Mehr aufs Herz achten!
Nach "Endlich Nichtdenken" (2004) legt Hannes Stein einen weiteren Sammelband mit Ansichten und Beobachtungen vor. Diesmal von Älterwerden bis Zukunft, über Arbeitslosigkeit, Computer, Globalisierungskritiker, Homosexualität, Turnschuhe. Er legt größten Wert darauf, stets <em>politically uncorrect</em> zu sein. Das kann witzig sein, das kann auch ganz schön anstrengend sein.
Hannes Stein ist ein kluger Kopf. Er verfügt über eine solide humanistische Gymnasialbildung, hat Anglistik, Amerikanistik und Philosophie studiert und irgendwann in den 80er Jahren, wie er auf seiner wunderschön gemachten Homepage vermerkt: "entdeckt, dass es mir Spaß macht, meine Ansichten und Beobachtungen aufzuschreiben und dafür Geld zu bekommen."
Hannes Stein gönnt sich diesen Spaß seit 1990, inzwischen ist er Redakteur bei der "Literarischen Welt", dem edlen Feuilleton von Springers "Welt", zuständig für Sachbücher. Und er legt nach "Endlich Nichtdenken" (2004) einen weiteren Sammelband mit Ansichten und Beobachtungen vor. Diesmal alphabetisch geordnet, von Älterwerden bis Zukunft, über Arbeitslosigkeit, Computer, Globalisierungskritiker, Homosexualität, Turnschuhe. Hitler fehlt ebenso wenig wie Holocaustmahnmal. Das alles ist immer in wohltuend gutem, wortschatzreichem Deutsch geschrieben, meistens versehen mit einer kessen Perspektive, gern auch mit Hohn & Spott. Und ab und zu mit einem eingestreuten "nebbich". Mit dem er seine Leser, so en passant, wissen lässt, dass er Jude ist.
Und dann sind da noch, deutlich abgehoben durch Typologie und Schreibduktus, fünf "Versuche": über den Hass, über die Rache, über das Glück, über den Neid und über die Liebe. Essays also im wörtlichen Sinn. Über die Liebe, beispielsweise, klärt er mithilfe von Shakespeare und Tucholsky, dass den vermutlich klügsten Umgang mit der Unmöglichkeit, die beiden Geschlechter zu vereinen, die orthodoxen Juden gefunden haben: Die Vernunftehe inklusive schadchen (Heiratsvermittler)und Scheidung.
Im Versuch über die Rache räumt er mal eben George Orwell ab ("Rache ist eine Handlung, die man ausführen will, wenn und weil man machtlos ist; sobald das Gefühl der Impotenz nachlässt, verschwindet auch die Rachegier.") und befindet, das Bedürfnis nach Rache lasse sich nicht unterdrücken, sondern höchstens sublimieren, also "veredeln. Eine der sublimsten Formen der Rache für vergangene Demütigungen und Brutalitäten ist das Schreiben. Jedenfalls gilt das für mich."
Sublimation sorgt für Kultur,homo sapiens sorgt für Rachlust, und zwar dauerhaft. "Goodbye, Mr.Freud. It’s not sexuality, stupid! It’s revenge." Hannes Stein ist, wie gesagt, ein kluger Kopf. Er hat spürbar Spaß an eigenen Brutalitäten, vor allem gegen "Anti-Amerikanisten", die er - nach eigener Auskunft "anglophil bis über beide Ohren" - überall am Werk sieht.
Er legt größten Wert darauf, stets politically uncorrect zu sein. Das kann witzig sein, das kann auch ganz schön anstrengend sein, zumal die Idiotie namens political correctness just aus den USA auch nach Europa geschwappt kam. Stärker sind die Stücke, die nicht auf Pointe und Distinktionsgewinn gebürstet sind. Vielleicht sollte Hannes Stein beim nächsten Buch - als Ausgleich für den kühlen Kopf - statt auf Religiöses ein bisschen mehr aufs Herz achten. Im Sinne des kleinen Prinzen: Mit dem Herzen sieht man mehr.
Hannes Stein, Enzyklopädie der Alltagsqualen. Ein Trostbuch für den geplagten Zeitgenossen
Eichborn Berlin 2006, 290 Seiten
Hannes Stein gönnt sich diesen Spaß seit 1990, inzwischen ist er Redakteur bei der "Literarischen Welt", dem edlen Feuilleton von Springers "Welt", zuständig für Sachbücher. Und er legt nach "Endlich Nichtdenken" (2004) einen weiteren Sammelband mit Ansichten und Beobachtungen vor. Diesmal alphabetisch geordnet, von Älterwerden bis Zukunft, über Arbeitslosigkeit, Computer, Globalisierungskritiker, Homosexualität, Turnschuhe. Hitler fehlt ebenso wenig wie Holocaustmahnmal. Das alles ist immer in wohltuend gutem, wortschatzreichem Deutsch geschrieben, meistens versehen mit einer kessen Perspektive, gern auch mit Hohn & Spott. Und ab und zu mit einem eingestreuten "nebbich". Mit dem er seine Leser, so en passant, wissen lässt, dass er Jude ist.
Und dann sind da noch, deutlich abgehoben durch Typologie und Schreibduktus, fünf "Versuche": über den Hass, über die Rache, über das Glück, über den Neid und über die Liebe. Essays also im wörtlichen Sinn. Über die Liebe, beispielsweise, klärt er mithilfe von Shakespeare und Tucholsky, dass den vermutlich klügsten Umgang mit der Unmöglichkeit, die beiden Geschlechter zu vereinen, die orthodoxen Juden gefunden haben: Die Vernunftehe inklusive schadchen (Heiratsvermittler)und Scheidung.
Im Versuch über die Rache räumt er mal eben George Orwell ab ("Rache ist eine Handlung, die man ausführen will, wenn und weil man machtlos ist; sobald das Gefühl der Impotenz nachlässt, verschwindet auch die Rachegier.") und befindet, das Bedürfnis nach Rache lasse sich nicht unterdrücken, sondern höchstens sublimieren, also "veredeln. Eine der sublimsten Formen der Rache für vergangene Demütigungen und Brutalitäten ist das Schreiben. Jedenfalls gilt das für mich."
Sublimation sorgt für Kultur,homo sapiens sorgt für Rachlust, und zwar dauerhaft. "Goodbye, Mr.Freud. It’s not sexuality, stupid! It’s revenge." Hannes Stein ist, wie gesagt, ein kluger Kopf. Er hat spürbar Spaß an eigenen Brutalitäten, vor allem gegen "Anti-Amerikanisten", die er - nach eigener Auskunft "anglophil bis über beide Ohren" - überall am Werk sieht.
Er legt größten Wert darauf, stets politically uncorrect zu sein. Das kann witzig sein, das kann auch ganz schön anstrengend sein, zumal die Idiotie namens political correctness just aus den USA auch nach Europa geschwappt kam. Stärker sind die Stücke, die nicht auf Pointe und Distinktionsgewinn gebürstet sind. Vielleicht sollte Hannes Stein beim nächsten Buch - als Ausgleich für den kühlen Kopf - statt auf Religiöses ein bisschen mehr aufs Herz achten. Im Sinne des kleinen Prinzen: Mit dem Herzen sieht man mehr.
Hannes Stein, Enzyklopädie der Alltagsqualen. Ein Trostbuch für den geplagten Zeitgenossen
Eichborn Berlin 2006, 290 Seiten