Mehr als nur ein weiblicher Blick

Von Rainer Berthold Schossig |
Seit einer Woche ist die 51. Biennale in Venedig geöffnet. In erstaunlich kurzer Zeit haben die Kuratorinnen den zentralen Ausstellungen der Biennale ein schlankes, dabei sinnlich charakteristisches Profil verliehen. Eine davon ist Maria de Corral. Wir stellen die Spanierin vor.
Maria de Corral, die erfahrene Ausstellungsmacherin aus Madrid, hat innerhalb weniger Monate im "Padiglione Italia", dem traditionellen zentralen Ausstellungsort der jüngsten Kunstbiennalen, eine beeindruckende Schau zusammengestellt: Das Flanieren durch den zentralen Pavillon, früher oft ein Labyrinth aus auftrumpfenden Eitelkeiten, ist von ihr zu einem makellosen Rundgang durch die zeitgenössische Kunst gestaltet worden: Mit großen Namen wie Francis Bacon, Antoni Tàpies und Phil Guston, mit einem hochragenden Raumabguss von Rachel Whiteread und epischen Videowänden der Finnin Eija-Lisa Ahtila. Doch auch Entdeckungen kann man machen, Malerei von Mathias Weischer oder Bernard Frize. Ihrer Ausstellung hat Maria de Corral den geradezu klassischen Titel gegeben: "Erfahrung der Kunst".

Maria de Corral: "Ich denke, es geht nicht um Klassik, es ist ein allgemeiner Titel, für den ich mich entscheiden musste, als dieser Pavillon noch ein einziges Durcheinander war, eigentlich ein Ort, wo es unmöglich war, irgendeine Ausstellung zu machen. Dann entschied ich mich für eine Art lineare Ausstellung, d. h. eine thematische, diskursive Schau. So versuchte ich, eine bestimmte Konstellation von Künstlern zu arrangieren, die dieselben Themen behandeln, aber in sehr unterschiedlicher Weise, mit je anderen Medien, Künstler aus ganz verschiedenen Generationen. So kann sichtbar werden, wie die Künste das Differente zusammenfügen: Zeit, Erfahrung, Gefühle und Widersprüche."

Schon im Vorfeld der diesjährigen Biennale hatte die Spanierin betont, sie sei vor allem an künstlerischen Ideen und Konzepten interessiert, die sich im Fragment, im Versuch, im Rohentwurf äußern. Sie wollte keine Ausstellung machen, die in sich geschlossen ist, im Gegenteil: Die Besucher sollten die Chance haben, ihre eigenen Vorstellungen und Gedanken auf Augenhöhe mit den Werken zu konfrontieren. So kündigte sie auch an, nicht ästhetische Kategorien, sondern Intensität pur auszustellen. Hatte Maria de Corral keine Sorge, dass ihr mit den Kategorien auch die Kriterien abhanden kommen könnten?

Maria de Corral: "Ach, ich mag einfach Künstler, die obsessiv, die intensiv sind! Ich denke sogar, sie müssen Intensität haben. Wenn Künstler anfangen, in Kategorien zu denken, dann verlieren sie ihre Passion. Und die ist grundlegend wichtig für die Kunst."

Ein schmaler Gang, den die junge Kubanerin Tanja Bruguera mit Tausenden von Teebeuteln ausgekleidet hat, auch die märchenhaft bewegte Video-Magie von William Kentridge zeigen dieses Unabgeschlossene, Prozessuale, Imaginative künstlerischen Denkens, der auch bestimmend ist für die kuratorische Arbeit Maria de Corrals:

"Ich verabscheue die Logik der Macht. Es ist wichtig für die Besucher, die Möglichkeit zu haben, eine Ausstellung zu besuchen, wo sie den Künstlern, ihren Arbeiten nahe kommen, damit experimentieren können, sich daran freuen, darüber nachdenken können. Da muss man nicht unbedingt kunsttheoretisches Wissen haben; eine Schau muss visuelle Identität entwickeln, beim Durchwandern die visuelle Kraft durchhalten und die gedankliche Fülle."

Man ist als Ausstellungsbesucher gewohnt, Kunst als eine Art "Bewusstseinsmaschine" zu gebrauchen; doch jeder Künstler betätigt diese Maschine ja auf seine ureigene Weise. Diese Subjektivität wirft für die Ausstellungsmacher die Frage auf, ob es nicht völlig unmöglich ist, so etwas wie internationale Trend zu spiegeln. Maria de Corral sieht dies höchst gelassen; Beliebigkeit fürchtet sich die erfahrene Kunsthistorikerin nicht:

"Es gibt viele Trends zurzeit, viele Möglichkeiten für Künstler, künstlerisches Material einzusetzen, sich auszudrücken. Wir reden dauernd über die Gefahren der Globalisierung, dass Künstler überall in der Welt das Gleiche tun; aber ich finde das nicht richtig. Gerade heute suchen die Künstler viel genauer, ihren eigenen Ausdruck zu finden, ihren eigenständigen Weg in dieser Welt. Und sie schaffen das!"

Ebenso betrachtet sie die viel zitierte Globalisierung als Herausforderung, nicht aber als automatische Bedrohung. Die weit verbreitete Sorge, dass durch weltweit verbreitete Standards die lokalen, angeblich authentischen Kunstbemühungen überfremdet würden, teilt Maria de Corral nicht:

"Ich finde, die Globalisierung ist sehr positiv, was die Information betrifft, nicht aber, wenn sie Zwang ausübt. Gegen solche Fremdbestimmung kämpfen die Künstler überall in der Welt. Doch dies konkret wahrzunehmen ist schwierig; und wenn man wie ich eine solche Ausstellung in reichlich fünf Monaten stemmen muss, ist dies fast unmöglich. Wenn man nur so herumreist, kann man nicht wirklich sagen, was weltweit geschieht. Wenn man wissen will, was die Künstler in einem Land machen, muss man mindestens drei Monate dort verbringen. In einer Woche kann man nur auswählen, was das eigene Ego spiegelt, was man kennt, das Westliche, die Dinge, die man mag oder gewohnt ist. Ich bin viel gereist, um diese Ausstellung zu machen. Ich bin mein ganzes Leben lang gereist, auch jetzt wieder: Sogar bis in die Ateliers in Korea oder Shanghai."