Mehr Entscheidungsmacht

"Das ist keine Spinnerei der SPD"

Der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel spricht am 28.11.2013 in der Stadthalle in Hofheim am Taunus (Hessen).
Der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel auf einem Parteitag in Hessen © picture alliance / dpa / Fredrik Von Erichsen
Ute Welty im Gespräch mit dem Politologen Roland Roth  · 14.12.2013
Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik entscheiden SPD-Mitglieder über den Koalitionsvertrag mit der CDU. Der Politikwissenschaftler Roland Roth sieht darin einen Trend, der sich fortsetzen wird.
Ute Welty: Deutschlandradio Kultur am Samstagmorgen. Es ist nun an der OL 1000 plus, ganze Arbeit zu leisten, denn die OL 1000 Plus ist eine Hochleistungsbrieföffnungsmaschine, eingesetzt im Postbahnhof in Berlin-Kreuzberg, um Briefe der SPD-Mitglieder zu öffnen. Die Briefe entscheiden darüber, ob die SPD Juniorpartner wird in einer großen Koalition mit der Union oder dann doch größte Oppositionspartei. Ergebnisse werden im Laufe des späten Nachmittags oder des frühen Abends erwartet. Darüber hinaus und unabhängig vom Ergebnis gilt es noch den Fakt an sich zu bewerten: Die Mitgliederbefragung scheint das parteipolitische Mittel der Wahl zu sein. Schon vor der SPD-Abstimmung über den Koalitionsvertrag bestimmten die Grünen so ihre Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl. Was daraus noch folgen kann, das bespreche ich jetzt mit Professor Roland Roth, Politikwissenschaftler an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Guten Morgen!
Roland Roth: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Warum haben wir jahrelang gar keine Mitgliederbefragung bei keiner Partei erlebt, und jetzt binnen weniger Monate gleich zwei, die durchaus auch nachhaltig waren beziehungsweise sein werden?
Roth: Die Gründe liegen auf der Hand. Einmal ist es so, dass die Parteien insgesamt deutlich an Mitgliedern eingebüßt haben – die SPD hat fast die Hälfte ihrer Mitglieder verloren. Und andere Parteien tun sich auch damit schwer, neue Mitglieder zu werben, denn sie müssen ja den Mitgliedern Rechte einräumen. Also, warum sollte ich in einer Partei Mitglied werden, wenn doch die Vorstände und die Funktionsträger alles entscheiden. Insofern wird in ganz Europa und darüber hinaus nachgedacht, wie man die Mitgliedsrolle in Parteien stärken kann und verbessern kann. Insofern ist das ein langfristiger Trend, den hier auch die SPD und die Grünen aufnehmen. Möglicherweise wird es auch noch in den anderen Parteien passieren.
Funktionsträger haben oft eigene Interessen im Blick
Welty: Das ist das, was eine Partei von einer Mitgliederbefragung hat. Aber wie groß sind auf der anderen Seite die Risiken? Denn mehr Menschen haben ja nicht immer mehr recht?
Roth: Das ist richtig. Aber warum sollten kleine Vorstände, die dann doch auch immer den eigenen Vorteil im Blick haben, eine größere Vernunft an den Tag legen? Es geht ja darum, dass die Mitgliedschaft zumindest zum Ausdruck bringt, was so der generelle Trend, die allgemeinen Vorstellungen in einer Partei sein sollten. Sie bestimmen ja doch auch stark über die Position der Partei im Spektrum anderer Parteien, und da ist es doch so, dass wir nicht mehr davon ausgehen können wie früher, dass eben wir fest gefügte politische Lager mit entsprechenden sozialen Bindungen haben, die alleine schon garantieren, dass die Funktionsträger sich nicht allzu weit von den Wünschen der Mitglieder entfernen, sondern wir haben heute eine bunte Mitgliedschaft mit vielfältigen Interessen, und von daher ist es doch nur natürlich, dass diese Mitgliedschaft innerhalb der Parteien auch etwas zu sagen haben will.
Also ich sehe hier nicht unbedingt die größere Vernunft am Werke, aber doch den Ausdruck von Interessen, die in einer Partei gebündelt werden. Und bisher ist es ja so, dass man sagen kann, wenn die Funktionsträger und die Parlamentarier alleine entscheiden, dann haben sie doch in erster Linie ihr eigenes Interesse fest im Blick. Wer will nicht gerne Minister werden, und möglicherweise ist das biografisch die letzte Chance – also das muss nicht immer vernünftig für den Bestand einer Partei sein.
Welty: Bislang haben die Strukturen in Parteien ja auch ganz gut funktioniert, Gremien, Zusammenkünfte, Delegierte – das macht Sinn, indem man Aufwand reduziert und Aufgaben verteilt. Steht da ein Paradigmenwechsel ins Haus?
Roth: Nein. Ich glaube, dass Ihre Beschreibung auch nicht ganz richtig ist. Wir haben schon in allen Parteien das Problem, dass man überhaupt noch diese innerparteilichen Strukturen und Delegationen angemessen ausfüllen kann. Oft fehlt es einfach am Personal, an Mitgliedern, um überhaupt noch zum Beispiel Kandidaten für Kommunalwahlen et cetera zu küren. Das heißt, es ist durchaus nicht so, dass wir jetzt eine ganz lebendige Parteiendemokratie überall hätten, in der die Mitglieder sich zu Hause fühlten und das sei nun eine – erlauben Sie das – eine Spinnerei der SPD, sozusagen da noch mal einen draufzusetzen. Nein, umgekehrt: Es ist so, dass eine kritischer werdende politische Öffentlichkeit längst im großen Maße aus den Parteien ausgezogen ist.
Wir haben ja gerade mal zwischen zwei und drei Prozent der Bevölkerung, die Mitglieder einer Partei sind. Und dass die auch kritischer sind mit ihrem Personal, mit ihren Funktionsträgern. Das heißt, die wollen schon auch Einfluss nehmen und das Gefühl haben, naja, wenn jetzt eine neue Koalition beschlossen wird, dann sollte doch auch eine gehörige Portion unserer Parteivorstellungen mit enthalten sein.
Befragung als Versuch, die SPD zu retten
Welty: 1,6 Millionen Euro kostet jetzt die Mitgliederbefragung bei der SPD. Ist das ein gutes Investment oder doch nur eine teure Illusion mehr, die Teilhabe suggeriert?
Roth: Ich glaube, das sind Mittel, die zur Überlebensstrategie der SPD gehören. Denn Sie müssen ja eins sehen: Sollte diese Koalition zustande kommen und in ähnlicher Weise negativ am Ende von den Wählern bewertet werden, dann sinkt die SPD auf ein Niveau hinab, das unter 20 Prozent liegen könnte, und damit wäre sie alles, nur keine Volkspartei. Das heißt, es würde an die Substanz gehen. Ich betrachte es eher als den Versuch, die SPD zu retten und ihr so etwas wie eine Identität zu verschaffen und die größere Bindung der Mitgliedschaft an ihre Führungsriege zu ermöglichen.
Welty: Wenn Sie wetten würden, auf welche SPD-Entscheidung setzen Sie, und wie hoch ist Ihr Einsatz?
Roth: Ich fürchte oder ich gehe davon aus, dass durchaus zähneknirschend eine Mehrheit zustande kommt, aber das ist natürlich am Morgen eines Abends, an dem dann diese Entscheidung verkündet wird, ist es sehr riskant, solche Wetten anzusprechen. Aber es gibt eine lange Tradition eben in der SPD, dass man eben diese Disziplin des Krötenschluckens für sich reklamiert, das heißt, man wird zähneknirschend zustimmen, auch wenn viele Themen, die sozialdemokratische Herzensanliegen sind, nicht in angemessener Weise in diesem Koalitionsvertrag auftauchen.
„Befürchte, dritte Legislatur Merkel tut unserer Demokratie nicht gut tut“
Welty: Wenn Sie sagen, 'ich fürchte' – heißt das im Umkehrschluss, dass Ihnen ein anderes Ergebnis lieber wäre? Eine Ablehnung des Koalitionsvertrages?
Roth: Ich fürchte, dass die dritte Legislatur Merkel unserer Demokratie nicht gut tut und dass die allzu große Koalition, verbunden mit dem parteipolitischen Stil, auch dem Regierungsstil von Frau Merkel, wie Mehltau über dem Land liegen wird. Das heißt, dass alles, was an politischer Kontroverse, an nötiger Auseinandersetzung um die Zukunft dieses Landes notwendig ist, dass das erstickt wird. Und, wenn Sie so wollen, betrachte ich den Koalitionsvertragsentwurf, wie wir ihn jetzt kennen, als Ausdruck dieser Befürchtung. Er ist in vielen Bereichen alles andere als zukunftsorientiert, sondern klientelpolitisch kleinkariert. Und von daher wissen wir, was wir zu befürchten haben. Also, ich habe weniger aus Sorge um die SPD, sondern mehr aus Sorge um die politische Kultur dieses Landes die Befürchtung, dass zugestimmt wird.
Welty: Die SPD-Basis entscheidet über den Koalitionsvertrag. Dazu der Politikwissenschaftler Roland Roth in der Ortszeit. Ich danke für das Gespräch, das wir aufgezeichnet haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.