Mehr Schutz gegen Prostitution und Misshandlung

Mechthild Maurer im Gespräch mit Andreas Müller · 13.08.2009
Opfer von Kinderprostitution und Kinderhandel werden in Deutschland nach Ansicht der Geschäftsführerin der Kinderschutzorganisation ECPAT, Mechtild Maurer, nur unzureichend betreut und unterstützt. Deutschland habe bei der Opferhilfe in diesem Bereich große Defizite.
Andreas Müller: Es ist eine gewaltige Zahl und eine bedrückende zudem. Rund drei Millionen Kinder sind nach einer Schätzung der Vereinten Nationen derzeit weltweit Opfer von Prostitution, Pornografie und Menschenhandel. Und der Horror findet nicht etwa nur in fernen Ländern statt, sondern auch direkt bei uns vor der Haustür.

Die UN-Kinderrechtskonvention gegen Kinderhandel, Kinderprostitution und Kinderpornografie will den Verbrechen an Kindern entgegentreten, und das schon seit dem Jahr 2000. Mitte Juli ist nun auch Deutschland als eines der letzten Länder in Europa einem Zusatzprotokoll der Konvention beigetreten. Am kommenden Samstag tritt es in Kraft.

In Freiburg begrüße ich jetzt Mechthild Maurer, sie ist die Geschäftsführerin der Kinderschutzorganisation ECPAT in Deutschland, und das ist eine Arbeitsgemeinschaft zum Schutz, insbesondere zum Schutz von Kindern gegen sexuelle Ausbeutung. Tag, Frau Maurer!

Mechthild Maurer: Guten Tag, Herr Müller!

Müller: Wo lag denn das Problem, warum ist Deutschland diesem bereits im Jahr 2000 verabschiedeten Protokoll, mit dem Kinder besser geschützt werden, erst jetzt beigetreten?

Maurer: Ja, für die Regierung hatte das Problem lange Zeit keine Wichtigkeit. Man sah das Problem Kinderhandel oder Kinderprostitution in erster Linie noch in fernen Ländern und dass man etwas tun müsste im Rahmen der Entwicklungshilfe. Aber man erkannte es nicht als ein Problem, das mitten unter uns ist. Lange Zeit hatte man ja auch Kinderpornografie unterschätzt.

Müller: Was ändert sich denn nun durch dieses Zusatzprotokoll?

Maurer: Das Zusatzprotokoll legt eine Reihe von Maßnahmen fest, die den gesetzgeberischen Rahmen betreffen, die aber auch Opferhilfemaßnahmen betreffen und Präventionsmaßnahmen, Aufklärung in der Öffentlichkeit. Für uns sind gerade die Opferhilfemaßnahmen ein Bereich, wo Deutschland ein großes Defizit immer noch vorzuweisen hat.

Müller: Was bedeutet das, was geschieht da nicht, was woanders vielleicht schon passiert?

Maurer: Zunächst muss man wissen, dass lange Zeit Deutschland Kinderhandel nur als Problem begriff, wenn es vom Ausland nach Deutschland oder durch Deutschland hindurch. Heute wissen wir, dass viele Kinder auch hier leben, mit Migrationshintergrund oder mit einem deutschen Hintergrund und die von diesem Verbrechen betroffen sind.

Für diese Kinder gibt es bis heute unzureichende Schutzmaßnahmen. Es gibt keine Anlaufstellen, die speziell für diese Kinder sind, es gibt kein klares Verfahren, wie sie geschützt werden können in Gerichtsprozessen zum Beispiel – wir haben nur Maßnahmen für Erwachsene. Da werden dann die Kinder drunter gefasst, aber unser Staat hat ja auch mit unterschrieben, dass Kinder oder Menschen bis 18 Jahren ein besonderer Schutz zukommen muss. Und der zweite Bereich, Opferschutz: Im Bereich der Kinderpornografie haben wir höchstens zehn Prozent der Opfer identifiziert.

Müller: Das ist natürlich auch eine Geschichte, was gerade die Kinder mit Migrationshintergrund angeht, dass da natürlich auch das Ausländergesetz eine Rolle spielt. Also die sind ja häufig auch von Abschiebung bedroht, oder?

Maurer: Ja, das ist weiterhin ein schreckliches Vorgehen, dass wir diese Kinder einfach nicht so umfassend schützen können. Jetzt im Protokoll, im Zusatzprotokoll, steht ganz klar drin, dass alle Kinder, unabhängig ihres Aufenthaltsstatus’, bis 18 Jahren Opferschutzmaßnahmen erhalten müssen. Und dann können diese Kinder nicht mehr abgeschoben werden, wenn sie zum Beispiel in der Prostitution aufgegriffen werden, und dann sind sie schneller im Ausland, bis eine Beratungsstelle oder eine Kinderschutzorganisation ihnen Hilfe anbieten kann.

Müller: Sollen, können, werden – ist das jetzt alles mehr als Willensbekundung, was da unterschrieben wurde beziehungsweise am Samstag in Kraft tritt? Also, wie lange, glauben Sie, wird es dauern, bis sich da wirklich was ändert?

Maurer: Also es wird sich relativ schnell etwas ändern müssen, weil innerhalb von zwei Jahren das UN-Komitee für Kinderrechte den ersten Bericht einfordert, und in diesem Bericht da müssen klare Fortschritte benannt werden gegenüber dem Ist-Zustand. Und der Vorteil der späten Unterschrift oder späten Ratifizierung ist, dass wir aus anderen europäischen Ländern wissen, dass das Komitee sehr wohl Druck auf die Regierungen ausübt und nach Einhalt der Berichte sehr klare Maßnahmen fordert und das auch sehr stark in der Öffentlichkeit in den jeweiligen europäischen Staaten diskutiert wurde. Also dann kann man sich nicht mehr verstecken, sondern muss hier aktiv werden.

Und da sehe ich schon auch die Chance da drin. Der erste Anfang wurde ja gemacht mit der 16. Sexualstrafrechtsreform Ende letzten Jahres, bei dem zum einen auch einige Schutzaltersgrenzen nach oben verschoben wurden. Wir hatten ja bei Kinderpornografie oder auch bei Kinderhandel haben wir immer noch Schutzaltersgrenzen, die international nicht akzeptabel waren, und das wurde auch durch diese Sexualstrafreform geändert.

Müller: Können Sie, Frau Maurer, vergleichen mit anderen Ländern, die schon länger dieses Protokoll ratifiziert haben und wo es schon länger in Kraft getreten ist – hat sich dort im Kampf gegen Kinderhandel, Kinderpornografie und Prostitution entscheidend etwas verbessert?

Maurer: Also wenn ich sehe, wo wir vor allem den Nachholbedarf haben, dann denke ich schon, gerade was die internationale Zusammenarbeit anbelangt – das ist ja auch einer der Artikel im Zusatzprotokoll – da haben wir viele Modelle, die schon umgesetzt wurden in anderen europäischen Ländern, die auch erfolgreicher hier sowohl Opferidentifizierung betreiben, Opferschutzmaßnahmen wie auch Strafverfolgung. Da denke ich schon, dass einiges möglich ist.

Zum Beispiel in Großbritannien haben wir ein Kompetenzcenter, das sich von Polizei, von Jugendschutzbehörden, Sozialbehörden, NGOs, die sich gemeinsam um Kinderhandel einsetzen und dann jeder an der Stelle, wo er mit dem Opfer und dem Betroffenen in Kontakt tritt – und das ist natürlich viel erfolgreicher, als wenn wir diese Einzelkämpferstrategien verfolgen, die wir da noch in Deutschland haben. Wir haben ein einziges Bundesland in Deutschland, das ein Schwerpunktdezernat Kinderhandel hat, das muss man sich mal vorstellen.

Müller: Welches ist das?

Maurer: Berlin.

Müller: In Berlin. Im Deutschlandradio Kultur spreche ich mit Mechthild Maurer. Sie ist die Geschäftsführerin der Kinderschutzorganisation ECPAT in Deutschland. Am kommenden Samstag tritt auch bei uns ein Zusatzprotokoll der UN-Kinderrechtskonvention in Kraft, durch das Kinder insbesondere vor sexueller Gewalt besser geschützt sein sollen.

Frau Maurer, problematisch sind die Zahlen. Es gibt immer nur Schätzungen, und auch für unser Land ist nicht völlig klar, wie viele Kinder tatsächlich bedroht oder eben konkret schon dieser Gewalt ausgesetzt sind. Können Sie Zahlen nennen?

Maurer: Ja, da wären wir froh, wenn wir endlich Zahlen hätten, aber die deutsche Kriminalstatistik gibt das nicht her. Zum anderen hatten wir in der Vergangenheit das Delikt nur, wenn es bei Kinderhandel um ausländische, also wenn es vom Ausland ins Inland über Grenzen hinweg ein Straftatbestand war. Zum anderen wurde es in der Kriminalstatistik überhaupt nicht erfasst. Da gibt es die Kennziffer oder gab es die Kennziffer nur, sexueller Missbrauch, und das gibt es natürlich dann nicht her.

Das andere ist, es ist ein Kontrolldelikt, nur wenn die Polizei auch wirklich ermittelt, haben wir auch ein Helffeld, dann finden wir Fälle. Und das muss sich einfach ändern. Und von daher wäre ich froh, wenn hier die Politik und vor allem das Innenministerium einen Schritt weiter ginge und hier Zahlen auch zur Verfügung stellen könnte.

Müller: Ich habe eben schon mal gesagt, man denkt ja immer, das sind – also wenn man das Wort Kinderhandel zum Beispiel hört, das ist etwas, was irgendwo weit weg in der Dritten Welt passiert – es passiert auch bei uns. Woher kommen diese Kinder und wer ist an diesem Handel beteiligt?

Maurer: Also es ist vielfältig. Wir haben natürlich viele Jugendliche, die selber in Situationen kamen aufgrund ungeschützter Situationen, die auf der Straße leben und/oder drogenabhängig sind und dann im Zuge dieser Situation auch in die Fänge von sogenannten Menschenhändlern kamen. Wir haben aber auch kleine Kinder, die in geschlossenen Netzwerken, sei es von Pädosexuellen benutzt und missbraucht werden. Das sind ganz unterschiedliche Bilder.

Wir haben, was sich jetzt zeigt beim Schwerpunktdezernat Berlin, viel mehr Jungen, als wir je davon ausgegangen sind in Deutschland, und die Jungen selber sehen sich auch noch nicht als Opfer. Das ist ein ganz langer Weg. Es gibt auch wenig oder in fast keinen Städten gibt es wirklich Anlaufstellen für Jungen, die da davon betroffen sind. Wir haben bisher in unzureichendem Maße auch Anlaufstellen für Mädchen, und da müssen wir einfach auch noch weiter schauen.

Also dieses Bild ist viel differenzierter. Wir haben's im Inland, das ist nicht immer so, dass es wirklich über die Grenzen hinweggeht. Wir haben einen Teil von Kindern, die auch im Asylbereich auftauchen und dann wieder abtauchen, wir wissen nicht wohin. Es gibt Aussagen von skandinavischen Ländern und von England, dass dort auch Kinder auftauchen, die auf dem Weg in die, auf ihrem Migrationsweg, dann auch in die Fänge von Menschenhändlern kommen.

Müller: Diesen und den Millionen anderen soll geholfen werden – seit Jahren schon mit der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, und es gibt ein Zusatzprotokoll, 2000 ist es verabschiedet worden, dem ist Deutschland nun auch beigetreten. Am kommenden Samstag tritt es in Kraft. Das war dazu Mechthild Maurer, die Geschäftsführerin der Kinderschutzorganisation ECPAT in Deutschland.