Mehr Mitbestimmung für Brasiliens Stadtbewohner

Moderation: Susanne Burg · 14.10.2013
Neben Venedig hat sich die Architektur-Biennale in Sao Paulo als wichtiges Ereignis in der Architekturwelt etabliert. Der Architekt Matthias Böttger hat Workshops organisiert zur Frage, wer heute Brasiliens Städte gestaltet und wie die Probleme im urbanen Brasilien gelöst werden können.
Susanne Burg: Bei Architekturbiennalen geht es längst nicht mehr nur darum, interessante Häuser zu zeigen, es geht auch um die großen Pläne für die Gesellschaft von morgen. Am Samstag ist in Sao Paulo die Zehnte Internationale Architekturbiennale eröffnet worden, und sie steht unter dem Motto "City – ways of making, ways of using". Erforscht werden soll hier also nicht nur, wie man Städte baut, sondern auch, wer sie nutzt und wie die Bürger ihre Städte kritisch und kreativ mitgestalten können.

Der Architekt Matthias Böttger hat den deutschen Beitrag zu dieser Architekturbiennale kuratiert. In Workshops in drei brasilianischen Städten, nämlich in Porto Alegre, in Curitiba und Salvador hat er Workshops organisiert, und teilgenommen haben brasilianische Aktivisten, Bewohner, Architekten und Experten. Gemeinsam haben sie die Probleme ihrer jeweiligen Stadt diskutiert und Antwort auf die Frage gesucht, wer sollte mitbestimmen dürfen und wie. Jetzt ist Matthias Böttger hier im Studio – guten Tag!

Matthias Böttger: Guten Tag!

Burg: Herr Böttger, wir müssen zum Anfang über Tische reden. Die Teilnehmer haben nämlich einen Tisch gebaut in Form des Buchstabens Ypsilon. An dem haben sie dann gesessen und diskutiert. Warum ein Ypsilon-förmiger Tisch?

Böttger: Der Y-Tisch ist eine Erfindung von Luis Berríos-Negrón und dem Kollektiv "The anxious prop". Und diesen Tisch gibt es schon seit ungefähr vier Jahren, glaub ich, war der erste, der gebaut wurde, und ich habe den dritten davon, einen sehr großen, im Jahr 2011 für das Deutsche Architekturforum erwerben können, oder wir haben ihn für mich gebaut, und seitdem machen wir dort Diskussionen, Ausstellungen, verschiedene Formate. Und der Tisch hat den Vorteil, dass man an einem Y-förmigen Tisch, also der hier in Berlin ist ungefähr acht mal sieben Meter groß, können ungefähr 30 Leute gut drum sitzen. Sie können miteinander reden wie an einem Round Table, sie können aber auch eine Art von Formation haben, wo in dem kleineren Teil des Ypsilons sehr gut eine Art Panel ist, und die anderen hören zu.

Und man kann an jedem Ende dieses Ypsilons eine kleine Gruppenarbeit machen und im Grunde durch nur Umdrehen auf dem Stuhl sich öffnen und schließen zwischen Gruppenarbeit und Gemeinschaft als Round Table. Und das ist insofern wichtig, weil wir oft Workshops machen, wo es nicht darum geht, zwei polare Gegensätze zu beschreiben, sondern oft auch die Diversität, dass es halt mehr als eine Lösung gibt. Und deshalb ist diese Idee, dass es immer drei Sachen gibt, also eigentlich immer eine Alternative zu den beiden Hauptgegensätzen, sehr wichtig für diese Arbeit. Und natürlich ist so ein Tisch erst mal nur eine formale Geschichte, und man könnte sicher auch an jedem anderen Tisch die gleichen Ideen haben, aber es führt dazu, dass Leute sich sofort mit diesem Gedanken anfreunden und auch hohe Motivation haben, daran neue Ideen zu entwickeln.

Burg: Nun ist ja in Brasilien ein großes Thema seit Monaten die WM, die nächstes Jahr stattfindet, die Fußball-WM. Die Lage in Brasilien ist angespannt, im Juni gab es Massenproteste gegen die Milliardenausgaben für die Fußball-WM. In Ihrem Projekt ging es bei dem Workshop in Porto Alegre auch um den Bau eines WM-Stadions, der ganz massive Folgen für die Anwohner hatte. Welche nämlich?

Böttger: Also, wir haben in jedem der Orte die Workshops mit lokalen Koordinatoren organisiert, die auch die lokalen Phänomene gekannt haben und auch Experten und Anwohner et cetera mit uns zusammenbringen konnten. In dem Fall war es Marcio D' Avila, der das gemacht hat, und es geht in der Tat um ein Stadion, das Stadion von Gremio, was kein WM-Stadion ist, komischerweise. Es wird ein anderes großes WM-Stadion in Porto Alegre gerade gebaut, das ist sozusagen der andere Verein, und es ist in Brasilien üblich, dass, wenn der eine Verein, weil WM ist, ein großes Stadion bekommt, der andere Verein auch eines braucht. Also, das ist in mehreren Städten Brasiliens so, dass es halt zwei riesige neue Stadien gebaut werden oder manchmal auch mehr.

Und in dem Fall ist es eben das Stadion von Gremio, und das liegt am nördlichen Rand von Porto Alegre, und neben diesem Stadion gibt es eine Siedlung, und dort haben wir uns mit Anwohnern getroffen, und auch in einer lokalen Organisation, die heißt "Astecom", wo die sich auch immer wieder treffen und sehr aktiv sind, und gemeinsam auch über Dinge sprechen, haben wir diesen Workshop abgehalten. Und interessant ist also, dieses Stadion wird gebaut, und es hat natürlich auch Vorteile, weil die zukünftigen Besucher dieses Stadions gehen auch in dieses Viertel, um dort ein Bier zu trinken oder ähnliche Dinge zu machen, also es ist eine – auch überhaupt wird das Viertel Teil der Stadt, weil man dadurch geht.

Gleichzeitig gibt es aber auch heftige Spekulation, weil es liegt auch nahe am Flughafen, dieses Viertel. Das Stadion ist direkt neben dem Flughafen, und es wäre eigentlich ein brauchbares Land auch für andere Developments, und deshalb werden direkt nebenan schon jetzt große Apartmenthäuser geplant, schon verkauft, obwohl man noch nichts sieht. Und es gibt da einen riesigen Highway, und auf der Straße daneben stehen aber noch die Pferde mit ihren Karren. Also wir haben da auch Bilder gemacht, wo einfach dieser große Kontrast zwischen lokaler Infrastruktur und so einer globalen Infrastruktur und Finance-Angelegenheit oder eben auch so einer Weltmeisterschaft ziemlich brutal aufeinandertrifft.

Und es gipfelte in dem Fall darin – jetzt kann man spekulieren, woran es liegt –, dass ein Teil abgebrannt ist und man heute noch durch die verkohlten Reste dieser Siedlung gehen kann. Ob das jetzt war, weil jemand sich gestritten hat oder weil jemand irgendwas umgefallen ist und dann das Feuer ausgegangen ist oder ob jemand das gelegt hat, wissen wir nicht so genau, aber interessant ist auf jeden Fall, dass das natürlich die Spekulation noch anfacht, was jetzt mit diesem Gelände passieren wird.

Burg: Es ist ja so, in den zwölf Austragungsorten der WM sind Schätzungen zufolge 250.000 Menschen aus ihren Häusern geräumt worden oder von Räumung bedroht. Wie sind die Mitglieder in dem Workshop mit diesem Problem umgegangen?

Böttger: Also die wissen das natürlich und kümmern sich auch darum, aber wir hatten jetzt keine direkt Betroffenen eigentlich. Also außer dass wir eben Leute hatten, die vorher in diesen nun abgebrannten Häusern gewohnt haben und dann umgesiedelt wurden in so Notunterkünfte, die aber auch vor Ort errichtet werden, die natürlich schon einen sehr niedrigen Standard von Wohnraum anbieten. Es war schon relativ bedrückend teilweise, wie die Leute da leben. Aber gleichzeitig muss man sagen, dass es erstaunlich ist, wie gleichzeitig diese Nachbarschaften doch, ohne das jetzt romantisieren zu wollen, aber wie gut sie doch zusammenhalten dort und auch zusammen was auf die Beine stellen können.

Burg: Am Samstag ist in Sao Paulo die Architekturbiennale eröffnet worden. Der deutsche Beitrag stammt von Matthias Böttger. Und da ging es in drei Workshops um die Frage, wer macht die Stadt? Herr Böttger, in einem zweiten Workshop in Salvador wurde diskutiert über die Rolle von Aktivisten und Demonstrationen in urbanen Veränderungsprozessen. Nun gab es ja diese großen Demonstrationen im Juni. Wie wurden die im Workshop diskutiert?

Böttger: Also sie waren kein so großer Bestandteil eigentlich der Workshops, weil das vielleicht auch eine Außenperspektive ist, dass wir die so wichtig nehmen, weil diese Aktivisten schon sehr lange daran arbeiten, für ihre Aufmerksamkeit zu erzielen und vielleicht auch von diesen großen Protesten so ein bisschen überrollt wurden und teilweise auch die Argumente, die da dann offenkundig wurden, nur einen kleinen Teil von dem ansprechen, was eigentlich alles passiert. Und da war ja zum Beispiel, was in Sao Paulo passiert ist, da gab es zwar in vielen Städten Proteste, das ist noch mal ein ganz anderer … mittlerweile gibt es ja diese Erhöhung der Bustickets und der Protest gegen die WM-Stadien und auch ein paar Gesetze, die in Brasilia dann doch nicht – also, nicht verabschiedet werden sollten und dann später doch verabschiedet worden sind. Das hatte, glaube ich, mit den lokalen aktivistischen Protesten in Salvador nicht so viel zu tun. Und ich weiß auch nicht, ob das jetzt eigentlich für die gut oder schlecht war. Natürlich hat es die Aufmerksamkeit darauf gezogen, aber gleichzeitig ist es vielleicht auch ein bisschen banalisiert worden, worum es dabei eigentlich geht.

Burg: Das heißt, was war dann in den Workshops Thema?

Böttger: Also, die haben sich vor allen Dingen um zwei Stadtteile von Salvador gedreht, das eine ist Dos de Julio und das andere Alagardos, und es ging darum eigentlich, wie diese Orte für die lokalen Bewohner erhalten bleiben können, weil vor allen Dingen Dos de Julio sich im Wandel befindet und auch dort zum Beispiel Hotelketten großes Interesse haben, dort auch Touristen unterzubringen, vor allen Dingen, weil Salvador, nachdem es lange Zeit nicht geklappt hat, seine Altstadt total renoviert hat und es mittlerweile eigentlich eine ziemliche, hauptsächlich Touristenattraktion ist und auch die Originalbewohner verschwunden sind. Und in diesem benachbarten, auch innerstädtischen Viertel Dos de Julio wollen sie das sehr gerne verhindern, und sie wollen halt selber – sie wollen gerne eine Erneuerung, aber sie wollen sie in ihrer Richtung und nicht so wie vielleicht manche Konzerne oder so das gerne hätten.

Burg: Nun haben Sie diese drei Workshops veranstaltet. Was passiert denn darüber hinaus mit den Erkenntnissen des Workshops? Gibt es denn konkrete Umsetzungsideen?

Böttger: Die wissen ja sehr gut lokal, was sie machen können, und da wollen wir uns eigentlich auch nicht einmischen, weil das wissen die viel besser als wir. Aber was wir als von außen kommend machen können, ist, wir können sozusagen eine Frage reinwerfen und auch für Deutschland vielleicht daraus was lernen. Und wir haben sie vor allen Dingen gefragt, wie sie sich eine längerfristige Perspektive vorstellen, weil natürlich sind viele der Probleme so, dass die sagen, ja, ich will nicht darüber nachdenken, was hier in 20, 30 Jahren ist, sondern ich will morgen, dass sich mein Leben verbessert.

Das ist ja eigentlich normal. Also das ist das, was Leute wollen. Und wir haben aber gefragt, ja, das ist so richtig, sollt ihr auch machen, aber wir würden trotzdem gerne mal mit euch darüber reden, wie könntet ihr euch denn vorstellen, was da rauskommt langfristig. Und deshalb haben wir an diesem Ypsilon-Tisch, der eben in Brasilien dreimal gebaut wurde, an jedem der Workshop-Orte haben wir mit der lokalen Community oder mit lokalen Studenten bei unterschiedlich – einen Tisch aus lokalen Materialien gebaut, und an dem haben sie sich dann, das war dann erst eine Phase, wo wir zwei, drei Tage daran gebaut haben und das auch schon ein Teil oft dieses Community Centers oder des Ortes wurde, wo wir die Veranstaltung gemacht haben.

Und dann haben wir uns so zusammengefunden und darüber nachgedacht, wie eben eine langfristige Zukunft aussehen könnte, und haben immer drei Szenarien mit drei Gruppen in diesem Workshop erarbeitet, und die Szenarien waren oft relativ drastisch und auch teilweise ein bisschen dystopisch, teilweise sehr positiv. Und dann haben wir aber überlegt, okay, jetzt habt ihr eine ferne Vorstellung. Hoffentlich hilft euch das, um auch für das Morgen und für die sehr kurzfristigen Fragen eine Vision zu haben, die man auch Politikern oder der Stadt gegenüber verteidigen kann.

Burg: Am Samstag ist in Sao Paulo die Zehnte Internationale Architekturbiennale eröffnet worden, und der Architekt Matthias Böttger hat den deutschen Beitrag kuratiert. Herr Böttger, vielen Dank für Ihren Besuch hier im Studio.

Böttger: Vielen Dank. Kommen Sie nach Sao Paulo!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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