligen Regierung als wesentlicher Antreiber in Sachen europäischer Sicherheitspolitik, zuletzt etwa bei der Einführung biometrischer Ausweise. Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Staat, im Bestreben die Freiheiten seiner Bürger zu sichern mehr und mehr zum Krisenmanager mutiert und dabei Gefahr läuft, das Kind mit dem Bade auszuschütten.
"Theoretisch ja, aber in der Praxis hatten wir fast immer ’ne Gegenbewegung. Man darf nicht vergessen, dass wir ’ne starke juristische Kontrollinstanz haben mit dem Bundesverfassungsgericht. Ansonsten muss man aber sagen, dass die Gewöhnung an Terrorismus auch nicht immer dazu führt, dass einseitig nach Sicherheitsmaßnahmen verlangt wird. Es ist eher beobachtbar, dass ein höheres Maß an Sicherheit auch zu größerer gefühlter Unsicherheit führt."
Ein Wursthersteller wirbt mit dem Slogan "Sicherheit – Qualität – Transparenz". Letztere dient der Sicherheit und Qualität bemisst sich erst an diesen beiden. Hat man die betreffende Wurst in der Hand, unterscheidet sie sich kaum von den Würsten anderer Hersteller, allenfalls dadurch, dass ihr ein besonderes Versprechen beigemengt ist. Reicht es, wenn man uns einlullt?
"Im Grund funktioniert die Demokratie nur deshalb so gut, weil es nicht so viel Bürgerbeteiligung gibt. Im Bereich der Sicherheitspolitik fällt das natürlich besonders auf; denn wenn Sie eine Sicherheitspolitik fahren möchten, die zu spürbaren Ergebnissen führt, dann ist es so, dass sie die etwas intransparent gestalten müssen."
Kriminalität, die Bedrohung von Leib und Leben, wie sie selbst die Schwelle einiger deutscher Schulen überschritten hat, macht die Polizei mobil. Aber kann sie noch ausreichend Schutz gewähren?
"Das sind ja neue Dimensionen eines Sicherheitsproblems, in denen durchaus auch über Separierung und Ghettoisierung geredet und nachgedacht wird, und zwar unter der Überschrift Öffentliche Sicherheit. Wir mögen in Vielem noch entfernt sein von Zuständen, wie man sie zum Teil in den USA findet, aber bestimmte Problemlagen existieren bei uns, sind auch nicht wegzudiskutieren."
Und könnten, mag man ergänzend hinzufügen, etwa dazu führen, dass ganze Straßen zu privaten Zonen erklärt und von Wachdiensten abgesichert werden. Astrid Lorenz jedenfalls widerspricht, meint…
"Ich sehe die Gefahr, dass eine Art Burgfrieden entsteht in westlichen Gesellschaften. Dass sich die Gesellschaften zugunsten kollektiver Sicherheit, so wie sie es wahrnehmen, selbst Sicherheitsmaßnahmen auferlegen, die auch in Bürgerrechte eingreifen, um sich nach außen hin zu schützen. Nämlich gegenüber dieser anderen Kultur. Da wird dann Mobilität von Menschen eher als Bedrohung wahrgenommen. Es ist eigentlich ein hohes Gut von Demokratie, dass man sich frei bewegen kann, wird plötzlich mit Bezug auf eine andere Region der Welt als problematisch wahrgenommen."
Umgekehrt kann eine Bedrohung von außen auch zu einer größeren Selbstgewissheit führen, also zur Einsicht darüber, dass Demokratie nicht in Zement gegossen werden darf, sondern Offenheit demonstrieren muss. Sicherheit ist und bleibt eine relative Größe, relativ zur Freiheit, die sie zu garantieren hilft.
"Grundsätzlich glaube ich nicht, dass dieses Thema so viel neues Potenzial hat uns zu reizen. Und das ist ja für Politik wichtig: Dass sie Themen entwickeln oder erkennen, die uns fesseln, die uns motivieren Politiker oder Parteien zu wählen."
Und was dann dabei herauskommt, ist ja schon Risiko genug.
Karl Valentin möchte sein kleines Haus verkaufen und Lisl Karlstadt, eine Interessentin, fragt ihn…
"Kaufen Sie sich dann wieder ein neues Haus? – Niemals mehr! Ich suche ein altes tausend Meter tiefes Bergwerk zu mieten. – Und das wollen Sie dann bewohnen? – Selbstverständlich. – Das ist ja unheimlich! – Schon, aber sicher! – Vor wem? – Vor Meteorsteinen. – Aber Meteorsteine sind doch ganz selten . – Schon, aber bei mir geht die Sicherheit über die Seltenheit."
"Oh, wenn mein Haus von einem Meteoriten getroffen wird, das wäre ja ein ganz erstaunlicher Vorfall, also das ist ja kaum zu glauben."
Wenn aber doch, kann die Versicherungsexpertin Katrin Rüter de Escobar jeden beruhigen, der ähnliche Befürchtungen hegt wie dieser überängstliche Hausverkäufer …
"Da ist wie bei anderen Phänomen auch durch eine Gebäudeversicherung mit Elementarschadenschutz mein Haus durchaus gesichert. Also ich kann mein Haus mit Hilfe der Versicherung – so unwahrscheinlich dieser Fall auch sein wird – genauso wieder aufbauen wie nach einem Feuer."
Vorausgesetzt, dass ich mich nicht gerade im falschen Moment darin aufgehalten habe. Ein existenzielles Risiko bleibt jederzeit bestehen, selbst wenn man bereit ist aufs Ganze zu gehen …
"Ich suche ein altes tausend Meter tiefes Bergwerk zu mieten."
… und dabei selbst vor höheren Mächten …
"… vor Meteorsteinen …"
… nicht kapituliert. Man muss Opfer bringen.
Opfer wofür?
"Sicherheit ist ein Catch-all-Begriff …"
… erläutert der Politikwissenschaftler Herfried Münkler, der an einem Forschungsvorhaben arbeitet , das unter der Bezeichnung security and risk, Sicherheit und Risiko, unterschiedliche Disziplinen in einem wissenschaftlichen Cluster zusammenführen will.
"Es gibt ja die Überlegung, dass der Übergang von der Vormoderne zur Moderne zu begreifen ist als die Transformation von Gefahr in Risiko. Dass also Gefahr nicht mehr etwas ist, was auf mich zukommt, von mir unbeherrschbar, für mich unverfügbar, sondern dass es das Ergebnis einer Entscheidung ist, die ich selber treffe, etwas worauf ich mich einlasse."
Vorausgesetzt, ich überblicke es und kann das Risiko kalkulieren. Schon die Teilnahme am Straßenverkehr ist eines, erst recht ein Fallschirmsprung, Börsengeschäfte oder die Gründung einer Firma.
"Nun sind wir aber doch vielleicht seit – ich möchte mal Tschernobyl hier erwähnen – in einer Situation, wo wir die Vorstellung haben, das sind möglicherweise doch keine Risiken mehr, auf die ich mich einlasse, sondern denen wir einer Gefahr im Sinne der Unverfügbarkeit ausgesetzt sind."
Keinem Vulkanausbruch, wohlgemerkt, sondern einer Kraftwerkskatastrophe. Sie mag ein Beleg dafür sein, dass das Gefährdungspotenzial bereits im Prozess der Zivilisation angelegt ist, darauf …
"… dass wir immer mehr Steuerungsfähigkeit und Beherrschbarkeitskompetenz bekommen. Auf der anderen Seite aber haben wir zunehmend die Erfahrung gemacht, dass mit dem Maß unserer Eingriffe in die Natur, die(se) sich dem auch entzieht. Denken Sie zum Beispiel an die Mutationen von bestimmten Erregern von Krankheiten, die dann sich seuchenartig ausbreiten, die ja nicht etwas sind, was so aus der Natur in Anführungszeichen kommt, sondern Reaktionen von Natur auf intensivierte menschliche Eingriffe darstellen."
Es ist deshalb mehr als nur eine Randnotiz, wenn die Versicherungswirtschaft, die für Krankheiten ebenso aufkommen muss wie für die Folgen von Überschwemmungen oder Stürmen, um Ursachenbekämpfung bemüht ist. Vor allem bezogen auf die Rückversicherer gibt es, wie Katrin Rüter behauptet …
"… kaum Institutionen, die so stark Forschungsarbeiten vorantreiben zum Klimawandel, weil sie wissen, dass gerade sie das Ansteigen der Schäden durch extreme Klimaphänomene tragen müssen."
Man mag sich deshalb ein wenig die Augen reiben, wenn man hört …
"Sicher werden diese Versicherer zu Ökologen oder, wenn man so will, zu Kämpfern für ökologische Ziele."
Einsicht ist schließlich unbezahlbar. Unabhängig nun von möglichen Risikofeldern – und es scheint, als würden ständig welche hinzukommen, neuerdings etwa die Nanotechnologie und deren unabsehbare Folgen für die biologische Sicherheit, bedingt durch das Einatmen kleinster chemischer Partikel in Betrieb oder Haushalt –, unabhängig davon aber stellt sich allgemein die Frage …
"Wie reagieren Gesellschaften darauf? Reagieren sie, weil sie sich Illusionen über das Ausmaß möglicher Sicherheit machen darauf hysterisch, wenn etwas auftritt? Wie weit sind wir tolerant so etwas hinzunehmen als gewissermaßen unerwünschtes, aber unvermeidliches Beiprodukt? Sollen wir die Finger lassen von bestimmten Entdeckungen und Entwicklungen? All das ist ein Thema."
Und deshalb soll "Sicherheit" in Herfried Münklers Projekt nicht nur in ihrer großen Themenbreite, sondern gerade auch in ihrer begrifflichen Tiefe erfasst werden. Dabei geht es auch um etwas …
"… was wir im Deutschen mit dem Begriff Gewissheit fassen. Also wir sind uns sicher, dass… Sicherheiten bezüglich dessen, was Zukunft enthält. Wir haben die Vorstellung, dass Sicherheit sowohl hinsichtlich der Imagination von Sicherheit als auch hinsichtlich der Arrangements, die in der Gesellschaft getroffen werden, von der Art, wie man sein Leben versichert bis hin zu den Erwartungen, die man hat, wie Zukunft sein wird, ist – also ein sehr breit angelegter Begriff."
Zumal einer, der zu unterschiedlichen Zeiten auch unterschiedliche Vorstellungen hervorruft.
"Also in erster Linie ist in der Zeit unmittelbar nach dem Krieg, unmittelbar nach 1945, aber noch weit in die 50er Jahre hinein der Begriff der Sicherheit etwas ganz Individuelles."
Eckart Conze, Historiker aus Marburg, lässt den Begriff der Sicherheit im Rahmen der bundesrepublikanischen Geschichte Revue passieren. Nach den Verunsicherungen, nach gewaltigen persönlichen Verlusten, Luftschutzkeller und Flüchtlingselend geht es in der Stunde Null zunächst um das Dach über dem Kopf und eine Mahlzeit auf dem Teller. Jeder scheint sich selbst der Nächste, definiert Sicherheit als Garantie nur überhaupt weiterleben zu können. Mit dem Einsetzen des Wirtschaftswunders freilich wandeln sich die Bedürfnisse, muss zunehmend wieder materieller Reichtum verteidigt werden.
"Das spiegelt sich ja auch wieder sehr schnell im politischen Leben, wenn Sie an die berühmten Wahlkampfparolen der späten 50er Jahre denken: ‚Keine Experimente!’, ‚Sicher ist sicher’, das artikuliert das ja in ganz hervorragender Weise. Keine Veränderung, Stabilisierung des Erreichten, der Ausbau, die Erweiterung der sozialen Sicherungssysteme. Ganz besonders wichtig in diesem Kontext beispielsweise 1957 die Einführung der dynamischen Rente und damit erstmals nicht nur in der deutschen Geschichte die Beseitigung des Problems der Altersarmut."
Leben also hat wieder eine Perspektive, eine Zukunftsgewissheit. Auch wenn der Glaube an einen ungebremsten Aufschwung in den 60er Jahren einen kurzzeitigen Dämpfer erfährt, bereits 1967 wird ein Stabilitäts- und Wachstumsgesetz verabschiedet, so, als ließe sich der gern beschworene "Wohlstand für alle" von Staats wegen festschreiben.
"Das Interessante an den 60er Jahren ist ja eher eine Entwicklung, in der man glaubt, und zwar in der Politik, auch weit verbreitet in der Gesellschaft, diese Sicherheit lasse sich in gewisser Weise nicht nur stabilisieren, sondern es gebe auch so was wie eine Zukunftssicherheit. Gepaart natürlich mit einem unglaublichen Fortschrittsoptimismus. Und da ist die Spannung zwischen dem Establishment und den 68ern gar nicht so groß. Deren Gesellschaftskritik zielte in viel stärkerem Maße auf die Stabilität der 50er Jahre, der Sicherheit im Sinne von gut bürgerlich, behäbiger, sich stark auch am Materiellen orientierender Sicherheit."
Der Gedanke eines geschichtlichen Fortschritts ist ohnehin fest in den Anschauungen der Studentenbewegung verankert. In der DDR, wo der Sozialismus "real" existiert, ist Fortschritt gleichsam zur Staatsdoktrin geworden, sollen die soziale und die wirtschaftliche Entwicklung planmäßig gestaltet werden. Wer’s nicht glaubt, wer widerspricht, wer stört, fällt der Staatssicherheit zum Opfer. Als im Westen die Ära Willy Brandt begonnen hat, gab es, meint Eckart Conze …
"… eine sehr interessante Wendung, gerade auch im Umgang mit dem Ziel Sicherheit zu schaffen."
Jetzt nämlich lautet die Formel: Nur durch Veränderung lässt sich langfristig Sicherheit schaffen.
"Das ist die fast dialektische Wendung im Umgang mit dem Sicherheitsbegriff. Die Reformagenda der Ära Brandt ist nur vor dem Hintergrund zu erklären, dass man eben noch immer glaubt, diese Zukunft ließe sich planen, ließe sich auch mit immer reicheren Mitteln gestalten. Und das ist dann was, was schon nach wenigen Jahren, 1973/74 – Ölpreiskrise, Ölpreisschock, Grenzen des Wachstums, Endlichkeit von Ressourcen – in den Köpfen der Handelnden wie eine Seifenblase zerplatzt."
Der NATO-Nachrüstungsbeschluss vom Dezember ’79, maßgeblich angestoßen vom damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt, spiegelt die veränderte Mentalität auf militärischem Gebiet wider. Man zieht sich in seine Wagenburg zurück, will das nunmehr Erreichte durch Abgrenzung nach außen sichern. Auch in den 80er Jahren, die von der Kanzlerschaft Helmut Kohls geprägt sind, dominiert noch das Wohlstandsversprechen.
"Norbert Blüm: ‚Die Renten sind sicher’ ist der beste Ausdruck dieser Politik. Es gibt im Grunde sogar die Hoffnung, gerade mit Blick auf die soziale Sicherung, die Dividenden der Einheit würden die Stabilisierung beziehungsweise die Revitalisierung der sozialen Sicherungssysteme ermöglichen. Stichwort ‚blühende Landschaften’."
Ein Wort, das im Zeichen einer fortschreitenden Globalisierung nach falschem Pathos klingt. Das hat, meint Herfried Münkler, auch damit etwas zu tun, dass das alte Selbstverständnis der Politik nicht mehr schlüssig ist.
"Also dass im Prinzip die Staaten die Herren des Verhältnisses von Sicherheit und Freiheit waren. Wenn wir nun sehen, dass mit transnationalen Wirtschaftsstrukturen, andererseits dem Aufkommen politisch handlungsfähiger Akteure, die nicht Staaten sind, nicht Regierungsorganisationen, das Feld sich diversifiziert hat, dann hat sich die Frage auch nach der Herstellung und Verfügbarmachung von Sicherheit und dem Maß von Risiken dramatisiert. Die neue Aufmerksamkeit für Sicherheit und Risiko ist auch eine Reaktion darauf, dass sich die Rahmenbedingungen für Gesellschaft, für Politik, für Militär, für Polizei, für Geheimdienste, was auch immer, natürlich auch für den Sozialstaat, der ja auch ein großer Produzent von Sicherheit gewesen ist, verändert haben. Und in gewisser Weise verhandeln wir gesellschaftlich zur Zeit neu, wie wir diese drei Punkte Sicherheit, Freiheit, Risiko justieren wollen."
"Und vor diesem Hintergrund wachsen dem Staat neue Aufgaben, neue Verantwortlichkeiten und natürlich auch neue Legitimationen zu. Was wir erleben, ist ja auch ein Bedeutungsverlust des Staates in den Prozessen beispielsweise der Globalisierung. Insofern befinden wir uns in einer Situation, in der neue Anforderungen auf den Staat zukommen und nicht zuletzt "dem Staat" das Wort geredet wird, aber andererseits dieser Staat auch an politischen Handlungsmöglichkeiten verliert, weil er nicht mehr Herr der Sicherheit ist, weil Sicherheit sich eben nicht mehr in dem Sinne territorial fassen lässt, wie das eben noch vor hundert oder hundertfünfzig Jahren der Fall gewesen war."
Im Juli 2006 findet in Karlsruhe eine mehrtägige Konferenz zur Sicherheitsforschung unter regierungsamtlicher Schirmherrschaft statt. Überraschend ist sicherlich nicht, dass dabei verschiedene Experten aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft zusammenkommen, sondern dass es die erste Konferenz dieser Art auf nationaler Ebene ist. Offenbar findet inzwischen ein verstärktes Nachdenken darüber statt, wie man einer auf Dauerrisiko geschalteten Gesellschaft begegnen kann. Wie man überhaupt noch eine Entwicklung lenken kann, die den klassischen Handlungsmöglichkeiten der Politik allmählich zu entgleiten scheint. Wenn die Berliner Politologin Astrid Lorenz feststellt…
"Es ist immer mehr integriert worden in das Sicherheitskonzept."
… dann bezieht sie sich auf politische Rhetorik, die vorgaukelt alles unter Kontrolle zu haben, indem sie Namen aus dem Ärmel zieht wie Reaktor-, Daten-, Umweltsicherheit und so weiter.
"Das geht heute ein in unsere Wahrnehmung von Sicherheit …"
… und man muss die Frage stellen, ob nicht deshalb so viel Unsicherheit verbreitet ist, weil wir unser Leben zu sehr unter Sicherheitsaspekten betrachten.
"Wir leben eigentlich so sicher, wie wir nie gelebt haben. Aber unsere Erwartung daran, wie sicher es noch sein soll, und zwar in verschiedenen Dimensionen, sozialer Dimension, Umwelt und eben auch als Abwehr von äußeren Gefahren an Leib und Leben, das macht es für die Politik, objektiv betrachtet, ganz schwierig, da dann nicht so expansiv zu reagieren, wie sie reagiert. Wenn die Erwartungen so hoch sind, warum sollte sie sich selbst so stark einschränken?"
Und so hilft es sicher wenig zu wissen …
"…dass die glücklichsten Menschen in Europa in Albanien leben. Die haben ’nen Bürgerkrieg hinter sich, großes Leid erlitten, jede Familie, und da wird ein geringes Maß an Sicherheit schon als was ganz Positives aufgefasst."
Wir leben – zum Glück – in keiner Nachkriegszeit mehr, aber gerade die wachsenden Sicherheitserwartungen können unserem Glück im Wege stehen. Müssen wir gar am Ende noch verzweifeln, weil wir erkennen, dass unsere Erwartungen gar nicht einzulösen sind?
"Das liegt vielleicht nicht einmal daran, dass Risiken zunehmen, aber die schlichte Tatsache ist ja doch die, dass unser Wissen, unsere Wahrnehmung von Unsicherheiten, Gefahren doch weiter wächst. Unser Informationsraum vergrößert sich und gleichzeitig bleiben unsere Handlungsmöglichkeiten begrenzt."
Wir wissen, dass unser Wohlbefinden an dünnen Fäden hängt, die jederzeit reißen können. Nicht einfach so wie in fernen Zeiten, als man noch unmittelbar den Launen des Schicksals ausgesetzt war, sondern weil es bestimmten Personen gelingen kann alle technischen Schutzschilde zu durchdringen.
"Man hat schon in den 90er Jahren vor Bioterrorismus gewarnt und damals wurde es sehr skeptisch aufgenommen von großen Teilen der Fachöffentlichkeit."
Heinrich Maidhof ist Mitarbeiter der Informationsstelle des Bundes für die Biologische Sicherheit am Robert Koch Institut in Berlin.
"Biologische Sicherheit wird gebraucht für gentechnisch veränderte Organismen, das bedeutet die Sicherheit, die diesen Organismen innewohnen muss."
In zunehmendem Maße freilich ist jener andere Begriff ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten.
"Der Bioterrorismus war ein Thema für einige wenige; viele haben einfach gesagt, das ist illusorisch, das wird es nicht geben, und wir sind dann 2001 mit den Milzbrandbriefen doch eines Besseren – oder Schlechteren – belehrt worden. Man weiß auch nicht, was die nächsten Jahre an biotechnologischen Veränderungen bringen werden. Da es sehr unklar ist, aus welcher Richtung die Gefährdungen wirklich kommen, sind natürlich auch die Einschätzung der Möglichkeiten der Terroristen nicht sehr genau zu benennen."
Noch weniger kann man sich sicher sein, was da auf den Feuerstellen vermeintlicher Hexenküchen brodelt, sprich, welche bakteriologischen Möglichkeiten ausgeschöpft werden können, um in ein abgesichertes Netz von Vorsorgemaßnahmen einzudringen.
"Aber auch mit einfachen Stoffen kann man natürlich Schaden hervorrufen und kann Leute in Panik versetzen. Die Information, die man hat beispielsweise aus Afghanistan und dass dort Gruppierungen versucht haben biologische Stoffe herzustellen, legt nahe, dass dort nur sehr rudimentäre Kenntnisse vorhanden waren."
Aber die Geister, die man vor Zeiten einmal geweckt hat, wird man jetzt vielleicht gar nicht mehr los.
"Also diese Befürchtung wurde ja mehrfach geäußert, insbesondere nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gab es dort sehr viele Wissenschaftler, die nicht mehr weiterbeschäftigt wurden aus dem militärisch-industriellen Komplex, und die Sowjetunion hat ja aktiv Biowaffenforschung betrieben, und man hat befürchtet, dass diese Wissenschaftler von terroristischen Gruppen abgeworben wurden. Mir ist nicht bekannt, dass dieses in größerem Umfang oder überhaupt passiert ist."
Das Robert Koch Institut, im ständigen Austausch mit Kriminalbehörden und Geheimdiensten wappnet diejenigen, die von Amts wegen Krisenmanagement betreiben, für einen Tag X – mit dem man tatsächlich rechnen muss?
"So ganz im luftleeren Raum ist das nicht. Ich glaube, dass wir schon Szenarien angehen, die ’ne gewisse Wahrscheinlichkeit haben, einfach aus den Möglichkeiten der Erreger. Wir überlegen uns natürlich, was könnten die Zielsetzungen der Terroristen sein. Wen könnten sie treffen wollen? Insofern denke ich schon, dass wir den richtigen Weg einschlagen und die Maßnahmen, die wir dagegen entwickeln, auch sinnvoll und richtig sind."
Ein Beispiel.
"Es gab vor einiger Zeit Berichte in amerikanischen Zeitschriften, dort wurde untersucht, wie Gift, Botulinumtoxin, ein sehr potentes bakterielles Gift, in die Milchversorgung eingebracht werden kann. Die Milch wird ja nur sehr kurzfristig erhitzt, die wird meistens auch gekühlt, dass sie sich gut hält, das sind alles Voraussetzungen, die den Giftstoffen eigentlich entgegenkommen, wo sie ihre Potenz und ihre Wirksamkeit erhalten. Und über die Verbreitung dieser Milchprodukte könnten sehr viele Leute betroffen werden. Das sind Überlegungen, dass man sagen muss, wie kann man diese Lebensmittel sicher machen, wie kann man verhindern, dass dort solche Gifte eingebracht werden? Wie kann man diese Milch auch länger erhitzen, dass diese Giftstoffe inaktiviert werden."
Das Einbringen von Botulinumtoxin in die Milchversorgung könnte bereits im Grammbereich mehrere hunderttausend Menschen vergiften. Man muss freilich festhalten, dass mit einem solchen Vorhaben ein enormer Geld- und Zeitaufwand verbunden wäre. Das ist auch der Grund gewesen, weshalb die japanische Aum-Sekte einen entsprechenden Plan wieder hat fallen lassen und stattdessen einen Giftgasanschlag in der Tokioter U-Bahn durchgeführt hat. Mit chemischen Giften lässt es sich leichter hantieren.
"Wenn ich durch einen Terroranschlag zu Schaden komme, wird meine Unfall-, meine Kapitallebensversicherung, meine Risikolebensversicherung natürlich auch greifen. Aber das Risiko Terroranschläge zu versichern oder die Folgen, die das nach sich zieht, da hat sich ja auch einiges geändert: Also Schäden über 25 Millionen Euro durch Terroranschläge werden seit einiger Zeit von einem Spezialversicherer versichert – das betrifft natürlich die Industrie. Das Risiko ist sehr schwer kalkulierbar."
Nach der Feuer- nun die Terrorversicherung?
Hat denn dieser in Wort und Bild allgegenwärtige Terrorismus unsere Risikowahrnehmung tatsächlich entscheidend verändert? Astrid Lorenz ist skeptisch.
"Es gibt die Theorie des Broken Window, dass eine zerbrochene Fensterscheibe in unserem Kietz, aber besonders im eigenen Haus, bei manchem Bürger das Unsicherheitsgefühl stärkt. Und dieses Muster lässt sich auch beobachten auf einer größeren Ebene. Ein Anschlag in London beschäftigt uns stärker als ein Anschlag in Afghanistan oder im Irak. Ich würde sagen, zusätzlich ist noch wichtig: Gibt es Bilder von diesem Anschlag? Gibt es Bilder von Opfern, die eingefangen wurden, die uns oft sehr stark anrühren? Und das verändert unsere Wahrnehmung von Bedrohung ganz stark."
Im Umgang mit ihr gibt es offenbar über allen Medienhype hinweg noch einen weiteren, seltener angesprochenen Gesichtspunkt.
"Weil jemand, der gebildet ist Gefahren leichter einschätzen kann, kennt eher die Hintergründe und kann besser kalkulieren, wie groß ist jetzt die Gefahr für mich selber. Während jemand, der wenig Kenntnisse hat der Zusammenhänge und das sich nicht auch aus ’ner Zeitung so leicht rauslesen kann als jemand, der über mehr Bildung verfügt, viel stärker von Unsicherheitsgefühlen und Ängsten gezeichnet ist. Und das betrifft nicht nur Terrorismus, (es) betrifft alle möglichen Ängste. Also mit der Bildung sinkt tendenziell das Unsicherheitsgefühl."
Heinrich Maidhof bringt es auf eine griffige Formel, sagt …
"Es ist oft sehr hilfreich ganz einfache Hygieneprinzipien ins Bewusstsein zu rufen: Beispielsweise die Sinnhaftigkeit von Händewaschen, dass man sich gründlich die Hände wäscht."
Umsicht und Gelassenheit sind die vordringlichen Eigenschaften im Umgang mit Gefahren. Aber allzu rasch – siehe Antiterrorgesetze, siehe aber auch die flächendeckenden Maßnahmen zum Schutz gegen BSE oder Vogelgrippe – beginnt sich eine unglückselige Spirale zu drehen, soll mit immer stärkeren Einschränkungen immer mehr Sicherheit erzeugt werden. Unterschlägt ein solches Denken nicht notwendigerweise das, was eigentlich sicherer gemacht werden soll?
"Man kann Sicherheit nicht schätzen ohne Freiheit; dann kann man sie nicht nutzen."
Zugleich aber, meint Herfried Münkler …
"… müssen wir uns auch darüber verständigen, wie viel Freiheit wir haben wollen, wenn wir damit Elemente von Unsicherheit tolerieren müssen, oder inwieweit wir Sicherheit begreifen als Voraussetzung von Freiheit, etwa dass bei uns nicht jeder einen Revolver permanent bei sich tragen darf."
Das dürfte in der Tat kaum wünschbar sein. Gängeleien im Zeichen der Sicherheit – im Luftverkehr sind sie längst zur Gewohnheit geworden – vertragen sich nicht mit Lebensqualität. Irgendwann ist das Maß voll.
"Individuell merkt das der Bürger, wenn er mal selber betroffen ist. Die wenigsten sind aber durch diese umfassenden Sicherheitsmaßnahmen spürbar betroffen. Man sollte auch abgehen von der Vorstellung, die Politik verschwöre sich jetzt gegen die Gesellschaft und wolle alle entmündigen. Es gibt ja schon konkrete Anlässe – die Antiterrorismus oder Antikriminalitätsgesetzgebung. Insgesamt habe ich meine Zweifel, ob der Gesellschaft so klar ist, was da stattfindet."
Wenn Politik für die Gesellschaften, für die sie steht, (um sie) wirklich effektiv schützen zu wollen, auf Mechanismen zurückgreifen muss, die eigentlich nicht typisch sind für Demokratie, also keine Offenheit, Repressionen, dann ist das natürlich auch etwas, was die Werte dieser Gesellschaft bedroht und auf lange Sicht auch wieder das Selbstverständnis der Bürger.
Die Bundesrepublik Deutschland gilt unabhängig von der Zusammensetzung ihrer jeweiligen Regierung als wesentlicher Antreiber in Sachen europäischer Sicherheitspolitik, zuletzt etwa bei der Einführung biometrischer Ausweise. Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Staat, im Bestreben die Freiheiten seiner Bürger zu sichern mehr und mehr zum Krisenmanager mutiert und dabei Gefahr läuft, das Kind mit dem Bade auszuschütten.
"Theoretisch ja, aber in der Praxis hatten wir fast immer ’ne Gegenbewegung. Man darf nicht vergessen, dass wir ’ne starke juristische Kontrollinstanz haben mit dem Bundesverfassungsgericht. Ansonsten muss man aber sagen, dass die Gewöhnung an Terrorismus auch nicht immer dazu führt, dass einseitig nach Sicherheitsmaßnahmen verlangt wird. Es ist eher beobachtbar, dass ein höheres Maß an Sicherheit auch zu größerer gefühlter Unsicherheit führt."
Ein Wursthersteller wirbt mit dem Slogan "Sicherheit – Qualität – Transparenz". Letztere dient der Sicherheit und Qualität bemisst sich erst an diesen beiden. Hat man die betreffende Wurst in der Hand, unterscheidet sie sich kaum von den Würsten anderer Hersteller, allenfalls dadurch, dass ihr ein besonderes Versprechen beigemengt ist. Reicht es, wenn man uns einlullt?
"Im Grund funktioniert die Demokratie nur deshalb so gut, weil es nicht so viel Bürgerbeteiligung gibt. Im Bereich der Sicherheitspolitik fällt das natürlich besonders auf; denn wenn Sie eine Sicherheitspolitik fahren möchten, die zu spürbaren Ergebnissen führt, dann ist es so, dass sie die etwas intransparent gestalten müssen."
Kriminalität, die Bedrohung von Leib und Leben, wie sie selbst die Schwelle einiger deutscher Schulen überschritten hat, macht die Polizei mobil. Aber kann sie noch ausreichend Schutz gewähren?
"Das sind ja neue Dimensionen eines Sicherheitsproblems, in denen durchaus auch über Separierung und Ghettoisierung geredet und nachgedacht wird, und zwar unter der Überschrift Öffentliche Sicherheit. Wir mögen in Vielem noch entfernt sein von Zuständen, wie man sie zum Teil in den USA findet, aber bestimmte Problemlagen existieren bei uns, sind auch nicht wegzudiskutieren."
Und könnten, mag man ergänzend hinzufügen, etwa dazu führen, dass ganze Straßen zu privaten Zonen erklärt und von Wachdiensten abgesichert werden. Astrid Lorenz jedenfalls widerspricht, meint…
"Ich sehe die Gefahr, dass eine Art Burgfrieden entsteht in westlichen Gesellschaften. Dass sich die Gesellschaften zugunsten kollektiver Sicherheit, so wie sie es wahrnehmen, selbst Sicherheitsmaßnahmen auferlegen, die auch in Bürgerrechte eingreifen, um sich nach außen hin zu schützen. Nämlich gegenüber dieser anderen Kultur. Da wird dann Mobilität von Menschen eher als Bedrohung wahrgenommen. Es ist eigentlich ein hohes Gut von Demokratie, dass man sich frei bewegen kann, wird plötzlich mit Bezug auf eine andere Region der Welt als problematisch wahrgenommen."
Umgekehrt kann eine Bedrohung von außen auch zu einer größeren Selbstgewissheit führen, also zur Einsicht darüber, dass Demokratie nicht in Zement gegossen werden darf, sondern Offenheit demonstrieren muss. Sicherheit ist und bleibt eine relative Größe, relativ zur Freiheit, die sie zu garantieren hilft.
"Grundsätzlich glaube ich nicht, dass dieses Thema so viel neues Potenzial hat uns zu reizen. Und das ist ja für Politik wichtig: Dass sie Themen entwickeln oder erkennen, die uns fesseln, die uns motivieren Politiker oder Parteien zu wählen."
Und was dann dabei herauskommt, ist ja schon Risiko genug.