Aufforstung in Cleveland

Unsere Stadt soll kühler werden

46:20 Minuten
Die Skyline von Cleveland in Ohio, vom Heritage Park aus gesehen mit Brücke übers Wasser und Bäumen
Früher hieß sie "Stadt des Waldes": In den vergangenen 70 Jahren hat Cleveland jedoch einen Großteil seines Baumbestandes verloren. © imago / saffiresblue
Von Guido Meyer  · 05.07.2022
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Die Erwärmung der Städte ist längst im Gange. Auf der Nordhalbkugel werden bis 2050 Temperatursteigerungen von bis zu vier Grad prognostiziert. In der ehemaligen „Forest City“ Cleveland in Ohio soll eine gigantische Baumpflanzaktion Abhilfe schaffen.
Die 14. Straße in Downtown Cleveland ist ziemlich beliebt. Oder genauer: Sie ist stark frequentiert. Aber es ist der Grünstreifen zwischen Straße und Fußgängerweg, für den sich Lizzie Sords interessiert.
Wir stehen auf dem Baumrasen, dem Grasstreifen zwischen Bürgersteig und Straßenrand. Vor uns steht ein Baum, den wir im Frühjahr 2021 gepflanzt haben.“
Lizzie Sords zeigt auf einen ziemlich kargen Strauch. Er macht optisch noch nicht viel her, aber er ist immerhin schon an die zwei Meter hoch.
Das ist eine Felsenbirne. Sie kommt hier im Bundesstaat Ohio überall vor. Sie hat essbare Früchte; sie blüht sehr früh im Jahr - und sie ist klein. Maximal dürfte sie so sieben, acht Meter hoch werden. Das ist ein Vorteil, da wir uns unter einer Hochspannungsleitung befinden. Hier musste also ein Baum hin, der mit diesem Platz zurechtkommt.“

Eine Koalition für Bäume

Lizzie Sords ist eine Art Pflanzenflüsterin. Offiziell ist sie Managerin bei der städtischen Forstwirtschaft der Western Reserve Land Conservancy. So nennt sich die gemeinnützige Vereinigung, die sich unter anderem für den Erhalt von Grünflächen im Mittleren Westen der USA einsetzt.
Blühende Felsenbirne, Amelanchier laevis Ballerina
Kommt im Bundesstaat Ohio überall vor: die Felsenbirne.© picture alliance / Bildagentur-online/McPhoto-Muell
Ich habe diesen Baum mit Genehmigung der Stadt Cleveland ausgesucht. Denn dieser Grünstreifen ist öffentlicher Raum. Die Felsenbirne lässt sich gut mitten in der Stadt anpflanzen. Viele Menschen bevorzugen blühende Bäume, einfach, weil sie schön aussehen. Sie verleihen der Stadt Farbe. Genau das macht dieser Baum.“
Aber es ist nicht nur die Optik, die dafür gesorgt hat, dass an der 14. Straße in Downtown Cleveland jetzt ein paar Dutzend frisch gepflanzte Felsenbirnen stehen. Die Stadt verfolge einen viel weitergehenden Ansatz, ergänzt Elizabeth Grace. Sie ist die Vorsitzende der Cleveland Tree Coalition. Dahinter verbirgt sich ein Zusammenschluss von rund 40 lokalen Verbänden und Bürgerinitiativen.
„Bäume am Wegesrand spenden Schatten. Und sie beruhigen ganz allgemein die Umgebung, das heißt sie reduzieren den Stress für die Anwohner", sagt Elizabeth Grace. "Außerdem reinigen sie die Luft, und sie filtern den Abfluss von Regenwasser. Es sprechen also viele Gründe dafür, die Abdeckung der Stadt durch Baumkronen zu vergrößern. Davon würden sowohl die Bewohner als auch Geschäfte profitieren, überall in der Stadt.“  

Weniger Bäume - mehr Hitze

Der größte Pluspunkt aber ist: Bäume können eine Stadt kühlen. Und das hat Cleveland bitter nötig. Die zweitgrößte Stadt im Staat Ohio, unmittelbar an den Großen Seen gelegen, trug einmal den Titel "Forest City", „Stadt des Waldes“. Aber das ist lange her. In den vergangenen 70 Jahren hat Cleveland einen Großteil seines Baumbestandes verloren – teils durch Krankheiten, teils durch Abholzung.
Gerade einmal sechs Prozent der Innenstadt werden noch von Baumkronen bedeckt. Entsprechend wurde es heißer und heißer. An manchen Sommertagen liegen die Temperaturen Downtown mit fast 30 Grad Celsius zehn Grad höher als in den Außenbezirken, wo es grüner ist.
„Hier geht’s lang. Wir betreten jetzt einen tropischen Regenwald mitten in Cleveland. Es ist ein Gewächshaus, eine Art utopischer Garten in einer urbanen Oase“, sagt Margaret Thresher.
Außenanlange Botanischer Garten Cleveland.
Ein tropischer Regenwald mitten in Cleveland - im Gewächshaus im Botanischen Garten.© Getty Images / Raymond Boyd
Nicht nur draußen, in Downtown Cleveland, ist es im Sommer heiß. Im Botanischen Garten der Stadt treiben einem die schwülen Temperaturen unter dem Glasdach erst recht den Schweiß auf die Stirn, und zwar das ganze Jahr über. Margaret Thresher ist die Vizepräsidentin von Holden Forests and Gardens. Diese Non-Profit-Organisation betreibt den Garten.
Bei Holden Forests and Gardens arbeitet ein Team von Wissenschaftlern - Gärtner, Baumpfleger, Pädagogen, Forscher und Bibliothekare. Sie versuchen herauszufinden, warum uns die Bäume wegsterben.“

Viele Bäume von Schädlingen befallen

Der Verlust der Baumbedeckung Clevelands beschleunigt sich. Allein in den 2010er-Jahren gingen fünf Prozent des gesamten Bestandes verloren.
Vor ein paar Jahren hat die Holländische Ulmenkrankheit in diesem Teil des Landes gewütet. Die Eschen werden derzeit vom Asiatischen Eschenprachtkäfer befallen. Der sieht zwar schön aus, aber er ist tödlich für die Bäume. Unsere Buchen leiden momentan unter Fadenwürmern. Die Nüsse der Bäume, die Bucheckern, dienen Eichhörnchen und Vögeln als Nahrung. Deswegen bemühen wir uns derzeit, in dieser Region neue Buchen zu pflanzen, die resistent sind gegen diese Schädlinge.“
Das mag nach dem ganz normalen Lauf der Dinge klingen. Fadenwurm und Eschenprachtkäfer erwecken den Eindruck, es seien natürliche Ursachen, die dafür verantwortlich sind, dass die Stadt Bäume verliert. Aber Fadenwurm und Eschenprachtkäfer kamen nicht einfach so.

Das Baumsterben ist menschengemacht

Ich weiß nicht, ob ich das als natürliche Ursache bezeichnen würde. Es ist wohl eher menschengemacht. Denn es dürfte mit dem Klimawandel zu tun haben. Wenn es wärmer wird, finden Fadenwürmer bessere Bedingungen vor.“
Der Eschenprachtkäfer auf einem Baumstamm
Die Eschen in Cleveland werden derzeit vom Asiatischen Eschenprachtkäfer befallen. © picture alliance / AP Images / John Ehlke
Wenn der Mensch Schuld sei am Rückgang des Baumbestandes, dann müsse er auch dafür sorgen, dass sich diese Entwicklung wieder umkehre, ergänzt Amanda Wood, die städtische Försterin bei Holden Forests and Gardens.
„Bäume bieten eine Menge Vorteile, die den meisten Menschen gar nicht bewusst sind. Sie bringen beispielsweise einen wirtschaftlichen Gewinn für die Anwohner. Wenn ein großer Baum Ihrem Haus Schatten spendet, geht Ihre Stromrechnung runter, denn Sie geben weniger Geld aus für die Klimaanlage.“
Das gilt zumindest, solange genug Bäume da waren und die Stadt den Titel „Forest City“ noch verdiente. Heute ist ganz Cleveland nur noch zu etwa 18 Prozent bewachsen. Und das ist zu wenig, damit die Vorteile von Bäumen im Vorgarten spürbar werden.       

Ziel ist: 30 Prozent Baumbedckung

„Bäume sind auch gut für’s Gemüt. Wenn Menschen ganz allgemein auf Vegetation blicken, schütten sie weniger Stresshormone aus, und sie leben glücklicher. Bäume sorgen für Ruhe und Schönheit, die Sie womöglich in Ihrem Heim nicht erfahren würden, wüchsen dort keine Bäume“, sagt Amanda Wood.
Margaret Thresher, Vizepräsidentin von Holden Forests and Gardens (l.), und Amanda Wood, die städtische Försterin im Botanischen Garten in Cleveland
Margaret Thresher, Vizepräsidentin von Holden Forests and Gardens (l.), und Amanda Wood, die städtische Försterin, haben ein gemeinsames Ziel: möglichst viele Bäume pflanzen.© Guido Meyer
Es gibt viele Orte in den USA, denen es ähnlich geht wie Cleveland. Fast überall geht der Baumbestand zurück. Trotz vieler Ideen, was man dagegen tun könnte, passiert meistens nichts. In Cleveland will man mutig vorangehen. 2015 hat sich die Cleveland Tree Coalition gegründet – mit ehrgeizigen Zielen, wie Margaret Thresher von Holden Forests and Gardens betont.
Jedes Jahr müsse die Stadt 28.000 Bäume pflanzen, um bis zum Jahr 2040 auf die angestrebten 30 Prozent Baumbedeckung zu kommen. Dazu leistet sich Holden Forests and Gardens eine eigene Gärtnerei. In ihr ziehen Spezialisten die Sprösslinge heran, bevor sie irgendwo in Downtown Cleveland ihren endgültigen Bestimmungsort finden, ergänzt Försterin Amanda Wood.

Aufforstung braucht eine gute Logistik

„Es mag simpel klingen. Aber es wird kompliziert, sobald es um die Logistik dahinter geht. Wenn wir Bäume pflanzen, wollen wir sichergehen, dass sie angehen und aufblühen. Es ist nicht damit getan, einen Baum in die Erde zu stecken und gut is‘. Solange der Baum noch jung ist, müssen wir uns überlegen, wie wir ihn wässern. Steht er in einem Garten, ist das Aufgabe der Grundstückseigentümer. Aber was, wenn er auf einer öffentlichen Fläche steht? Gießt ihn dann ein Nachbar? Oder jemand von der Stadtverwaltung? Oder soll sich ein gemeinnütziger Verein um die Pflege kümmern?“
Lizzie Sords (r.) und Elizabeth Grace mit ein paar Felsenbirnen auf der 14. Straße in Downtown Cleveland
Im Einsatz: Lizzie Sords (r.) und Elizabeth Grace mit ein paar Felsenbirnen auf der 14. Straße in Downtown Cleveland© Guido Meyer
Lizzie Sords blickt hinüber, auf die andere Straßenseite. Dort liegt der Lincoln Park. Hier laufen Hunde frei herum, brüten Vögel in künstlichen Nestanlagen, und mittendrin steht ein kleiner Pavillon für Konzerte.
„Wenn wir in den Park hineinschauen, sehen wir ganz viele alte Platanen und Eichen. Diese beiden Baumtypen machen den größten Bestand unserer Bäume aus. Deswegen haben wir jetzt auch Hainbuchen gepflanzt. Denn die hatten wir hier bislang nicht. Auch die Echte Sumpfzypresse wurde von uns hier angesiedelt. Sie zeigt sich nämlich sehr tolerant gegenüber dem Klimawandel. Sie kommt mit schwülen, heißen Sommern gut zurecht. Und die dürfte es wohl künftig vermehrt geben. Außerdem saugt dieser Baum Wasser aus dem Boden auf. Wenn es also in Zukunft mehr regnet, ist das sehr praktisch.“

Cleveland will Vorreiter sein

So versucht Cleveland, in den kommenden Jahren noch einmal die Kurve zu kriegen und den derzeitigen Trend umzukehren – spät, aber nicht zu spät. Elizabeth Grace, die Vorsitzende der Cleveland Tree Coalition, hofft, dass andere Städte diesem Beispiel folgen werden.
„Es gibt auch andere Gemeinden mit geringer Baumdichte. Cleveland ist nur eine von vielen. Aber bei den anderen ist es nicht so ausgeprägt. Wir verlieren derzeit 30 Hektar baumbewachsener Fläche jedes Jahr. Wir sind hier wirklich an einem Wendepunkt in dieser Krise angelangt. Das unterscheidet uns von anderen Städten in den Vereinigten Staaten. Es war an der Zeit, dass wir dieses Problem anpacken. Denn es betrifft alle Einwohner von Cleveland.“

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