Mehr als personifizierte Schreibhemmung

Von Renate Heilmeier |
Wolfgang Koeppen erregte in den 50er Jahren mit einer Romantrilogie die Gemüter seiner allzu biederen Zeitgenossen. Danach zehrte er vor allem von dem Glauben, den viele in ihn setzten, er werde einen weiteren großen Wurf hinbekommen. Bekam er zeitlebens nicht – und ist doch einer der ganz großen Schriftsteller, wie jetzt eine Ausstellung in München zeigt.
„Dieses Problem, die Seite nicht füllen zu können, ließe sich eventuell durch doppelten Zeilenabstand lösen?? Sollte es auf dieser Schreibmaschine etwa besser gehen?“

Koeppens Originalschreibmaschinen, darin eingespannt halb beschriebene Blätter. Dokumente, Hörbeispiele, Fotos im Zimmerformat und stilisiert das Arbeitszimmer mit Koeppens Sofa, seinen Büchern, dem Poster von Samuel Beckett. So nähert sich die Ausstellung „Ich wurde eine Romanfigur – Wolfgang Koeppen 1906-1996“ dem Schriftsteller.

Er war ein Großer der deutschen Literatur, das unterschlägt die Ausstellung nicht, doch wie auch Ausstellungsleiterin Ulrike Steierwald erläutert – eines schaffte er nach seinen frühen Erfolgen nicht: seinen nächsten großen Roman fertig zu stellen.

„Das ist auch das Faszinierende an diesem Schriftsteller. Schreibkrisen gibt es im Leben vieler Autoren, aber bei Koeppen über Jahrzehnte so vehement, dass man auf den neuen Roman gewartet hat, der aber bis zu seinem Tod nicht kam, das ist schon ziemlich singulär. Also er muss unglaublich Charisma gehabt haben, man sieht aber auch an diesen Briefen, dass er wirklich ein Meister des Details war und weil er in wenigen Sätzen zeigen konnte, welch genialer Schriftsteller er hätte sein können, haben die Leute an ihn geglaubt.“

So reiste er schon, nachdem seine Karriere als Journalist mit Beginn des Nationalsozialismus zu Ende war, mit einem Verleger-Vorschuss für einen allerersten Roman, der noch nicht geschrieben hatte, nach Italien. Doch Wolfgang Koeppen nur als personifizierte Schreibhemmung zu sehen, würde ihm nicht gerecht werden.

Jedenfalls hatte er selbst eine Erklärung geliefert, die poetischer ist als übersteigerter Perfektionismus oder depressive Phasen: Der Autor sah sich selbst als Teil seines Romans – ein Grund, diesen nicht zu Ende bringen zu wollen. So inszenierte er sich auch in dieser Rolle, zum Beispiel auf den Fotos von Nomi Baumgartl und Stefan Moses. Ulrike Steierwald zu dieser Inszenierung:

„Fotografie ist sehr wichtig in dieser Ausstellung, weil er auch in seinem Schreiben einen fotografischen Blick hatte, eine fotografische Montagetechnik. Im Nachlass finden sich viele Fotos, wo er sich selbst inszeniert. Das ist auch das zentrale Motiv unserer Ausstellung, die ja heißt: „Ich wurde eine Romanfigur“ und geht über einen Schriftsteller, der sich permanent selbst stilisierte und inszenierte, der völlig in seinem Schreiben aufging und mit diesem Prozess begründet hat, warum er nicht zum Ende kam.“

Zu Texten aus seiner Trilogie „Tauben im Gras“, „Das Treibhaus“ und „Der Tod in Rom“ zeigt die Münchner Ausstellung Dias aus der Zeit. Die Erstausgaben der Bücher ironisch auf rotem Samt. Denn damit hatte Koeppen Anfang der 50er Jahre seine Zeitgenossen nicht gerade auf Samt gebettet. Kritik und Literaturwelt in Westdeutschland waren aufgerüttelt: „Pornopolitischer Nihilismus“, „Ätzende Kritik an Bonn“, „Dynamit“ … waren seine Werke damals.

Danach wurde es nicht etwa ruhig um ihn – aber er wurde zum schweigenden Schriftsteller, der nichtsdestotrotz zahlreiche wichtige Preise und Auszeichnungen erhielt. Ein Teil seines Ruhms gründet wohl auch darauf, dass zeitlebens seine Verleger, Freunde und Bewunderer unerschütterlich an ihn und seinen nächsten großen Wurf „geglaubt haben“, allen voran Siegfried Unseld und Marcel Reich-Ranicki. Unseld in seinen Briefen an Koeppen:

„Bitte schreiben Sie! Schreiben! Schreiben!“

Und er selbst sagte über Reich-Ranicki:

„Er schreibt über mich, also bin ich!“

Der Prosaband „Jugend“ – abgetrotzt aus Fragmenten und unzähligen Entwürfen – war die Ausnahme von der Regel und erklomm 1976 sofort die Bestenliste. Die Regel aber hieß: Koeppen konnte nichts zu Ende schreiben.

Steierwald: „Es gibt auch Dutzende von Dokumenten, die um den Beginn dieses Fragmentes ringen, und zwar um den ersten Satz: Meine Mutter fürchtete die Schlange.“

Seine letzten Reiseessays, eine Mischung aus journalistischer Beschreibung und Fiktion, waren 1961 erschienen.

Die Ausstellung im Gasteig möchte aber keine rein chronologische biografische Sicht auf das Schriftstellerleben liefern. Mit den aus dem Greifswalder Wolfgang-Koeppen-Archiv stammenden Exponaten – Dokumente, Briefen, Fotos, Manuskripten, teils noch unveröffentlichten Interviews – zeigt man in der Glashalle des Gasteigs kapitelweise die verschiedenen Lebenswelten des Autors. Das Ausstellungsteam orientierte sich an den von Koeppen vorgegebenen Themen: angefangen von seiner „Neigung zum Grotesken“ bis zur „Einsamkeit in der Menge“ und seinen „unglücklichen Lieben“.

„Einmal Sybille Schloss, sie war eine schöne Frau, Mannequin und Schauspielerin, sie hat ihn deutlich abserviert, daraus ist auch sein erster Roman „Eine unglückliche Liebe“ entstanden .Wie man generell sagen muss, wenn immer er biografisches Material hatte, er durchaus schreiben konnte.“

Seine nächste, nicht unproblematische Liebe, seine spätere Frau Marion Ulrich, lernte er in Feldafing am Starnberger See kennen, als er 1943 von Berlin nach München kam. Von einer Wahlheimat zu sprechen, wäre verfehlt. Koeppen selbst sehnte sich immer an die Orte, an denen er gerade nicht war: ins Berlin der späten 20er Jahre, an seinen Sehnsuchtsort Masuren, dem Ort seiner Kindheit, immer nach Venedig.

München blieb der Ort, an dem sein Schreibtisch stand, den man lieben musste. Aber das immerhin mehr als 50 Jahre, bis Wolfgang Koeppen am 15. März 1996 starb – ohne den großen, von vielen erwarteten Gegenwartsroman geschrieben zu haben.

Service:
Die Ausstellung „Ich wurde eine Romanfigur – Wolfgang Koeppen 1906-1996“ wird begleitet von einem umfangreichen Programm – Diskussionen, Lesungen, Filme und Radiosendungen. Noch bis zum 25.Juni, also zwei Tage nach seinem 100. Geburtstag, ist sie im Münchner Kulturzentrum Gasteig zu sehen.