Mehr als nur Finanzplatz

Von Tobias Wenzel · 11.05.2009
Über das kleine Luxemburg ist in letzter Zeit nicht viel Großes gesagt worden – meist wird der Staat nur im Zusammenhang mit Vorfällen wie Steuerhinterziehung erwähnt. Dabei ist das Großherzogtum nicht nur als Finanzplatz facettenreich, auch als Literaturland hat es einiges zu bieten. Die luxemburgische Botschaft veranstaltet eine literarische Woche, die in Berlin eröffnet wurde.
Der 55-jährige Schriftsteller Nico Helminger liest im Literarischen Colloquium Berlin einen Text auf Luxemburgisch. Luxemburgisch, eine moselfränkische Mundart, ist die Muttersprache des Theaterautors und Lyrikers. Und es ist, neben Deutsch, eine der beiden Sprachen, in denen er schreibt. Nico Helminger eröffnet gemeinsam mit seinem Bruder, dem ausschließlich auf Deutsch schreibenden Guy Helminger, die Woche der Luxemburger Literatur in Berlin.

"Luxemburg ist Literatur" - mit diesem gewagten Slogan werben die Veranstalter. Gewagt für ein Land, das erst seit dem 19. Jahrhundert eine Literaturszene hat und dessen Schriftsteller kaum jemand im Ausland kennen dürfte. Die Botschafterin des Großherzogtums Luxemburg, Martine Schommer:

"Ja, es sollte auch so aufgenommen werden. Es ist provokant. Aber wir sind auch Literatur, wir sind nicht nur Finanzplatz, nicht nur Stahlindustrie. Wir sind Kultur im weitesten Sinne, und wir sind Literatur."
Der in Deutschland bekannteste Autor aus Luxemburg ist sicherlich der 46-jährige Guy Helminger. 2004 wurde er beim Bachmann-Wettbewerb für seine Erzählung "Pelargonien" ausgezeichnet:

"Es gab wenig, was Frank Perl so erfreute wie das Fahrrad fahren. [Da waren Tage, an denen hob er sich morgens kurz nach dem Frühstück in den Sattel, und erst wenn es dunkel wurde, merkte er, dass er die ganze Zeit nichts gegessen hatte.] Er fuhr in der Stadt herum, und ab und an, wenn es sich anbot, wenn er wusste, dass es ihm dieses seltsame Glücksgefühl bescheren würde, ließ er den Lenker los, richtete sich auf und schlug einem Passanten im Vorbeigleiten auf den Hinterkopf."

Tragikomische Geschichten, schwarzer Humor, originelle Metaphern – dafür steht Guy Helminger und dafür wird er auch außerhalb Luxemburgs geschätzt.

Guy Helminger:

"Lange Zeit hatte man es wahnsinnig schwierig als Autor in Luxemburg, weil man nicht ernst genommen wurde. Ich mein, ich hab früher Fragen beantworten müssen: 'Gibt's bei euch denn überhaupt einen Fußballverein?' So als würde eine Nation, nur weil sie klein ist, keine kulturellen oder sportlichen Bedürfnisse haben. Und das ist absurd! Und die Luxemburger haben wirklich den Fehler gemacht, dass die Leute Abitur machen und keinen Luxemburger Autor kennen usw. Und wenn man so im eigenen Land mit den Autoren umgeht, dann muss man sich auch nicht wundern, wenn das Ausland denkt, es gibt keine."

Guy Helminger lebt und arbeitet schon länger außerhalb Luxemburgs, nämlich in Köln. Auch der gebürtige Luxemburger Norbert Jacques schrieb 1921 seinen Roman "Dr. Mabuse, der Spieler" in Deutschland, wo er bis zu seinem Tod lebte. Auch deshalb werden Jacques und Helminger gerade nicht als Luxemburger, sondern als deutsche Autoren wahrgenommen.

Nico Helminger:

"Sobald man draußen ist, ist man kein Luxemburger mehr. Aber die Luxemburger wollen irgendwie doch so etwas wie eine nationale Literatur, was natürlich zusätzlich erschwert wird durch die Tatsache, dass in mehreren Sprachen geschrieben wird."

Auf Luxemburgisch, Deutsch, Französisch und teilweise auch auf Englisch. Diese Sprachenvielfalt im Großherzogtum kann schon mal selbst einen Luxemburger Autor wie Guy Helminger verwirren:

"Von daher ist so eine Woche der deutschsprachigen, der Luxemburger Literatur in Berlin gar nicht so schlecht, finde ich, damit man überhaupt mal sieht, wen es gibt, weil es gibt einige!"

Bis zum Freitag, zur Langen Nacht der Luxemburger Literatur, kann man an verschiedenen Orten in Berlin Literatur von Luxemburgern kennenlernen.

"laut für laut
erkenn ich die vögel
die lippen bewegen
ist eine schöne art
spaziergang"

Nico Helminger (Gedicht aus "Besuch bei den älteren Werken des Mondes")

Ein Gedicht von Nico Helminger im deutschen Original. Sein Bruder Guy sollte einmal für eine Anthologie ein Gedicht in seiner Muttersprache Luxemburgisch schreiben und es außerdem auf Deutsch abliefern, also in der Sprache, die er erst in der Schule gelernt hat und in der er ausschließlich literarisch schreibt.

"Und was ich gemacht habe: Ich habe im Endeffekt das deutsche geschrieben und dann ins Luxemburgische übersetzt und dann meinem Bruder gegeben, damit er mal drüber guckt. Also es ist einfach ein weiter Weg von der gesprochenen Sprache oder der Muttersprache bis hin zum ersten literarischen Satz. Und im Luxemburgischen ist mein Bruder, was Literatur anbelangt, einfach besser. Deshalb hat er auch drüber geguckt."