Mehr Marionette als Mensch

Peter Nauten heißt der Held des Romans. Ein Sonderling, der in der Tanzstunde alleine tanzt - eine imaginäre Partnerin im Arm. Trotz aller Wunderlichkeit steckt in Nauten auch eine schimmernde Figur. Er hat eine Passion. Denn er, der alte Sprachen studierte, hat auf den Flügeln von Schmetterlingen Zeichen entdeckt, die der Linienschrift der Phönizier gleichen. Nauten - eine wunderbar schräge und desolate Figur.
Stefan aus dem Siepen hat nicht nur einen eigenwilligen Namen, er schreibt auch eigenwillige Bücher. "Luftschiff” hieß das erste und erzählte in gediegener Sprache die merkwürdige Reise eines Beamten in einem Zeppelin, der sich im Niemandsland verirrte.

Nun hat aus dem Siepen, Diplomat an der Botschaft in Moskau, wieder einen Sonderling erfunden, um die deutsche Nachkriegsgesellschaft aus dessen Blick und darin gespiegelt zu erzählen.

Peter Nauten heißt sein Held, der schon als Knabe im zweiten Schuljahr mit einem "sanften und gesammelten Ernst” auf Fragen der Lehrer antwortet. Der seinen Mitschülern fremd bleibt und eine "eigensinnige Lebensfreude” in sich trägt, die er auch gegen den zerstreuten Vater behauptet, einen erfolglosen Nervenarzt, und gegen die Mutter, fahrige Herrin einer fusselfreien Zone, in der die Kleinfamilie dahinlebt.

Peter Nauten ist einer, den man nicht ablehnt und nicht annimmt. Man übersieht ihn.
In der Tanzstunde beginnt er irgendwann, allein zu tanzen, eine imaginäre Partnerin im Arm - ein so schönes wie tristes Sinnbild seines Daseins.

Er taugt nicht zum bürgerlichen Leben, passt nicht in das strebsame Rudel auf dem hastigen Weg ins Wirtschaftswunder. Und ist doch keineswegs ein Rebell. Nur auf ungelenke Weise er selbst.

In dieser liebenswert wunderlichen Figur des Peter Nauten, die so weltfern und störrisch durch das nach Normalität gierende Nach-Nazi-Deutschland tappt, hat Stefan aus dem Siepen das Gegenbild zu den normierten Anpassern und geschmeidigen Aufsteigern gemalt, die die Mehrheit sind, also das Richtmaß. Doch vor dem Hintergrund dieses eigentümlich entrückten Mannes wird Normalität eine ziemlich schale Angelegenheit. Und menschlich wahrlich nicht beglückend.

Stefan aus dem Siepen hat für seine Geschichten einen ganz eigenen, einen unzeitgemäßen Ton gefunden. Eine genaue Sprache, bedächtig, altmodisch. Das tut wohl. Ein Autor, der seine Worte nicht rotzig hinwirft, sondern liebevoll wählt. Der Sprache mag. Und selten nur in die Falle der Koketterie tappt.

Tatsächlich steckt in dem fahlen Nauten natürlich eine schimmernde Figur. Was keiner entdeckt, da niemand ihn an die Hand nimmt, ihn in sein Herz schließt. Er bleibt eingesponnen in seinen Kokon der Abgeschiedenheit - und einer Passion. Denn er, der einst alte Sprachen studierte, hat auf einmal auf den Flügeln von Schmetterlingen und auch auf Muscheln Zeichen entdeckt, die der Linienschrift der Phönizier zu gleichen scheinen oder der mesopotamischen Keilschrift. Er ist entzündet, er glüht, denn er will die Sprache, die Schrift der Natur, entziffern. Noch nie ist jemand auch nur auf die Idee gekommen, dass es eine solche Sprache geben könnte. Er liest, recherchiert, sitzt in Bibliotheken, kopiert, notiert. Nie spricht er mit jemandem über seine Entdeckung, die vermutlich gar keine ist. Er lebt gefangen in seiner Phantasie und seiner Verlassenheit. Nauten bewegt sich irgendwann nicht mal mehr am Rand der Welt, sondern fällt schließlich aus ihr heraus.

Was für eine wunderbar schräge und desolate Figur. Wenn auch hin und wieder ein wenig mehr Marionette als Mensch. Doch meist gelingt es aus dem Siepen, mit Präzision und Ironie zu bebildern, wie es sich am Saum der Normalität lebt. In großer, auswegloser Einsamkeit und Melancholie.

Rezensiert von Gabriele von Arnim

Stefan aus dem Siepen: Die Entzifferung der Schmetterlinge
Atrium Verlag Zürich 2008
222 Seiten, 17,90 Euro